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Donnerstag, 10.03.2011

Wandel in Nahen Osten: Die neue Weltordnung kommt doch - Von Aiman Mazyek

Drei Erkenntnisse aus den Revolutionen in der arabischen Welt - Warum es für den Westen existentiell notwendig ist jetzt nicht wegzuschauen

Die Bürger Ägyptens, Tunesiens und auch anderer arabischer Länder haben uns alle beeindruckt. Unter Gefahr von Leib und Leben sind sie auf die Straße gegangen, um für Freiheit zu kämpfen. Sie waren entschlossen, sie waren friedlich und alle Schichten der Gesellschaft waren beteiligt: Jung und Alt, Männer und Frauen, Liberale, Geistliche, Muslime und Christen, Vertreter aller politischen Lager – sie alle haben Jahrzehnte währende Diktaturen beendet.

Wir sind Zeugen einer Zeitwende in der islamischen Welt geworden, deren Verlauf unumkehrbar ist und die mehr als deutlich macht, dass Islam und Demokratie miteinander einhergehen können, ja sogar müssen. Die Welt ist Zeuge geworden, wie Christen Muslime während des Freitagsgebets auf dem Tahrir-Platz vor bezahlten Schlägern schützten, und wie Muslime Christen während der Sonntagsmesse schützen. Die ägyptische Revolution lieferte uns Bilder, die nicht in das angenommene Schema von Christenverfolgung und gewalttätigen Muslimen passten. Wir dürfen aber bei aller Freude die vielen Tausend Toten und Verletzten nicht vergessen, die Opfer der brutalen Regime geworden sind, wie gerade das Beispiel Libyen zeigt.

Nicht nur die arabische Welt steht vor einem epochalen Wandel. Auch Europa hat jetzt die große Chance, verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Aber das setzt voraus, dass Europa die eigenen hehren Worte nach Freiheit und Demokratie auch in ehrliche Politik umsetzt. Jahrzehntelang haben Europa und die USA mit Despoten gekungelt, während sie gleichzeitig blind waren gegenüber jenen, die wegen ihres Eintretens für universelle Werte drangsaliert und ermordet wurden.

Westen darf jetzt nicht weggucken

Der Westen darf jetzt nicht wegschauen. Er muss die Freiheitsbestrebungen der Menschen in den arabischen Ländern unterstützen. Ich begrüße die Worte von Außenminister Guido Westerwelle, der die Gewalt in Libyen verurteilt und Hilfe der Bundesregierung für den politischen Wandel in der arabischen Welt zugesagt hat. Zu Recht kritisierte auch Bundespräsident Christian Wulff die laschen Reaktionen der EU in diesem Zusammenhang und mahnte zu entschlossenerem Handeln.

Dies bedeutet im Klartext: Der politische Druck gegenüber den Übergangsregierungen in Tunesien und Ägypten muss aufrecht erhalten bleiben, damit in diesen Ländern freiheitlich demokratische Verfassungen Geltung erlangen. Nur so können Gleichberechtigung und Mitwirkung aller politischen Kräfte durch freie und geheime Wahlen ermöglicht werden. Nur dann ist garantiert, dass Bürger nicht dauerhaft im Ausnahmezustand leben müssen und dass Korruption, Vetternwirtschaft und Verunglimpfung ein Ende haben.

Die Rolle der religiösen Gruppen und wie Fanatiker entgegen allen Vorurteilen keine Rolle gespielt haben

Allen hiesigen Unkenrufen zum Trotz haben religiöse Fanatiker bei den Volksaufständen keine Rolle gespielt. Muslimische Vertreter haben stets betont, dass der Einfluss Radikaler marginal ist. Geglaubt hat man ihnen im Westen nicht. Geglaubt hat man den Diktatoren, die ihre Gewaltherrschaft mit der angeblichen islamistischen Gefahr begründeten. Geglaubt hat man so genannten Islamkritikern, die gläubigen Muslimen grundsätzlich die Fähigkeit zur Zivilgesellschaft absprechen. Nun stellt sich heraus, wie schädlich diese von Islamkritikern und einigen politischen Think Tanks geprägten Annahmen waren. Letztere mündetet nicht selten in aufgebauschten Analysen nahöstlicher Expertisen mit fatalen Folgen. Westliche Staaten verhielten sich in Sachen Menschenrechte und Demokratie nicht selten schizophren gegenüber den Völkern des Nahen Ostens. Obwohl einmal mehr klar sein dürfte, dass der wahre Grund für Terrorismus neben der Armut der Mangel an Freiheit und politischer Mitwirkung ist.

