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Freitag, 16.09.2011
Stellungnahme des Koordinationsrats der Muslime (KRM) zum "Gesetz zur Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lernfach (6. Schulrechtsänderungsgesetz)" in NRW
In Nordrhein-Westfalen wird nun seit über 30 Jahren über die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts diskutiert. Zahlreiche Initiativen wurden bisher dazu gestartet. Das 6. Schulrechtsänderungsgesetz stellt einen neuen Ansatz dar, der den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen etablieren soll.
Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts ist wichtig und nötig. In diesem Sinne wirken die muslimischen Religionsgemeinschaften in NRW seit Jahrzehnten an der Debatte mit und stehen dem Land als Ansprech- und Kooperationspartner zur Verfügung.
Der IRU ist wichtig für die muslimischen Kinder. Ziel des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts muss in erster Linie die Stiftung einer positiven Identifikation mit der eigenen Religion sein. Er ist in konfessioneller Positivität und Gebundenheit zu erteilen. Zentraler Gegenstand sind die grundlegenden Überzeugungen der jeweiligen Religion als Glaubenswahrheit. Der Unterricht wird von LehrerInnen aus dem Glauben heraus, nicht aus der Distanz heraus gestaltet; die LehrerInnen vermitteln, was geglaubt werden soll.
Verfassungspolitisch betrachtet ist die Aufgabe des Religionsunterrichts positiv bestimmt. Er dient in erster Linie der Grundrechtsverwirklichung der Bürger. Mit der institutionellen Garantie des Religionsunterrichts wird ein subjektives Recht der Schüler, der Eltern und der Religionsgemeinschaft in der Schule gewährleistet. Er soll zur religiösen Entfaltung und Verwirklichung im Leben führen. Insofern ist er um der Bürger, nicht um des Staates willen da, auch wenn daraus unterstützenswerterweise Gewinn für das Gemeinwohl in Staat und Gesellschaft erwartet wird. Darüber hinaus stellt der Religionsunterricht eine staatliche Kulturaufgabe dar. Er dient zur Tradierung des kulturellen Erbes und soll die religiösen Ursprünge und Bedingtheiten der Kulturentwicklung deutlich machen und zur Einsicht in die tragenden Werte und Lebenskräfte der religiös motivierten Individual- und Sozialethik führen. Der IRU soll dabei, die Kinder an ein selbstkritisch-reflektiertes islamisches Selbstbewusstsein heranführen, zu Verständnis und Toleranz gegenüber Andersdenkenden beitragen, die Wertentscheidungen des Grundgesetzes nicht negieren und vor allem die Lebenswirklichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft vor Augen halten.
FESTSCHREIBUNG EINES NEGATIV-STATUS
Der säkulare auf die Neutralität verpflichtete Staat kann nicht vermitteln, wie die Muslime den Islam zu verstehen haben, genauso wenig wie er Christen oder Juden eine bestimmte Theologie vorgeben kann. Deshalb muss ein solcher Unterricht von Religionsgemeinschaften verantwortet werden.
Diese werden jedoch nicht vom Staat gebildet, sondern ergeben sich aus der zur Glaubensverwirklichung selbstbestimmten Vereinigung von Angehörigen derselben Glaubensgemeinschaft. Im Zusammenhang mit den Muslimen sind dies die Gemeinschaften im Koordinationsrat der Muslime (KRM), die die überwältigende Mehrheit der Moscheegemeinden in NRW repräsentieren und eine breite muslimische Vielfalt abdecken. Dort findet das religiöse Leben statt, seit nunmehr 50 Jahren und länger.
Die im Gesetzesentwurf genannte Begründung der Notwendigkeit für solch ein Gesetz erscheint insofern als problematisch. Während in der Begründung des Gesetzes noch davon gesprochen wird, dass bei den muslimischen Gemeinschaften die „Qualifikation als Religionsgemeinschaft noch nicht feststeht“, wird diese Frage im Gesetzestext für die Gemeinschaften negativ festgeschrieben. Mit dem berechtigten Interesse, nicht jeden religiösen Verein zum Anspruchsberechtigten für solch einen Unterricht zu machen – was religionsverfassungsrechtlich falsch wäre - werden als Kooperationsvoraussetzungen Kriterien angeführt, die uns sonst als Definitionsmerkmale von Religionsgemeinschaften begegnen. So soll das Land „mit einer islamischen Organisation zusammenarbeiten, die Aufgaben wahrnimmt, die für die religiöse Identität ihrer Mitglieder wesentlich sind. Die Organisation muss eigenständig und unabhängig sein und die Gewähr“ auf Dauer bieten.
