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Freitag, 05.02.2010

"Der Staat kann die Inhalte des Islamunterrichts nicht bestimmen"

Interview mit Mouhanad Khorchide – Heißester Kandidat für den Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik in Münster und Nachfolger von Muhammad Kalisch

Die Deutsche Islam Konferenz soll in ihrer zweiten Phase stärker in die Gesellschaft hineingetragen werden, sagte der Innenminister De Maizière kürzlich: „Wichtig ist mir, ein gutes Zusammenleben im Alltag zu fördern. Dazu gehört das Thema der institutionalisierten Kooperation zwischen Staat und Muslimen auf der Grundlage des Religionsverfassungsrechts, also zum Beispiel die schrittweise Etablierung von islamischem Religionsunterricht an Schulen oder islamisch-theologischen Lehrangeboten an Universitäten“. Durch eine Reihe von bevorstehenden Entscheidungen (Wissenschaftsrat, wir berichteten) bewegt sich etwas in dieser Frage; auch steht die Entscheidung, wer Muhammad Kalisch in Münster beerben wird, an.

Lezteres ist auch höchste Zeit, denn seit rund zwei Jahren warten die Studenten auf die Neu-Besetzung des Lehrstuhls für islamische Religionspädagogik, um ordnungsgemäß ihr Studium fortführen zu können. Nun soll die Liste der Bewerber im NRW-Wissenschaftsministerium vorliegen. Mouhanad Khorchide (s.u. mehr zu seiner Person) scheint aussichtsreichster Kandidat zu sein. islam.de sprach mit ihm.



islam.de: Seit dem Skandal um Muhammad Kalisch warten nun die Studenten der islamischen Religionspädagogik an der Universität Münster knapp zwei Jahre auf die Besetzung des Lehrstuhls für islamische Religionspädagogik. Sie sind als Nr. Eins auf der Liste gereiht, mit Ihnen ist wohl zu rechnen, doch: Sollte zukünftig nicht besser die Zustimmung der muslimischen Religionsgemeinschaften bei der Vergabe der Professuren erfolgen, so wie es eigentlich unsere Verfassung vorschreibt?

Mouhanad Khorchide:Der Wissenschaftsrat hat vor wenigen Tagen den Aufbau islamischer Studiengänge an deutschen Universitäten empfohlen. Zur Gestaltung der wissenschaftlichen Studiengänge empfiehlt der Rat theologisch kompetente Beiräte. Diese sollen zudem an der Auswahl des wissenschaftlichen Personals beteiligt sein. Bestehen soll der Beirat aus Vertretern muslimischer Verbände und Religionsgelehrten. Ich unterstütze diese Empfehlungen des Wissenschaftsrats und sehe darin eine große Chance für die islamische Theologie in Deutschland.

Wir müssen wissen, dass das Berufungsverfahren in Münster noch nicht ganz abgeschlossen ist. Der neue Professor für islamische Religionspädagogik wird viele verantwortungsvolle Aufgaben haben, das Land NRW plant die baldige Einführung des islamischen Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen, wir werden also sehr viele gut qualifizierte islamische Religionslehrerinnen und Lehrer benötigen.

In der islamischen Ideenlehre gibt es viele humanistische und aufklärerische Ansätze, mit denen es sich sachlich auseinanderzusetzen gilt, um eine zeitgemäße islamische Theologie etablieren zu können. Ich sehe den Lehrstuhl am Centrum für religiöse Studien in Münster als Chance, um sich sachlich diesen und vielen anderen Aufgaben zu widmen.

islam.de. Was verstehen Sie unter einer zeitgemäßen Theologie für Kinder?

Mouhanad Khorchide:Wir benötigen dringend eine islamische Religionspädagogik, die schülerorientiert ist. Die schülerorientierte islamische Religionspädagogik steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Als Grundlage für die Entwicklung einer zeitgemäßen islamischen Religionspädagogik und -didaktik sollen aber viele empirische Forschungsarbeiten dienen. Zur Bewältigung solcher Großprojekte ist es notwendig, dass die Lehrstühle für islamische Religionspädagogik in Deutschland miteinander und mit anderen Disziplinen sehr eng zusammenarbeiten.

islam.de Können Sie sich vorstellen, dass der Unterricht in der Moschee auch dazu gehört?