Die Angst vor dem bösen Muslim bleibt dennoch allgegenwärtig – dass hat die Reaktion auf den abscheulichen Mord des Kosovo-Albaners auf US-Soldaten in Frankfurt deutlich gemacht - doch sie scheint Risse zu bekommen. Angesichts der beeindruckenden und mit friedlichen Mitteln eingeleiteten demokratischen Umwälzungen - insbesondere in Ägypten und Tunesien – dürften es die Hohepriester der Angst schwerer haben, ihre These von der islamischen Weltherrschaft weiterhin an den Mann/die Frau zu bringen.

Es hätte übrigens genügt die Plakate der Demonstranten zu lesen und ihre Slogans zu hören, um zu erkennen, was diese Menschen millionenfach auf die Straße getrieben hat: nicht religiöser Fanatismus, sondern die Sehnsucht nach Freiheit, Bürgerrechten, fairen Wahlen und ein Leben in Würde. Aber hiesige Experten und Islamkritiker konnten die Plakate nicht lesen und die Slogans nicht verstehen, weil sie im doppelten Sinne der Bedeutung die Sprache der muslimischen Völker nicht verstehen. Sie wollten nicht einsehen, dass die arabischen Völker die gleichen Sehnsüchte hatten, wie die osteuropäischen Völker vor dem Fall des eisernen Vorhangs.

Muslimbrüder

Und religiöse Gruppierungen, wie die Muslimbrüder, werden sich dem demokratischen Wettbewerb stellen müssen. Sie werden seriöse Antworten auf die gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme ihrer Länder geben müssen, wenn sie vor den Wählern bestehen wollen. Die Ideologisierung der Religion als konzeptionelles Modell wird dabei, - das hat die Türkei, welches in den letzten Tagen oft als Vorbildmodell erwähnt wird - kein wirkungsvolles Rezept sein. Die Zeiten der Ideologisierung der Religion sind – das hat die Revolution ebenso eindrucksvoll und wie für manche hierzulande auch überraschend gezeigt – endgültig vorbei. Das wissen auch die Muslimbrüder.


Bisherige Sicherheitspolitik im Nahen Osten hinterfragen

Angesichts der dramatischen Veränderungen in der arabischen Welt muss die westliche Staatengemeinschaft ihre Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten hinterfragen. War es richtig, Jahrzehnte lang auf Diktaturen zu setzen und Milliarden für eine zweifelhafte Antiterrorpolitik aufzuwenden? War es richtig, mit Autokraten Geschäfte zu machen, Menschenrechtsverletzungen zu ignorieren und auf eine Scheinstabilität zu setzen? Sicherlich nicht, denn so konnten Alleinherrscher unter den Augen der Weltöffentlichkeit ungeniert Menschenrechte mit Füßen treten – sie profitierten dabei der unheiligen Dialektik, der sich der Westen im Kampf gegen Terror verschrieben hatte. Und ohnehin gilt: Die beste Garantie gegen Fanatiker in den arabischen Ländern bieten bürgerliche Freiheiten, soziale Gerechtigkeit und prosperierende Wirtschaften.

Kluge Vorschläge sind jetzt gefragt, wie der vom ehemaligen israelischen Botschafter Avi Primor, der einen Marshall-Plan für die islamische Welt vorschlug. Das sind Rezepte, die in die richtige Richtung weisen. Rezepte, die die Religion nicht als Hindernis sehen oder gar als Teil des Problems, sondern als einen Teil der Lösung begreifen. Und dies wäre die dritte Erkenntnis aus den demokratischen Umwälzungen in der arabischen Welt.

Im Irak und in Afghanistan haben westliche Alliierte vor Jahren mit Gewalt versucht, Demokratie zu „implantieren“ – mit desaströsen Folgen. Nun bietet sich die historische Chance, arabischen Länder zu demokratischen Regierungen zu verhelfen – nicht gegen, sondern mit dem Willen des Volkes. Nach 1989 hat der Westen den Osteuropäern geholfen. Nun muss er im ureigensten Interesse den nahöstlichen Ländern helfen. Die Religionszugehörigkeit darf dabei keine Rolle spielen.