Problematisch an dieser Ausführung ist, dass diese Definition sich mit den wesentlichen Merkmalen von Religionsgemeinschaften überschneiden. Zudem kann es bei den im KRM organisierten islamischen Religionsgemeinschaften nicht darauf ankommen, ob diese abstrakt als islamische Religionsgemeinschaft anerkannt sind oder nicht. Denn es gibt keine abstrakte Anerkennung als eine Religionsgemeinschaft und keine Instanz, die (privatrechtliche) Religionsgemeinschaften als solche abstrakt anerkennt. Im Übrigen ist es unstreitig, dass die Moscheegemeinden islamische Religionsgemeinschaften darstellen. Unstreitig ist auch, dass die Zusammenschlüsse von Moscheegemeinden, die mit diesen gemeinschaftlich und umfassend auf verschiedenen Ebenen der Religionsverwirklichung dienen, auch Religionsgemeinschaften sind.
Sie sind also ohne weiteren Hoheitsakt kraft ihres Selbstverständnisses und dem äußeren Erscheinungsbild schon Religionsgemeinschaft. Beim Religionsunterricht geht es darüber hinaus um die Beantwortung der Frage, ob die in Betracht kommende Körperschaft bzw. die Körperschaften neben ihrem Status als Religionsgemeinschaft die weitergehenden Voraussetzungen in Bezug auf den konkreten Regelungszusammenhang zur Durchführung des Religionsunterrichts erfüllen.
Festzuhalten bleibt, dass die im Entwurf zugrundeliegende Annahme, es gebe keine islamischen Religionsgemeinschaften, ein Irrtum darstellt und von falschen rechtlichen Voraussetzungen bzgl. des Begriffs „Religionsgemeinschaft“ ausgeht.
Zudem wird der juristisch unbestimmte Begriff „wesentlich“ nach einer Verabschiedung des Gesetzes für weitere Probleme sorgen. Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs wird mit dem nur „wesentlich“ zu erfüllenden Kriterien die Möglichkeit eröffnet, dass jede andere religiöse Vereinigung, die partiell religiöse Dienste anbietet, erfolgreich klagen könnte, um in den Beirat aufgenommen zu werden. Dies würde weitere unüberschaubare neue juristische und organisatorische Probleme schaffen.
NOTWENDIGKEIT EINES GESETZES ZUR EINFÜHRUNG DES IRU
An dieser Stelle muss auch die Frage gestellt werden, ob zur Einführung eines Religionsunterrichts und der Kooperation zwischen Land und muslimischen Religionsgemeinschaften, wie sie Art. 7 III GG für den Religionsunterricht als notwendig erachtet, eine Gesetzesänderung notwendig ist.
Der konkrete Einstieg in Gespräche um die endgültige Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts ist schon seit langem angebracht und möglich. Rechtlich steht solch einem Schritt nichts entgegen.
Die im KRM organisierten Religionsgemeinschaften stellen für das Schulministerium schon seit Jahrzehnten die einzigen Ansprechpartner in den Verhandlungen um einen islamischen Religionsunterricht in der öffentlichen Schule dar. Dabei ist kritisch darauf hinzuweisen, dass die Erhebungen über Mitgliedszahlen der islamischen Religionsgemeinschaften in der Gesetzesbegründung zu Absatz 2 des Gesetzesentwurfs den eigenen Zahlen der Gemeinschaften widersprechen und erhebliche Fehler vorweisen. Zum einen findet in der zitierten Studie „Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen“ in dieser Frage die im Vergleich zum Christentum eigene Art der Religiösität und Gemeindestrukturen der Muslime kaum Berücksichtigung, Zum anderen fällt die Kritik bezüglich der Legitimations-Herausforderung der islamischen Religionsgemeinschaften einseitig aus: Während deren Mitgliederstrukturen auf Herz und Nieren überprüft werden, oft auch unter Weglassen relevanter Informationen - z.B. die eindeutig verifizierbare Gemeindeanzahl - werden die „Gegenmodelle“, wie zum Beispiel die in der DIK sitzenden Partikularinteressen, Einzelpersonen oder auch kleinere Interessenverein, die nach eigenen Angaben für die große schweigende Mehrheit der Muslime sprechen wollen, kaum auf Legitimation und Repräsentanz überprüft.
