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Dienstag, 09.08.2011

Über das Wunschdenken Mancher eines liberalen Islam, ohne Substanz und Inhalt und den es am Ende gar nicht gibt - Von Sulaiman Wilms

Lamya Kaddor als angeblich einsame freiheitliche Kämpferin gegen die Übermacht der muslimischen Religionsgemeinschaften

Eigentlich will man sich im Ramadan spirituellen Dingen zuwenden: Neben der Enthaltsamkeit von Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr, sollte man unter anderem auch die Beschäftigung mit deprimierenden Dingen meiden. Lamya Kaddors jüngster Text „Muslimisch, jung, konservativ“ macht aber deutlich, warum die jetzt schon geringe Debatte innerhalb der muslimischen Gemeinschaft schwächelt. Auch wenn ihr Essay anlässlich des Islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen konzipiert ist, wirft er wichtige Fragen auf.

Kaddors Einlassungen (im Falle einer hypothetischen Dominanz) verhindern nicht nur eine von ihr eingeforderte Debatte und Öffnung, sie tragen zur weiteren Atomisierung und damit auch zur bestehenden Orientierungslosigkeit bei. Ihre gleich mehrfach wiederholte Grundthese ist bestechend simpel: Eine Schicht „gebildeter und selbstbewusster“ junger Konservativer, zwischen 20 und 40 Jahren verhindere die „dringend benötigte“ Veränderung „des Islam“. Interessant ist, dass sie an keiner Stelle überhaupt nur einen empirischen Beleg für die Existenz dieser Schicht liefert, noch erklärt, wo oder wie diese Schicht zu finden sei.

Es ist das Verdienst unserer Zeitung, Lamya Kaddor bereits in einem Interview vom Dezember 2008 darauf hingewiesen zu haben, dass der Kern ihrer Hypothese - auf dem sie sämtliche Ansprüche formuliert - auf jeden Fall fragwürdig ist. Damals (als Antwort auf Ihren Anspruch, einen „liberalen Islam“ zu vertreten) befragt, ob man denn liberal beten oder die Zakat zahlen könne, räumte die Westfälin selbst ein, dass das nicht ginge. Wie jede Berufskritikerin fühlt sie sich aber beleidigt, wird sie auf eigene Widersprüche hingewiesen.

Und regiert entsprechend: Dieses Argument, so ihr Essay in der Süddeutschen Zeitung, würde „freiheitlich denkenden Muslimen” entgegengeschleudert. Schade, dass Kaddor die IZ als Argumentenschleuder nicht namentlich erwähnte. Indem sie die Quelle des Arguments verschweigt, erzeugt die ehemalige Münsteraner Dozentin die Illusion einer diffusen Verschwörung von „jungen, konservativen“ Muslimen.

Überhaupt, das gesamte Essay wird von mehreren, an keiner Stelle belegten Hypothesen dominiert; hier ein Beispiel: Einerseits könne man zur Stärke „der jungen Konservativen“ noch nichts sagen, andererseits meldeten sie sich aber in öffentlichen Debatten zunehmend zu Wort. Ganz neben bemerkt, Kaddor offenbart übrigens die gleiche Argumentation, wie sie vielen IslamkritikerInnen zu eigen ist. Hinter der verständlichen Forderung einer „Freiheit des Andersdenkenden“ verbirgt sich nicht selten der Wunsch nach Freiheit vor dem Andersdenkenden.

Wie bei jedem Ideologen funktioniert die Argumentation vor allem, weil die Begegnung, die direkte Auseinandersetzung mit dem Anderen gemieden wird. Gleich im ersten Absatz erzeugt Lamya Kaddor eine Dialektik (hier die guten Liberalen, dort die bösen Konservativen), die in Abwesenheit überzeugender Argumente den restlichen Text mühsam aufrecht erhält.

Die Begriffe konservativ, das Alte und Tradition besetzt sie derart negativ, sodass in diesem polaren Denken das Liberale und Neue per se als das Gute gelten müssen. Es ist für die Lehrerin (das hat sie mit vielen nichtmuslimischen IslamkritikerInnen und ExpertInnen gemein) denkunmöglich, dass es so etwas wie eine legitime Orthodoxie geben könnte. Um diese offenkundig erzwungene Dialektik aufrechtzuerhalten, kommt Kaddor auch nicht umhin, ihren vermeintlichen Widersachern, die immer ungenannt bleiben müssen, mangelnden Veränderungswillen und Unfähigkeit zur Selbstkritik zu unterstellen.

