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Mittwoch, 11.08.2010

Ibn Battuta: Die Wunder des Morgenlandes

Ein arabischer Klassiker wird ins Wohnzimmer der deutschen Postmoderne dank dem C.H. Beck Verlag geholt - Von Dr. Mohammed Khallouk

Seit der Antike gehören Reiseberichte zu den bedeutendsten literarischen Werken und zu einem der wichtigsten Verbreitungsinstrumente von Kulturen und Denkweisen. Ohne die Schilderungen Herodots hätte das klassische Griechenland wohl kaum das Bewusstsein dafür entwickeln können, dass jenseits des östlichen Mittelmeerraums sich Hochkulturen entwickelt haben, die der eigenen weder geistig noch materiell nachstanden. Die Berichte Marco Polos aus Asien haben Eineinhalb Jahrtausende später entscheidend dazu beigetragen, dass die Selbstbezogenheit des von der römisch katholischen Kirche dominierten mittelalterlichen Europas zurückging und die zivilisatorischen Errungenschaften nichtchristlicher Völker ihre aufrichtige Wertschätzung fanden.

Der arabische Raum hatte zwar anders als der lateinisch-christlich geprägte Okzident die ökonomische wie kulturelle Beziehung ins ferne Asien und subsaharische Afrika schon seit präislamischer Zeit gepflegt. Ein weitergehendes Interesse für die östlichen Randzonen des islamischen Herrschaftsgebiets und Lebensgewohnheiten jenseits davon, die Vielgestaltigkeit der Landschaften sowie die politischen und religiösen Traditionen außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts vermochten dem als wissbegierig geltenden Mauren jedoch erst die Schilderungen des aus Tanger in Nordmarokko stammenden Rechtsgelehrten Abu Abd Allah Muhammad ibn Muhammad ibn Abd Allah al-Lawati at-Tandschi, genannt Ibn Battuta, zu wecken. Die fantastisch und unglaublich anmutenden Abenteuer dieses Weltdurchziehers können dank der umfangreichen Übersetzungstätigkeit des Arabisten und Islamwissenschaftlers Ralf Elger ein dreiviertel Jahrtausend später auch in deutschen Wohnzimmern nacherlebt werden.

Da Ibn Battuta seine tatsächlichen oder vorgegebenen Erlebnisse seinen marokkanischen Zeitgenossen mündlich vortrug, galt es eine möglichst lange zurückliegende und umfangreiche arabische Niederschrift auszuwählen, um einen Eindruck davon zu vermitteln, welche geohistorischen Dimensionen die Reisen enthielten und in welcher Weise bei der traditionellen maghrebinischen Gesellschaft für Berichte aus der Ferne die Neugierde und Anteilnahme erzeugt werden konnte. Elger entschied sich für eine von dem syrischen Gelehrten Muhammad ibn Fath Allah al-Bailuni aus dem 17. Jahrhundert vorgenommene Zusammenfassung von Ibn Battutas Reiseberichten, von der einige Abschnitte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ins Deutsche übertragen wurden. Eine umfassende deutsche Übersetzung lag hiervon jedoch bislang ebenso wenig vor wie von der Originalfassung des Andalusiers Abu Abd Allah Muhammad ibn Dschuzayy al-Kalbi, eines Zeitgenossen Ibn Battutas.

Orientalische Aufschneiderei und zeitgeschichtliche Landeskunde zu einem kurzweiligen Abenteuerroman vereint

