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Dienstag, 27.09.2011

NRW-Landtag: Bericht zur Anhörung zum Gesetz zur Einführung des IRU in NRW - Von Tuba Isik-Yigit

Seit fast 3 Jahrzehnten wird in Nordrheinwestfalen über die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach debattiert. Bislang wird im Rahmen von Modellversuchen (seit 1999/2000 „Islamische Unterweisung in deutscher Sprache“, ab 2006 umbenannt in „Islamkunde in deutscher Sprache“) lediglich ein Teil der muslimischen Schüler unterrichtet. Hierbei handelte es sich um einen Religionskundeunterricht, der von Lehrpersonal muslimischen Glaubens unterrichtet wird, jedoch – im Gegensatz zum Religionsunterricht anderer Glaubensrichtungen – nicht als Bekenntnisunterricht konzipiert ist und damit einen wichtigen, Identität stiftenden Bereich außen vor lässt. Diese Konstruktion hatte u.a. rechtliche Gründe, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll.

Jetzt hat die nordrhein-westfälische Landesregierung der Öffentlichkeit eine Gesetzesvorlage für die Einführung eines konfessionell gebundenen islamischen Religionsunterrichtes präsentiert, damit ca. 320 000 muslimischen Kindern in NRW endlich das gleiche Angebot gemacht werden kann, wie es Schülern anderer
Religionsgemeinschaften schon lange zukommt. Aufgrund der Tatsache, dass es keine staatlich anerkannte islamische Religionsgemeinschaft gibt, sieht die Gesetzesvorlage vor, für die Einführung eines Religionsunterrichtes anstelle einer Religionsgemeinschaft einen achtköpfigen Beirat zu etablieren, der mehr oder weniger die Aufgabe einer Religionsgemeinschaft übernehmen soll. Vier Vertreter aus den Mitgliedsverbänden des Koordinierungsrats der Muslime (KRM) sollen als ständige Mitglieder einen Teil des
Beirates bilden, vier weitere muslimische Einzelpersonen, die über eine theologische, religionspädagogische oder islamwissenschaftliche Ausbildung verfügen, nehmen die übrigen Plätze im Beirat ein. (Die spezifische Regelung kann dem Gesetzesentwurf entnommen werden.

Die Landesregierung bat im Rahmen der Anhörung zahlreiche Experten um eine Stellungnahme zur Gesetzesvorlage, aber auch nicht aufgeforderte Personen/Institutionen hatten die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Alle eingegangenen Stellungnahmen wurden auf der Landtagsseite veröffentlicht.2 Die von der Landesregierung befragten Experten, darunter sowohl diverse Rechtswissenschaftler, z.B. Prof. Dr. Oebeckke, Prof. Dr. de Wall, Prof. Dr. Walter, Dr. Graulich, als auch die Professoren einiger islamischer Theologiezentren wie Prof. Dr. Khorchide, Prof. Dr. Ceylan und Prof. Dr. Ucar, Praktiker, z.B. der Religionslehrer Ridwan Bauknecht sowie Mitglieder des Koordierungsrates, Aiman Mazyek (ZMD), Nurhan Soykan (ZMD), Engin Karahan (Islamrat), Erol Pürlü (VIKZ) und Rafet Öztürk (DITIB), kamen am 14. September mit diversen Abgeordneten und einer großen, interessierten Zuhörerschaft im Landesparlament in Düsseldorf zu einer Anhörung der Gesetzesvorlage zusammen. In zwei Runden hatten die Experten die Gelegenheit, sich in sehr kurz gehaltenen Statements zur Gesetzesvorlage zu äußern und die Fragen der
anwesenden Abgeordneten beantworten. Ich möchte die inhaltlichen Themen, die aus meiner Sicht die wesentlichen Punkte betreffen und mir am Interessantesten erscheinen, in diesem subjektiven Beobachterbericht (kein Ergebnisprotokoll) kurz zusammenfassen.



Die Rechtswissenschaftler betonten zu Beginn der Anhörung, dass das beabsichtigte Beiratsmodell in Verbindung mit dem Religionsunterricht ein Experiment, ja ein Annäherungsversuch an einen Religionsunterricht gem. Art. 7 III GG sei und die Konstituierung eines Beirates verfassungspolitisch und -rechtlich ein (vorübergehend) gangbarer Weg sei. Ferner machten sie darauf aufmerksam, dass die Angst, der Staat könne mit diesem Beiratsmodell einen „Staatsislam“ forcieren und mit der Zeit zu festigen suchen, unberechtigt sei, da der Staat das Selbstbestimmungsrecht einer Selbstorganisation und das Selbstverständnis einer Organisation zu achten sowie sich nicht in deren innere Angelegenheiten einzumischen habe. Die Bestimmung von Inhalten obliege den Religionsgemeinschaften selbst. Auf der anderen Seite wiesen sie auch darauf hin, dass die Angst diverser muslimischer Gruppen, es könne sich mit dem KRM ein konservativer Islam ausbreiten, völlig unberechtigt sei, da der Staat darauf achte, dass der verfassungsrechtliche Rahmen eingehalten wird. Später stellte Prof. Ucar die rhetorisch Frage, warum „Konservatismus“ denn negativ konnotiert sei. Er hinterfragte das negative Verständnis Einzelner bzgl. des Konservatismus indem er darauf aufmerksam machte, dass die katholische Kirche ebenfalls konservativ sei.