Da erübrigt sich auch die mühsame Aufgabe, selber Inhalte formulieren zu müssen. Bisher blieben uns die gläubigen Liberalen die Antwort schuldig, was sie denn konkret vom Rest der praktizierenden Muslime (sagen wir einmal von einem Chefredakteur der Islamischen Zeitung) unterscheidet. Praktizieren sie die fünf Säulen des Islams nicht oder gravierend anders (Islam)? Haben sie keine oder eine andere innere Glaubenswirklichkeit (Iman)? Streben sie nicht nach spiritueller Perfektion (Ihsan)? Im Rahmen solcher Polemiken geht leider unter, dass Islam aus der Schahada, dem Gebet, der Zakat, dem Fasten im Ramadan und aus der Hadsch besteht. Mit politischen Orientierungen hat diese überzeitliche Lebenspraxis nichts gemein.

„Muslimisch, jung, konservativ“ lässt sich aber ebenso gut als verzweifelter Versuch einer Selbstvergewisserung lesen, der sich nicht an die breitere muslimische Community richtet, sondern vielmehr an die eigene „liberale“ Klientel und vor allem die nichtmuslimische Öffentlichkeit. „Störfeuer“ sei man, so Kaddor, bei der Suche nach Identität und Gruppengefühl. Der „wachsende Einfluss liberaler Kräfte“ lasse junge Konservative nervös werden, hieß es unter anderem.

Vertretungsanspuch entkräftet

Man mag zu „den Verbänden“ (die es übrigens so gar nicht gibt) stehen, wie man will (und die Islamische Zeitung hat in den letzten 15 Jahren vieles, auch kritisches geschrieben), sie sind bisher die einzige Form, in der sich muslimische Gemeinschaftlichkeit in Deutschland entwickelte. Anstatt nun Alternativen zu formulieren (beispielsweise ein Netzwerk an lokalen Moscheegemeinden, die mit einem islamischen Stiftungswesen verbunden sind - auch das ein IZ-Beitrag zur Debatte), denunziert Lamya Kaddor muslimische Gemeinschaften per se. Im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger benutzte die Westfälin den Begriff des „islamischen Kollektivs“. Dass eine solche Wortwahl negativ besetzt ist, dürfte ihr kaum verborgen bleiben.

Als Fachkraft sollte Lamya Kaddor wissen, dass entscheidende religiöse Praktiken wie das Freitags-, Toten- und Feiertagsgebet, aber auch Anfang und Ende des Ramadans, sowie die Einsammlung der Zakat und die Hadsch unverzichtbare gemeinschaftliche Elemente haben. Und bisher sind es, ob es uns gefällt oder nicht, muslimische Verbände (die übrigens nicht so monolithisch sind, wie sie es uns glauben machen will), die dieser Gemeinschaft einen Raum bieten. Was passiert, wenn einzelne subjektiv den „Geraden Weg“ definieren wollen, sieht man in den diversen Terrorakten der letzten Jahre.

An diesem Punkt wird auch die Frage nach dem Vertretungsanspruch entkräftet. Lamya Kaddor mag Recht haben, wenn sie sagt, die muslimischen Dachverbände repräsentieren nicht die nominelle Mehrheit aller Muslime. Aber es kommt bei der religiösen Lebenspraxis auch nicht auf „alle” Muslime an, sondern eben nur auf jene, die ihre Religion auch praktizieren. Der Rest ist, mit Verlaub, in diesem Zusammenhang irrelevant.

„Mittendrin, statt nur dabei!“, möchte man Lamya Kaddor zurufen. Es ist ihrem Anspruch und der spirituellen Gesundheit alles andere als zuträglich, sich von vornherein gegen den Anderen zu definieren. Wenn sie am Ende nur als „Störfeuer“ fungieren wollen (und damit spiegelverkehrt die gleiche Rolle einnehmen wie Pierre Vogel und die seinen), könnte es sein, dass die gläubigen Liberalen den Großteil ihrer Glaubwürdigkeit innerhalb der muslimischen Community einbüßen. Nicht wenige „liberale Muslime“ endeten in der Vergangenheit als bloße Stichwortgeber für strategische Denkfabriken (wie die Rand Corporation oder das American Enterprise Institute) und andere Islamexperten.