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Montag, 15.03.2010

Tariq Ramadans "Radikale Reformen" – Buchbesprechung über die Botschaft des Islam für die moderne Gesellschaft

Tariq Ramadan hat nun sein neuestes Werk vorgelegt: Radikale Reform. 25 Jahre intellektuelle und praktische Anstrengungen, Diskussionen in der akademischen Welt wie in der Praxis gingen diesem Werk voran, so Ramadan.

Wie viele seiner früheren Schriften umfasst die erste Hälfte des Buches ausschließlich theoretische Reflexionen, die mit gewaltigen Konsequenzen verbunden sind. Ramadan gibt sich dieses Mal nicht mit der oft wiederholten Forderung nach dem idschtihad zufrieden, sondern geht weiter: Er verlangt eine Reform der Quellen, der Grundlagen des Islamischen Rechts und der Jurisprudenz (usuul al-fiqh). Und so beschäftigen sich drei von vier Kapiteln mit der Frage der Reform der klassischen Grundlagen der usuul al-fiqh.

Bescheidenheit trotz Titel

Ausgehend von seinen Überlegungen, keine adaptation reform sondern eine transformation reform zu wollen, in der sich das islamische Recht nicht der Realität anpasst, sondern lebendig mit seinen ethischen Ansprüchen die Realität herausfordert, gibt er eine Chronologie der Entwicklung der klassischen Grundlagen des Rechts und der Jurisprudenz wieder.

Die zweite grundlegende Forderung ist es, die Quellen des Rechts und der Jurisprudenz zu überdenken. Und der dritte Vorschlag, der unweigerlich dem zweiten folgen muss, ist einer, der v.a. machtpolitische Auswirkungen haben würde: Die traditionelle Hierarchie der islamischen Autorität zu überdenken, denn diese befinde sich ebenso wie das Denken in einer Krise.

Während der Buchtitel "Radikale Reform" große Erwartungen schürt, kleidet sich der Autor in großer Bescheidenheit. Ramadan beansprucht nicht, das Rad von neuem zu erfinden, sondern gliedert sich in die Kette des islamischen Denkens ein und knüpft bei alten Überlegungen an. Das Konzept der Reform als solches sei nicht neu, sondern immer schon da gewesen; Wenn er dies im Bereich der usul al-fiqh auch nur in Ansätzen, an denen Ramadan anknüpft, um diese konsequent weiterzudenken, sieht.

In den einführenden Kapiteln scheint einiges auf, was Ramadan schon in älteren Werken beschrieben hatte; Sein Verständnis von tajdid, islah, die Unterscheidung von thabit und mutaghayyir sowie ’ibadat und mu’amalat. Die Ausführungen dieser Grundbegriffe gelten als nicht mehr als eine Voraussetzung zum Verständnis des Rests des Textes.

Diesseits und Jenseits

Eine zweite theoretische Grundlage bildet die Nachzeichnung der Entwicklung der Wissenschaft der maqasid (Ziele des islamischen Rechts), die Ramadan in der heutigen Zeit gegenüber dem literarischen, an Formen und nicht an Inhalten orientierten Denken und Praktiken des Islam hintangestellt sieht.

Die normativen Ziele hinter den Regelungen zu sehen und wieder in den Vordergrund zu stellen sei notwendig, um den Quellen des Islam und seiner Spiritualität treu zu bleiben und nicht in der rigiden Befolgung von Formalitäten stecken zu bleiben. Dass auch dieser Ansatz kein neuer ist, zeigt Ramadan mit seinen Hinweisen auf Ansichten klassischer Gelehrter wie Al-Ghazali.

Die Folgerung von Ramadan, auf die schlussendlich alles hinausläuft, ist die Erkenntnis, dass es nicht nur ein Buch (die heiligen Texte des qur’an), sondern neben diesem auch ein zweites Buch, die materielle Welt gibt. Während Ramadan davon ausgeht, dass die früheren Gelehrten der ersten Jahrhunderte nach der islamischen Zeitrechnung diese Welt noch gut kannten, u.a. weil diese auch weitaus weniger komplex war und damals der Universalgelehrte noch existierte, spricht er diese Kompetenzmöglichkeit den heutigen Textgelehrten ab.

Und so argumentiert Ramadan, sei es notwendig, auch Kontextgelehrte, die sich mit dem Buch der Welt im Gegensatz zu den Textgelehrten, die sich mit dem Buch des qur’an und der sunnah beschäftigen, gleichberechtigt neben Zweitere zu stellen. Die Komplexität der Welt verlange dies ebenso wie der Text des qur’an selbst, denn dieser war über 23 Jahre seiner Offenbarung in die Realität des menschlichen Daseins eingebettet, die zu dieser Zeit de n Menschen offen war. Kontextgelehrte sollten stärker als bis dato in muslimische Geistlichen-Räte eingebunden werden, aber nicht nur zur Beratung – wie es heute im Bereich der Medizin bereits vereinzelt geschieht – sondern als gleichrangige Wissenschafter.

"Weiblichere" Auslegung gefordert

Problematisiert werden könnten hier die wissenschaftstheoretischen Implikationen von Ramadan. Indem er das Buch der Welt zu einer Quelle der usul al-fiqh macht, trifft er keine Unterscheidung zwischen dem Buch als solchen und dem Wissen, das aus diesem Buch genommen wird und dementsprechend widersprüchlich und divers sein kann. Zwar könnte hier argumentiert werden, dass ebenso das Buch des qur’an zwar eine Form kennt, aber ebenso wie das Buch der Welt unterschiedlich gedeutet werden kann. Jedoch gibt es

Im letzten Teil des Buches behandelt Ramadan schließlich verschiedene Felder (Ethik und Medizin, Kultur und Kunst, Frauen, Ökologie und Ökonomie, Gesellschaft – Bildung – Macht, Ethik und allgemeingültige Werte) und welche Fragen sich aufgrund vorangegangener theoretischer Überlegungen in dem jeweiligen Feld ergeben. Es sind aber Fragen und keine Antworten, die Ramadan diskutiert. Und so sind manche Forderungen auch tatsächlich schwergewichtig.

So fordert er eine "tiefere (und weiblichere) Auslegung der Schriften und Kenntnisse über die Alltagsschwierigkeiten" in den Diskussionen über Frauen, die zu einer "Erneuerung des islamischen Denkens führen" sollte. Scharfsinnig sind auch so manche Analysen, wenn auch sehr allgemein und oft zu kurz gefallen. Zur Aussprache kommt auch sein "Ruf nach einem Moratorium", das ihm viel Kritik in der islamischen Welt und im Establishment einbrachte und das seiner Ansicht nach seine Kritiker nicht gründlich gelesen hätten. Zu viel Kritik und im Vergleich dazu zu wenige Lösungsansätze sind im abschließenden Kapitel enthalten. Aber das beansprucht Ramadan auch nicht. Demütig, wie es sich für einen muslimischen Denker gehört, bittet er den Allgegenwärtigen um Schutz dieses Werkes, so es nützlich sei.

Es ist mit Sicherheit eines der brillantesten und kreativsten Werke, die uns von einem der wenigen zeitgenössischen muslimischen Denker Europas vorliegen.

Tariq Ramadan: Radikale Reform. Die Botschaft des Islam für die moderne Gesellschaft. Diederichs Verlag. 2009

Autor: Ferdinand Lughofer; Quelle: http://www.kismetonline.at (s.u. Link)




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