Fast alle Fachleute waren der Meinung, dass das Beiratsmodell eine Übergangsregelung sei; einzelne empfahlen den KRM-Mitgliedern den Prozess zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes zu beschleunigen. Dabei wurde allerdings auch erwähnt, dass der Staat hinsichtlich dieses Bestrebens keine Unterstützungspflicht hat.

Einige kritische Bemerkungen gab es bezüglich des Begriffs „Islamischer Religionsunterricht“. Da es sich im vorgesehenen Modell letztendlich nicht um einen konfessionell gebundenen Religionsunterricht im Sinne Art. 7 III GG handele, solle er, wie bei den Christen, nur „Religionsunterricht“ genannt werden. Dieser Punkt wurde in der Diskussion jedoch nicht weiterverfolgt.

Ridwan Bauknecht machte als Religionslehrer den Anspruch geltend, auch Lehrpersonal müsse im Beirat einen Platz finden. Die Lehrkräfte seien diejenigen, die jahrelang mit den muslimischen Kindern in engem Kontakt stünden und so die aktuellen Themen, die die SuS bewegten, kennen und hautnah begleiteten würden. Dementsprechend seien die Religionslehrer eigentlich die fachkompetentesten Personen, die an den Lehrplänen usw. arbeiten können. Ferner führte er an, dass die gegenwärtig lehrenden Lehrkräfte schon allein aus ihrer langen Lehrtätigkeit heraus weiterhin, d.h. ohne „Gütesiegel“ des Beirats, ihre Tätigkeit weiter ausüben können. Der Vorwurf der unzureichenden Abbildung der Pluralität der Muslime durch den sich abzeichnenden Beirat war im Vorfeld der Anhörung von der Vorsitzenden des Liberal-Islamischen Bundes (LIB) angestoßen worden und wurde von der Presse ausführlich dargestellt. Die Vorsitzende des LIB, Lamya Kaddor, vertrat in verschiedenen Artikeln die Auffassung, ihr Verein garantiere, im Gegensatz zu den KRM-Mitgliedern, ein zeitgemäßes Islamverständnis, das mit demokratischen Vorstellungen vereinbar sei. Sie sprach dem KRM ab, eine große Mehrheit der Muslime in Deutschland zu vertreten und mutmaßte, dass in einem von türkischstämmigen Sunniten dominierten Spitzenverband Pluralismus unmöglich sei. Um Einseitigkeit zu vermeiden, müsse der LIB (mit nach eigenen Angaben ca. 100 Mitgliedern, wieviele davon muslimisch, ist nicht bekannt) daher Mitglied des Beirats werden.

Der Vorwurf des fehlenden Pluralismus wurde in der Diskussion eindeutig widerlegt, wobei verschiedene Dimensionen der Pluralität angesprochen wurden. So gibt es im ZMD und Islamrat Mitgliedsvereine, deren Mitglieder sehr unterschiedlicher ethnischer Herkunft sind, von Bosnien über die Türkei, bis nach Pakistan und Indonesien. Auch in konfessioneller Hinsicht wird eine Vielfalt abgebildet, denn auch alevitische Muslime sind in einem der KRM-Verbände organisiert. Dem Anspruch des LIB auf einen Sitz im Beirat wurde entgegengehalten, dass sich dies weder mit der Anzahl der Mitglieder des LIB noch mit den Zielsetzungen des Vereins argumentieren lasse, vom fehlenden seelsorgerischen Angebot oder zugehörigen Moscheen, in denen religiöses Leben stattfindet, ganz zu schweigen. Vor diesem Hintergrund fand Mazyek harte Worte. Nicht jeder selbsternannte Experte dürfe sich anmaßen, eine stillschweigende Gruppe von Muslimen zu vertreten und mit diesem fiktiven Vertretungsanspruch Gehör im Beirat beanspruchen. Mazyek bekam von vielen
Seiten Unterstützung im Hinblick darauf, dass der Anspruch auf einen Sitz im Beirat von der Mitgliederzahl abhängig gemacht werden solle.

Prof. Khorchide wies darauf hin, dass eine über die Medien geführte hitzige Diskussion mit Etikettierungen wie „liberal“ oder „konservativ“ für den innerislamischen Diskurs nicht dienlich sei. Die Frage der „islamischen Pluralität“ müsse im innerislamischen Diskurs verortet werden und nicht auf der gesellschaftspolitischen Ebene, sondern auf theologischer Ebene geführt werden. Er lud jeden Interessenten an unterschiedlichen theologischen Sichtweisen dazu ein, sich an den Diskursen an den islamischen Theologiezentren zu beteiligen und dort einzubringen. Dies seien die richtigen und entsprechenden Orte für eine ehrliche und offene Auseinandersetzung. Laut Gesetzesvorlage soll der Religionsunterricht im August 2012 beginnen und zunächst bis 2018 stattfinden. Spannend bleibt es zu beobachten, wie sich nun der Beirat konstituieren wird.

Die Autorin Tuba Isik-Yigit ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn und Vorsitzende de Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V (amf).