Die ursprünglich als Pilgerfahrt nach Mekka gestartete Reise führte Ibn Battuta, soweit man seinen Berichten Glauben schenken darf, durch ganz Nordafrika, den Vorderen Orient, über die Arabische Halbinsel, nach Süd- und Ostasien und anschließend durch die Iberische Halbinsel sowie in Teile von Schwarzafrika. Gebiete, die seinerzeit zum „Haus des Islam“ zählten und von muslimischen Dynastien beherrscht wurden, dominieren zwar seine Reiseroute, dennoch wird den „Ungläubigen“ in den Berichten ebenso Aufmerksamkeit entgegengebracht wie den zahlreichen islamischen Heiligen und Märtyrer, auf die Ibn Battuta bei jeder sich bietenden Gelegenheit Bezug nimmt. Nicht erst der heutzutage mit seinen Berichten vertraute deutsche Übersetzer seiner Schilderungen Elger sondern bereits sein angesehener Zeitgenosse, der Historiker und Landeskundler Ibn Khaldun (1332-1406) zweifelte die Wahrhaftigkeit von Ibn Battutas Darstellungen an, ungeachtet dessen erscheint es ungerechtfertigt, Ibn Battuta pauschal als „Lügner“ oder gar „Münchhausen des Ostens“ abzuqualifizieren.
Ein wesentlicher Teil seiner Erzählungen sind – wie er selbst betont- Weitergaben aufgenommener Berichte von Dritten, sowie Sagen und Legenden der jeweiligen angeblich bereisten Lokalitäten. Hier ist von einer weitgehend authentischen Widergabe auszugehen. Ob diese Begebenheiten sich historisch detailgetreu in der berichteten Form zugetragen haben, mag dem einen oder anderen zweifelhaft erscheinen. Der Erzähler war mutmaßlich nicht jedesmal in der Lage, dies vor Ort nachzuprüfen, erkannte darin jedoch ein nicht wegzudenkendes Wesenselement der jeweiligen Region, über die er diese seinen marokkanischen Zuhörern kurzweilig und einprägsam vorstellen konnte.

Die überwältigende Resonanz seiner Reiseberichte legen den Schluss nahe, dass die als „unmittelbare Erlebnisse“ vorgestellten Anekdoten von Ibn Battutas Zeitgenossen nicht als „primitive Fantastereien“ angesehen wurden. Vielmehr gehörte es seiner Zeit – im Orient ohnehin – zum begnadeten Erzähler, dass seine Berichte sich nicht auf Alltäglichkeiten beschränkten und er es verstand, aus einem vermeintlich banalen Ereignis mittels seiner Erzählkunst und Ausschmückungsgabe eine Heldensage zu formen. Diese Fähigkeit hat Ibn Battuta wie kaum einer vor ihm und nach ihm besessen und Elger ist es ohne Zweifel gelungen, auch die von der modernen Nachrichtenflut scheinbar abgestumpften Deutschen des 21. Jahrhunderts immer wieder aufs Neue für die Abenteuerberichte des Marokkaners aus dem 14. Jahrhundert zu begeistern.

Einige mögen mutmaßen, Ibn Battuta habe nicht nur die einzelnen erzählten Begebenheiten erfunden, sondern sogar nicht einmal jegliche erwähnten Länder tatsächlich bereist. Sollte dies zutreffen, schmälerte es sein Werk in keinster Weise, denn er hätte es in diesem Fall auf fabelhafte Weise verstanden, aus dem ihm vorliegenden Material zu den jeweiligen Erdregionen in Verbindung mit seinen fantastisch klingenden Abenteuererzählungen diejenigen Informationen herauszufiltern, über die es seiner damaligen marokkanischen Umwelt ebenso möglich war wie den fast 700 Jahre später lebenden Deutschen heutzutage möglich ist, ein umfassendes Bild von der orientalen Welt des Spätmittelalters zu bekommen. Zahlreiche Lücken unseres geohistorischen Wissens lassen sich schließen, ohne den Eindruck zu gewinnen, ein trockenes landeskundliches Sachbuch vor sich zu haben. Die detaillierte Beschreibung der Pflanzenwelt des indischen Subkontinents steht den erst 500 Jahre später als „Pionierleistung“ gewerteten Berichten Alexander von Humboldts aus Südamerika in keinster Weise nach und lässt – ob nun unmittelbar von Ibn Battuta ausgehend oder nicht - moderne Weltbeobachtungsgabe allerhöchster Qualität dahinter erkennen.