Die im KRM zusammengeschlossenen Gemeinschaften haben zu dem bereits seit langem ihren Willen bekundet, zusammen an einem gemeinsamen Religionsunterricht mitwirken zu wollen, der sowohl für die Kinder der Mitglieder dieser Gemeinschaften aber auch für jeden anderen, der sich zum islamischen Bekenntnis zählt und daran teilnehmen will, angeboten werden soll.
Dabei muss jedoch von Anfang an die Einhaltung der in 7 III GG angeführten Grundsätze der Religionsgemeinschaften gewährleistet werden. Denn nur dadurch wird ein Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip bei der Einrichtung eines solchen Unterrichts verhindert. Bei den notwendigen Gesprächen zwischen Land und muslimischen Gemeinschaften könnten dann Aspekte wie die bekenntnisgebundene Eignung der bereits im Bereich der "Islamkunde" in NRW aktiven Lehrer, die Bildung von Lehrplankommissionen trotz des Fehlens von Religionslehrern mit religionsgemeinschaftlicher Vollmacht, notwendige Lehrmaterialien, das Einsichtsrecht in den Unterricht und schließlich die inhaltliche Ausgestaltung des Religionsunterrichts insgesamt erörtert werden.
Diese Übereinkünfte dann in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag festzuhalten, der Art. 7 III GG und § 31 SchulG NRW als Rechtgrundlage hat und beide Seiten mit Rechten und Pflichten belegt, stellt für das Staatskirchenrecht kein Novum, sondern gerade die Regel dar. Dieser Weg wird derzeit auch in Niedersachsen gegangen, wo keine Notwendigkeit für ein eigenes Gesetz zur Einführung des islamischen Religionsunterrichts gesehen und somit das Selbstverständnis der Ansprechpartner als islamische Religionsgemeinschaft nicht negiert wird.
BEDEUTUNG DER EINFÜHRUNG EINES ÜBERGANGSGESETZES
Der Religionsunterricht ist nach Art. 7 III GG ordentliches Lehrfach an der Schule. Die Voraussetzungen dafür leiten sich aus Verfassungsnormen, neben Art. 7 III GG auch die korporierten staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung, ab. Dem Landesgesetzgeber steht die Möglichkeit zu, diese Voraussetzungen einfachgesetzlich nachzuzeichnen.
Im nordrhein-westfälischen Schulgesetz wird diese Möglichkeit bereits in § 31 SchulG NRW genutzt. Die geplante Gesetzesänderung geht jedoch weit über dieses Nachzeichnen hinaus. Mit dem Gesetz könnte ein religionsverfassungsrechtlicher Status eingeführt, den es in dieser Form bisher nicht gegeben hat. Nach der Definition im Gesetz wird zwar einerseits eine Religionsgemeinschaft beschrieben, andererseits wird dieser, an der Einrichtung eines Unterrichtes nach § 132 a SchulG mitwirkenden Gemeinschaft diese Eigenschaft gerade mit dieser Vorschrift abgesprochen.
Dabei ignoriert diese Regelung das Selbstverständnis und das Selbstbestimmungsrecht der islamischen Religionsgemeinschaft und der Muslime allgemein. Statt die Qualifikation als Religionsgemeinschaft offen zu lassen, wie es in der Begründung suggeriert wird, wird dessen Nichtvorhandensein gesetzlich festgeschrieben.
Die Entkopplung der Religionsgemeinschaftseigenschaft von dem Selbstverständnis der Gemeinschaften und der praktischen Umsetzung dieses Verständnisses in der Gemeinschaft verstößt insbesondere gegen das staatliche Neutralitätsgebot. Denn das Vorhandensein einer Religionsgemeinschaft könnte so am Ende nur noch vom Vorhandensein eines staatlichen Placets abhängig gemacht, was wiederum bedeuten würde, das der Staat sich Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen der Religionsgemeinschaften zubilligt, die dem Neutralitätsgebot entgegen stehen Zudem würden die muslimischen Gemeinschaften mit ihrer Zustimmung zu dieser Regelung ihrem eigenen Anspruch, Religionsgemeinschaft zu sein, widersprechen und damit ihre Daseinsberechtigung, Funktionalität und Ansprüche auch in anderen Bereichen zur Disposition stellen.