Mouhanad Khorchide:Wir wissen, dass ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler, der sich für einen schulischen Islamunterricht interessiert, einen islamischen Religionsunterricht in einer Moschee besucht. Ich bin der Überzeugung, dass beide Unterrichte komplementär sein können und sollen und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Die Schülerinnen und Schüler sollen sowohl zu ihrer jeweiligen Moscheegemeinde, als auch zum Religionsunterricht an ihrer Schule Vertrauen aufbauen können. Dies setzt allerdings eine enge Kooperation zwischen der islamischen Religionspädagogik an den Universitäten und den Moscheegemeinden voraus. Ich persönlich pflege einen guten Kontakt zu den meisten muslimischen Verbänden in Deutschland, gerade auch mit Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland.

islam.de: Welche Chancen sehen Sie für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland?

Mouhanad Khorchide:Bisher gab es nur Modellversuche für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland. Ich bin mit der wissenschaftlichen Betreuung des Modellprojekts „Islamischer Religionsunterricht für Sekundarstufe II“ in Rheinland-Pfalz beauftragt und verfolge die positiven Entwicklungen dieses Modells und anderer Modelle. Die flächendeckende Einführung des islamischen RU nach Artikel 7, Absatz 3 ist für die Integration des islamischen RU als ordentliches Fach an den öffentlichen Schulen sehr wichtig. Der Islam soll im Rahmen und Raum der öffentlichen Schule seinen Platz finden. Viele Bundesländer arbeiten inzwischen in diese Richtung. Wir stehen heute allerdings vor der Herausforderung, junge Menschen mit einem muslimischen Hintergrund dafür zu begeistern, sich als islamische Religionslehrer zu qualifizieren, da wir in den kommenden Jahren sehr viele gut qualifizierte islamische Religionslehrerinnen und -lehrer benötigen werden. Neben seiner Kernaufgabe, den Schülerinnen und Schülern das islamische Glaubensgut zu vermitteln, erfüllt der islamische Religionsunterricht eine wichtige Integrationsleistung, indem er den Schülerinnen und Schülern hilft, ihre muslimische und deutsche Identität miteinander zu vereinbaren. Dass dies schon im Kindes- und Jugendalter geschieht, ist ein zentraler Aspekt.

Mouhanad Khorchide will die muslimischen Relgionsgemeinschaften einbinden

islam.de: Das Land kann ja nach Art. 7,(3) nicht selber den Religionsunterricht einführen, dafür braucht´s eine Religionsgemeinschaft; welche Rolle schreiben Sie also den muslimischen Verbänden bei der Bewältigung dieser Aufgaben zu?

Mouhanad Khorchide:Artikel 7,(3) sieht eine Kooperation zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften vor. Der Staat kann die Inhalte des Religionsunterrichts nicht bestimmen, hier ist er auf die Zusammenarbeit mit den Glaubensgemeinschaften angewiesen. In Deutschland ist die Frage nach der Vertretung der Muslime noch offen. In Österreich hingegen vertritt die Islamische Glaubensgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Muslime seit 1979, denn der Islam ist als Glaubensgemeinschaft in Österreich seit 1912 anerkannt, dies hat aber historische Gründe und ist nicht das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Staat und den Muslimen. Wir brauchen in Deutschland dringend einen muslimischen Ansprechpartner für den Staat, von dem sich aber die Mehrheit der Muslime in Deutschland, die eine sehr plurale Gruppe darstellen, vertreten fühlt. Ich habe in den letzten Wochen Gespräche mit den muslimischen Verbänden in Deutschland geführt und bin der Überzeugung, dass hier der Wunsch und der Wille nach einer gemeinsamen Linie besteht. Die Errichtung des Koordinierungsrats der Muslime im Jahre 2007 ist sicher ein entscheidender Schritt in diese Richtung. Die Erfahrungen aus Österreich verdeutlichen, welche Verantwortung solch eine Institution hat. Über viele Jahre hatten wir in Österreich das Problem, dass in der Islamischen Glaubensgemeinschaft eine kleine Gruppe, die sehr stark arabisch geprägt war, die Führung der Glaubensgemeinschaft inne hatte. Dies führte später zu vermehrter Kritik, auch unter den Muslimen selbst, da nicht immer die Interessen aller, sondern einzelner Gruppierungen vertreten wurden. Von den positiven, aber auch den weniger positiven Erfahrungen aus Österreich sollten wir hier in Deutschland lernen.

islam.de Was zeichnet nach Ihrer Meinung einen gut qualifizierten islamischen Religionslehrer aus?