Religiös begründete Überheblichkeit oder Hochachtung vor der fremden Kultur?

Da Ibn Battuta ein islamischer Rechtsgelehrter war und in seiner Heimat ohnehin damals wie heute die Religion einen herausragenden Stellenwert im gesellschaftlichen Identitätsbewusstsein einnimmt, erscheint es nicht verwunderlich, dass die Bedeutung der jeweiligen Lokalitäten in der Islamgeschichte immer wieder in besonderer Weise hervorgehoben wird. Ibn Battuta lässt praktisch keine heilige Stätte aus und hebt auch bei den politischen Herrschern muslimischen Glaubens ihre Gottesfurcht immer wieder lobenswert heraus. Eine Überheblichkeit gegenüber den Nichtmuslimen, von denen er zu erzählen weis, kann ihm aus dem zeitlichen Kontext heraus nicht unterstellt werden. Wenn dem türkischen Sultan beispielsweise der Titel als „Unterdrücker der Ungläubigen“ angehaftet ist, mögen Zweifel aufkommen, ob der im Deutschen sehr negativ klingende Terminus „Unterdrücker“ im arabischen Original auf die gleiche Weise verstanden wird und dementsprechend bei arabisch-muslimischen Zuhörern die Assoziationen mit inhumanem Verhalten geweckt hat.
Insgesamt demonstriert Ibn Battuta eine Wertschätzung für andere Religionen und Riten, wie sie seiner Zeit im „christlichen Abendland“ kaum anzutreffen war. Mag er im christlichen Okzident wie im muslimischen Orient bestehende Ressentiments gegenüber Naturvölkern wie z.B. jenes vom angeblichen Kannibalismus aufgreifen, er weis immer wieder zu differenzieren und setzt den Terminus „Unglauben“ zwar mit Nichtmuslimen gleich, in keiner Weise jedoch pauschal mit „Wertungebundenheit“ und „Primitivität“. Zeigt er einerseits die Schattenseiten des hinduistischen Kastensystems als in keiner Weise vorbildlich deutlich auf, lobt er andererseits die Gastfreundschaft und Weltoffenheit der Buddhisten Ceylons. Die Übersetzung darf den deutschen, christlich-westlich geprägten Leser nicht vergessen lassen, dass es sich um die Erzählung eines islamischen Gelehrten für vorrangig muslimisches Publikum handelt, welche zudem ursprünglich in einer wesentlich vom Islam beeinflussten Sprache vorgetragen wurde.
In diesem Bewusstsein erschließt sich dem modernen deutschsprachigen Mitteleuropäer die Toleranz und Weltoffenheit eines spätmittelalterlichen maghrebinischen Reisenden, der nicht nur fremde Länder erkundet hat, sondern - aller gelegentlichen Teilnahmen an „Heiligen Kriegen gegen die Ungläubigen“ zum Trotz – seinen damals erlebten „Clash of Civilisations“ weniger als „gegenseitiges Konkurrieren“ als mehr „voneinander Lernen“ begreift. Mit dieser Unvoreingenommenheit gegenüber dem „Fremden“ ebnete schließlich der Maghreb des 14. Jahrhunderts den Weg für die wissenschaftliche Objektivität, die in der Aufklärung im benachbarten Europa zur Blüte geführt werden konnte. Unter diesem Gesichtspunkt kann Ibn Battuta mit Recht als Vorreiter der Moderne bezeichnet werden und erfreut sich ebenso zu Recht bis ins Deutschland der Gegenwart seiner Hochachtung.

Ibn Battuta: Die Wunder des Morgenlandes - Buchbesprechung
Reisen durch Afrika und Asien – Von
Nach der arabischen Ausgabe von Muhammad al-Bailuni ins Deutsche übertragen, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Ralf Elger
C.H. Beck Verlag, München 2010