Auch wenn die Gesetzesänderung in Form eines Übergangsgesetzes umgesetzt werden soll, soll es sich bei den Entscheidungen hinsichtlich des zu etablierenden Unterrichts nicht um befristete Regelungen oder Entscheidungen handeln. So werden die einzustellenden Lehrer in der Regel verbeamtet werden, die zu errichtenden Lehrpläne sollen möglichst ihr gesamtes zeitliches und inhaltliches Gültigkeitspotential ausschöpfen und die Schulbücher für das Fach werden sicherlich auch nicht alljährlich inhaltlich völlig neu aufgelegt werden können. Der Begriff des "Übergangs" bezieht sich in dieser Diskussion auf den Status der beteiligten Gemeinschaften, nicht auf die Natur des Religionsunterrichts. An einer tatsächlichen Befristung, wie sie in vielen Gesetzgebungsverfahren immer häufiger angewandt wird, fehlt es hier nämlich.
Die Gesetzesänderung hätte insbesondere Auswirkungen auf die anzuwendenden Verfahren der Etablierung des Religionsunterrichts. Es ist zu befürchten, dass das Gesetz einen neuen Status formuliert, der die Anwendung der bisher etablierten Prozeduren in Frage stellt. Durch die Formulierung eines Nicht-Religionsgemeinschafts-Status, wird gerade die Notwendigkeit der Gleichbehandlung der beteiligten Gemeinschaften in Frage gestellt.
Zudem könnten die Gemeinschaften gezwungen sein, immer wieder in Verhandlungen mit dem Schulministerium über religionsverfassungsrechtlich eigentlich geklärte Sachverhalte einzutreten. Dabei würde der gesetzlich festgeschriebene Status als Nicht-Religionsgemeinschaft immer wieder als Hindernis bei der Wahrnehmung der religionsgemeinschaftlichen Mitwirkungsrechte auftauchen.
Ausstrahlungen hätte das Gesetz als kodifiziertes Recht auch auf andere Bereiche des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaft. Immer dann, wenn es auf die „Qualifikation als Religionsgemeinschaft“ ankommt, würde die Wertung des § 132 a SchulG zum Tragen kommen. Damit würde der Status von muslimischen Religionsgemeinschaften als Religionsgemeinschaften zweiter Klasse verfestigt werden.
Zudem stellt der Entwurf zentrale Aussagen des Religionsverfassungsrechts zur Diskussion. Dies führt dazu, dass solche Modelle eher den Kirchen und dem religionsverfassungsrechtlichen Modell Deutschlands schaden. Denn gelingt die Anerkennung und Integration der muslimischen Religionsgemeinschaften nicht, droht das tradierte System zwischen Staat und Religionen seine Legitimität zu verlieren und die Stellung der christlichen Kirchen würde eine unhaltbare, da ungerechtfertigte Privilegierung gegenüber anderen Religionsgemeinschaten darstellen. Ein solcher Weg sollte im Interesse aller und vor allem des bewährten Modells nicht geebnet werden.
Abgemildert kann dieser Effekt nur durch eine tatsächliche Befristung des Gesetzes, nicht in der Form einer Berichtspflicht, sondern in der Form der Benennung eines Verfallsdatums geschehen, wie es § 111.3 der GGO ermöglicht. Es steht außer Frage, dass alle Akteure früher oder später die Etablierung eines islamischen Religionsunterrichts auf der Basis von Art. 7 III GG und insbesondere § 31 SchulG anstreben. Ein dauerhaft eingerichteter § 132 a SchulG, der von einer Berichtspflicht zur nächsten verlängert wird, würde jedoch den notwendigen Gesprächen und Verhandlungen zwischen dem Staat und den muslimischen Religionsgemeinschaften die Grundlage entziehen. Der in der „Gemeinsamen Erklärung“ zwischen dem Schulministerium und dem KRM zugesicherte Dialog mit der Staatskanzlei, hätte diese Fragen und auch grundsätzliche Fragen bereits aufgreifen können. Diesen Dialog gilt es nun endlich zu etablieren.
BEIRATSREGELUNG
Durch die geplante Beiratsregelung wird die hier dargelegte Ungleichbehandlung deutlich. So stellt schon die Wahrnehmung des Mitwirkungsrechts durch einen Beirat eine bisher ungewohnte Neuerung im Religionsverfassungsrecht dar. Die Meinungsbildung findet dabei in der Religionsgemeinschaft, unabhängig von staatlicher Beeinflussung statt oder baut auf eine Bevollmächtigung durch die entsprechende Religionsgemeinschaft auf.