Mouhanad Khorchide:Das "Muslimsein" allein ist lange nicht Qualifikation genug, um ein guter Islamlehrer zu sein. Auch ein guter Theologe ist nicht per se ein guter Islamlehrer. Ein Islamlehrer bzw. eine Islamlehrerin muss sowohl auf inhaltlicher, als auch auf menschlicher Ebene authentisch sein. Auf der einen Seite muss ein Islamlehrer gut reflektiert sein, das setzt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen und Lehrmeinungen innerhalb der islamischen Theologie, aber auch innerhalb der Religionspädagogik und -didaktik voraus. Auf der anderen Seite muss er in seinen Handlungen, als frommer, barmherziger und verantwortungsvoller Mensch und Mitbürger ein Vorbild sein.

islam.de: Also bekenntnisorientiert und wissenschaftlich zugleich…?
Mouhanad Khorchide:Ja, so könnte man es sagen




islam.de. Fälschlich wird gesagt, dass der Islam eine reine Gesetzesreligion ist, in der es lediglich um Befolgung von Gesetzen geht. Wie sehen Sie das Konzept der Frömmigkeit im Islam, also den Teil, der auch das Bekenntnis in diesem Unterricht ausmacht?

Mouhanad Khorchide:Das Herz steht nach islamischem Verständnis im Zentrum des Konzepts der Frömmigkeit (Taqwa). Das Herz als Stätte der Frömmigkeit ist Hauptadressat der islamischen Erziehung; der Prophet Mohammed beschrieb seinen Auftrag wie folgt: „Ich wurde entsandt, um die guten Charaktereigenschaften zu vervollkommnen!“. Als einmal ein Mann zum Propheten kam, um ihn nach dem Guten und dem Verwerflichen zu fragen, erhielt er keine Liste an guten und schlechten Dingen, sondern folgenden Rat: „Frag dein Herz!“ Dies wiederholte der Prophet drei Mal, und sagte weiter zu ihm: „Das Gute ist, was du mit deinem Herzen vereinbaren kannst, und schlecht ist, was dein Herz ablehnt, auch wenn die Menschen dir immer und immer wieder etwas anderes als Fatwa [islamisches Rechtsgutachten] vorgeben.“. Dem Propheten Mohammed ging es also um die spirituelle und ethische Erziehung des Gewissens zu einem Maßstab für humanes Handeln. Ihm ging es nicht um die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter ein religiöses Gesetz. Er sagte: „Ihr kennt euch in Dingen, die euren Alltag betreffen, besser aus als ich. In Angelegenheiten, die den Gottesdienst betreffen, sollt ihr euch aber an mich wenden.“ Sein Herz zu läutern bedeutet, seine Schwächen und seine schlechten Charaktereigenschaften zu erkennen, sich damit zu konfrontieren und daran zu arbeiten, sein Ego unter Kontrolle zu bekommen. Die Rolle des Koran und der prophetischen Tradition (Sunna) dabei ist, den Menschen beim Prozess des Läuterns seines Herzens zu unterstützen, ihn an seine menschlichen Stärken, aber auch Schwächen, an seine Bestimmung als verantwortungsvollen Verwalter und an seine ethische und soziale Verantwortung seinen Eltern, Verwandten, den Armen, Schwachen, seiner Gesellschaft und der ganzen Menschheit gegenüber zu erinnern.

islam.de: Herr Mouhanad Khorchide, wir danken Ihnen für das Interview


Zur Person: Mouhanad Khorchide:, geboren im Libanon, studierte im Libanon islamische Theologie und Soziologie in Österreich und promovierte zum Thema „Islamischer Religionsunterricht in Österreich“. Insbesondere seine in der Dissertation aufgestellte Kritik über eine Reihe von Lehrern hat Wellen in Österreich geschlagen und zog auch scharfe Kritik der Islamischen Relgionsgemeinschaft in Österreich nach.

Khorchide war Universitätsassistent an der Forschungseinheit Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien und Lehrbeauftragter für den privaten Studiengang für das Lehramt für islamische Religion an Pflichtschulen (IRPA) in Wien und ist seit September 2009 wissenschaftlicher Begleiter des Modellprojektes „Islamischer Religionsunterricht in der Sekundarstufe I“ in Rheinland-Pfalz. Im Rahmen des Projekts „Religious orientations and life styles among Muslims in Austria: A comparison of first and second generations“ ist er seit Dezember 2009 als post-doc an der Universität Wien tätig.