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Mittwoch, 01.06.2011
Stigma in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft: Religion = Problem
Im Zweifel gegen den Islam - Für Pragmatismus in den Schulen und bei Schülern
Als mein Sohn (15) vor ein vor einiger Zeit im Sportunterricht leicht stürzte, war sein Lehrer gleich zur Stelle: „Siehst Du, das hast du nun vom Fasten“. Wäre der Junge nicht im Ramadan gestürzt, hätte der Lehrer dem kleinen Umfaller wohl keine weitere Beachtung gezollt…. Mit diesem Beispiel möchte ich nicht Bedenken von Pädagogen generell in Frage stellen. Ich will aber darauf hinweisen, dass die öffentliche Wahrnehmung von muslimischen Glaubensfragen häufig als Problem gesehen wird, denn als Chance etwas zu verbessern.Auf diese Weise entstehen abwehrende Haltungen, die nicht nur religionsfreiheitlich sind, sondern die im Extremfall sogar Glauben als Störung des öffentlichen Friedens wahrnehmen. Aber prägt letzteres zunehmen den Diskurs über Islam in unserer Gesellschaft.
Das gilt auch in der Schule. Ein Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung vor etwa einem Jahr um den Wunsch einiger muslimischer Schüler, in der Pause ihr Mittagsgebet zu verrichten. Vor dem Hintergrund der geschilderten Wahrnehmungen ist ein gelassener Umgang mit solchen Fragen offenbar schwierig. Viel häufiger herrscht – sowohl auf seiten der Schule wie bei Schülern und ihren Eltern – ein Geist von Misstrauen und Widerspenstigkeit, was eine einvernehmliche Lösung fast unmöglich macht. So war die Rektorin des Gymnasiums im Berliner Wedding schlecht beraten, als sie einem Schüler das Gebet untersagte. Gewünscht hätte ich mir auch, dass sich die Familie des Schülers Rat bei islamischen Organisationen und anderen Stellen geholt hätte, statt gleich vor Gericht zu gehen.
Viele Schüler beten meist zu Hause und oft ist es nur das Mittagsgebet, was es nachzuholen gilt. Manche Schüler können und wollen dieses etwa fünfminütige Gebet aber nicht nachholen und verrichten es dann an einem stillen Platz in der Schule. Warum denn auch nicht?
Gelassenheit und Pragmatismus in Kontext von Öffentlichkeit und Religion scheinen verloren gegangen zu sein
Hans-Michael Goldmann, Beauftragter der FDP-Bundestagsfraktion für Kirchen und
Religionsgemeinschaften kommentierte den Wunsch des Schülers sein Gebet in der Schule zu verrichte seinerzeit wie folgt: „Da es an vielen Schulen in Deutschland Stille- und Gebetsräume gibt, ist es nur konsequent, wenn auch Muslime in den Schulen in Ruhe ihrem Gebet nachgehen können." Gelassenheit und Pragmatismus in Kontext von Öffentlichkeit und Religion scheinen aber uns in einer zunehmend säkularisierten Welt immer mehr abhanden zu kommen.
Die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit soll zum einen die Freiheit der Religionsausübung im Staat für alle garantieren und zum anderen aber auch die Freiheit von Religion und ihren konkreten Glaubenspraktiken sicherstellen – z.B. auch den Schutz vor Missionierung. Ein nicht immer einfach auszuhaltender Spannungsbogen.
Durch die übertriebene Nervosität der Schulleitung und die unnötige gerichtliche Aufbauschung wurde aus dem Einzelfall eine Grundsatzfrage. Da fragt man sich: Wäre eine einfachere und pragmatische Lösung nicht auch möglich gewesen?
Nachdem der Schüler in der ersten Instanz Recht bekommen hat, klagte die Schulverwaltung gegen Urteil vor dem Oberverwaltungsgericht (OHG) und bekam ihrerseits Recht. Das OHG begründete es u.a. damit, dass Pluralität ja auch Konfliktpotential bedeute. Und schon erhält der für sicherlich viele Schüler identitätsstiftende und integrative Charakter von Religion wiederum den Makel des vermeintlichen Problems. Anstatt dem Schüler einen natürlichen Umgang mit der gesellschaftlichen Pluralität einüben zu lassen, wird Religion lieber verbannt.
Die Folge ist nun: Dieser Streit hält jetzt überdimensioniert Einzug in das oberste Verfassungsgericht in Karlsruhe. Ähnlich wie beim Kopftuchurteil droht nun Pragmatismus und Gelassenheit auf der Stelle zu treten zu Ungunsten einer individuelle Entscheidung, wo es letztlich immer um ein Abwägen gleichgewichtige verfassungsrechtliche Ansprüche geht - Freiheit zur Religion und Freiheit von der Religion.
Doch diese Abwägungen sind praktischer Art und gehören im Aufeinanderzugehen, Austausch und Einvernehmen zivilgesellschaftlicher Akteure geregelt. Nur im äußersten Notfall sollten sie Gegenstand gerichtliche Auseinandersetzungen sein. Ich fürchte Schule, Eltern und Lehrer haben hier versagt vor Ort eine Lösung zu suchen und ich fürchte auch, dass es diesmal wie beim damaligen Kopftuchurteil wieder zu Lasten der Religion gehen wird.(Ahmed Kalkan)