Der Staat trägt zwar als „Unternehmer“ des Religionsunterrichts die sachlichen und personellen Kosten und übt das staatliche Aufsichtsrecht über den Unterricht aus. Der Inhalt des Unterrichts und die Bekenntniswahrung sind jedoch Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft. Die Bindung an die Grundsätze der Religionsgemeinschaft soll die konfessionelle Positivität und Gebundenheit des Religionsunterrichts gewährleisten. Auch wachen die Religionsgemeinschaften über die Konfessionalität des Religionsunterrichts (Homogenitäts-Prinzip), also über die Bekenntnisbindung von Lehrern und Schülern. Für diese Aufgaben muss die Religionsgemeinschaft dem Staat zwar Ansprechpartner zur Verfügung stellen, sie übt diese Rechte jedoch direkt aus.
Der Religionsunterricht wird materiell in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt (vgl. Art. 7 III 2 GG), d.h. die inhaltliche Verantwortung liegt bei den jeweiligen Religionsgemeinschaften. Deshalb können die staatlichen Lehrpläne, die zu verwendenden Schulbücher und sonstige Unterrichtsmaterialien nicht ohne Zustimmung der jeweiligen Religionsgemeinschaften festgelegt werden. So sehen etwa die Bestimmungen des Codex Iuris Canonici über die Erteilung von Religionsunterricht in der Schule u.a. in cc. 825, 827 § 2 CIC 1983 vor, dass als Unterrichtsgrundlage nur von der (katholisch) kirchlichen Autorität herausgegebene bzw. genehmigte Bücher verwendet werden dürfen.Dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat steht keine Entscheidung darüber zu, ob diese Grundsätze "angemessen" sind.
Bei mehreren Religionsgemeinschaften, die einen Religionsunterricht gemeinsam verantworten sollen, könnte aus Gründen der Praktikabilität ein Gremium zur Meinungsbildung eingerichtet werden. Da über dieses Gremium das Mitwirkungsrecht der Gemeinschaften wahrgenommen werden soll, ist dieses Gremium den Religionsgemeinschaften zuzuordnen. Das schon für den Religionsunterricht geltende Homogenitätsprinzip muss erst recht für solch ein Gremium gelten, denn wenn den Religionsgemeinschaften schon keine konfessionsfremden oder konfessionslosen Schüler aufgedrängt werden dürfen, muss dies insbesondere für ein Gremium gelten, in dem die Inhalte des Religionsunterrichts ausgearbeitet und festgelegt werden sollen. Hier müssen die Religionsgemeinschaften auch keine anderen „Mitentscheider“ akzeptieren, die sich bei ihrer Mitwirkung erst über die Religionsgemeinschaften legitimieren müssen, ohne diesen selbst anzugehören.
Wenn sich die Religionsgemeinschaften zum Aufbau eines Gremiums entschließen, das der Schulbehörde als Ansprechpartner zur Verfügung stehen soll, so muss dieses nicht im Schulministerium verortet werden. Es ist jedoch vorstellbar, dass das Schulministerium als „Unternehmer“ des Religionsunterrichts aus seiner Trägerschaft für die sachlichen und persönlichen Kosten in Absprache und mit Zustimmung der Religionsgemeinschaften die Trägerschaft für dieses Gremium mit übernimmt. Dabei muss gewährleistet bleiben, dass die inhaltliche Verantwortung hinsichtlich des Bekenntnisses weiterhin ausschließlich bei den Religionsgemeinschaften verbleibt.
Dies könnte in Form eines Beirates geschehen, bei dem die inhaltliche Struktur des vormals genannten Gremiums beizubehalten wäre. Inwiefern zusätzlicher externer Sachverstand in das Gremium aufgenommen werden muss, wäre dann wiederum - da dies eine inhaltliche Frage wäre - Angelegenheit der Religionsgemeinschaften. Die Verortung des religionsgemeinschaftlichen Gremiums beim Ministerium wäre insoweit eine Form der organisatorischen Unterstützung der für den Religionsunterricht notwendigen Benennung eines Ansprechpartners, um nicht mit allen vier Gemeinschaften einzeln ins Gespräch treten zu müssen. Eine inhaltliche Einmischung von staatlicher Seite, wozu auch die personelle Ausstattung gehört, würde jedoch gegen die staatliche Neutralität in Glaubensangelegenheiten verstoßen.
Konkret bedeutet dies, dass ein solches Gremium (Beirat) nur aus Vertretern der Religionsgemeinschaften bestehen darf. Doch kann es je nach Diskussionsgegenstand notwendig werden, dass zusätzlicher externer Sachverstand auf Vorschlag der bekenntnisgebundenen Beiratsmitglieder in das Gremium aufgenommen werden soll. Dabei muss jedoch wiederum das Homogenitäts-Prinzip eingehalten werden. Dies kann zumindest dadurch gewährleistet werden, dass die bekenntnisgebundenen Vertreter in Bekenntnisfragen nicht überstimmt werden können. Diesen Anforderungen wird der vorliegende Entwurf des § 132 a Abs. 5 in seiner jetzigen Form nicht gerecht.
INHALTLICHE ASPEKTE
Inhaltlich hat der Gesetzesentwurf neben den hier überblicksartig aufgezählten Problemen noch weitere Aspekte, die angesprochen werden müssen. Eine Vielzahl dieser Schwächen könnte vermieden werden, wenn das Gesetz in wesentlichen Punkten auf die Regelungen des § 31 SchulG verweisen würde. Es ist auffallend, dass die hier noch anzuführenden Aspekte in § 132 a fehlen, während sie im § 31 SchulG im Detail ausgeführt und gesetzlich konkretisiert werden. Hinsichtlich des IRUs bedeutet dies, dass verfassungsrechtlich gebotene Verfahren erst einmal grundsätzlich zur Diskussion gestellt werden.
§ 31 legt die notwendige Mindestzahl an Schülerinnen und Schüler eines Bekenntnisses zur Einführung eines Religionsunterrichts an einer Schule mit 12 fest. Eine solche Konkretisierung fehlt in § 132 a. Auch fehlt es an einer Klarstellung, dass es sich auch beim Religionsunterricht nach § 132 a um einen ordentlichen Unterricht handelt.
Zu begrüßen ist die Teilnahmeregelung, die auf die Angabe des Teilnahmeinteresses bei der Schulanmeldung abstellt. Dies erscheint als die praktikabelste Lösung, um die Frage nach der Bekenntniszugehörigkeit zu lösen. Die Feststellung der eigenständigen Befreiungsmöglichkeit der Schüler ist religionsverfassungsrechtlich richtig, wieso aber bei muslimischen Schülern die Eltern keine Mitteilung darüber bekommen sollen, während dies § 31 für die anderen Religionsunterrichte vorsieht, ist sachlich nicht nachvollziehbar.
Abschließend ist klärungsbedürftig, warum wesentliche Regelungen des § 31 Schulgesetz in dem § 132 a fehlen. Dies sind Regelungen dahingehend, dass der Erlass der Unterrichtsvorgaben im Einvernehmen mit den Religionsgemeinschaften oder dem Beirat , die Festsetzung der Unterrichtsstunden im Benehmen mit diesen, die Bevollmächtigung der Lehrer durch Beirat oder Religionsgemeinschaft erfolgen und die Erwähnung der Möglichkeit auch muslimische „Geistliche“ bei Fehlen von ausgebildeten Religionslehrern einzusetzen - alles Regelungen aus dem § 31 SchulG. Genauso fehlt es an der Klarstellung, dass niemand gezwungen werden darf, Religionsunterricht zu erteilen. Auch das Recht auf Einsichtnahme durch den Beirat oder die beteiligten Religionsgemeinschaften findet keine Erwähnung.
Insgesamt muss gewährleistet werden, dass neue Lösungsansätze nicht noch mehr Probleme aufwerfen als sie Alte lösen. Das laufende Gesetzgebungsverfahren bietet die Möglichkeit, diese Mängel auszubessern. Davon sollte im Sinne eines vertrauensvollen Umgangs zu Beginn einer längerfristigen Kooperation zwischen dem Land NRW und den muslimischen Gemeinschaften Gebrauch gemacht werden. Dies sind wir gerade den muslimischen Kindern schuldig, die es verdienen, dass nicht nur über die Einführung eines bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts an ihrer öffentlichen Schule diskutiert, sondern dieser endlich auch eingeführt wird.
Aiman Mazyek(KRM-Sprecher)
Düsseldorf, 15.09.2011