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Samstag, 02.06.2001
Islam heißt Frieden ...
Spiegelinterview: Ägyptens Religionsminister Hamdi Saksuk über Scharia und die Schreckensherrschaft der Taliban
SPIEGEL: Herr Minister, Ussama Ibn Ladin ruft zum Terror gegen den Westen auf, die Taliban in Afghanistan bedrohen Muslime, die Christen werden wollen, mit dem Tod und zerstörten im März die weltberühmten buddhistischen Statuen von Bamian. Die Fanatiker berufen sich auf Allah ...
Saksuk: ... und begehen damit Frevel. Ich verstehe die Taliban nicht, und ich verurteile sie. Islam, das heißt doch vor allem Toleranz. Unsere Religion setzt sich ein für Frieden, Freiheit und Menschenwürde. Gott hat den Propheten Mohammed gesandt, "um den Menschen in aller Welt Barmherzigkeit zu erweisen". So sagt es der Koran, der dem Menschen ausdrücklich auch die Freiheit der Wahl in religiösen Fragen gewährt: "Wer nun will, möge glauben, wer nicht will, soll es lassen."
SPIEGEL: Von Toleranz und Barmherzigkeit merken wir wenig, wenn wir die Verhältnisse in so genannten islamischen Republiken wie Iran oder Pakistan betrachten.
Saksuk: Jedes Land soll sich so gestalten, wie das Volk das haben will. Wir wollen demokratisch sein, aber ich sehe keinen Grund, anderen unsere Auffassungen aufzuzwingen.
SPIEGEL: Verträgt sich eine Demokratie nach westlichem Muster - Parlamentsherrschaft, eine unabhängige Justiz - wirklich mit den Vorschriften des Islam? Verhindert nicht die Scharia, die auf Allah und seinen Propheten gründende Rechtsordnung, mit ihren strikten Vorschriften für alle Lebensbereiche wirkliche Pluralität?
Saksuk: Mohammed gab Medina eine Verfassung. Darin hat er die Menschenrechte verankert sowie die Pluralität der religiösen Gruppen und kulturellen Interessen - die Juden waren ein Bestandteil dieser Gesellschaft, mit gleichen Rechten ...
SPIEGEL: ... aber nur, solange sie sich unterordneten ...
Saksuk: ... und mit gleichen Pflichten. Im Islam sind vor Gott und dem Gesetz alle Menschen gleich. Der Koran will, dass die Gesellschaft nach zwei Prinzipien gestaltet wird: Gerechtigkeit und Mitbestimmung. Der Prophet hat sich, wenn er in einer Angelegenheit keine göttliche Offenbarung empfing, mit seinen Gefährten
besprochen. "Berate dich mit ihnen", lautet Gottes Befehl an den Propheten im Koran. Mohammed ist - auch mal gegen seine Überzeugung - der Mehrheitsmeinung gefolgt.
SPIEGEL: Wenn das so ist, warum gibt es dann, jedenfalls nach westlichen Maßstäben, keinen einzigen wirklich demokratischen Staat in der islamischen Welt?
Saksuk: Ach, die Maßstäbe des Westens. Der Islam hat schon in der Vergangenheit bewiesen, dass er im Stande ist, in einem toleranten Staatswesen blühende Kulturen zu vereinen. Er kann weltoffener, lernfähiger und flexibler sein als das Christentum. Denken Sie nur an das Kalifat von Córdoba im 10. Jahrhundert. Und nicht wir hatten die Inquisition.
SPIEGEL: Sie hatten aber auch nicht die Aufklärung. Und keinen Martin Luther ...
Saksuk: ... der, wie es heißt, vom Koran beeinflusst gewesen sein soll.
SPIEGEL: Wir dachten, Luther hätte nur den Papst noch mehr gehasst als den Propheten Mohammed.
Saksuk: Der Koran sieht für Muslime nicht zwingend bestimmte Formen der Demokratie vor. Deshalb gibt für uns den Ausschlag auch nicht der Westen, der ja seine Demokratiekonzepte möglicherweise auch der veränderten Wirklichkeit anpasst. Nein, entscheidend ist für uns: Gerechtigkeit, Mitbestimmung, Meinungsfreiheit.
SPIEGEL: Gerade die Meinungsfreiheit ist doch überall in den islamisch geprägten Staaten eingeschränkt - selbst im weltoffenen Ägypten. Erst vor sechs Jahren wurde der Literaturkritiker Abu Seid von einem ägyptischen Gericht zum Ketzer erklärt und sollte von seiner muslimischen Frau zwangsgeschieden werden. Er sah keinen anderen Ausweg, als nach Europa zu fliehen.
Saksuk: Ich würde ihm nie das Recht auf seine religiösen Auffassungen absprechen. Inzwischen wurde der Fall juristisch neu aufgerollt. Schriftgelehrte haben niemals die Befugnis, anderen das Lebensrecht abzusprechen, deshalb ist auch eine "Todes-Fatwa" in Wahrheit unislamisch ...
SPIEGEL: ... wie sie etwa Ajatollah Chomeini gegen den Autor Salman Rushdie gerichtet hat.
Saksuk: "Wenn einer jemanden tötet ... soll es so sein, als ob er alle Menschen getötet hat", heißt es im Koran. Es gibt in Ägypten jetzt auch keine Zwangsscheidung mehr, Abu Seid hätte heute nichts mehr zu befürchten. Ich denke, er wird eines Tages wieder in seine Heimat zurückkehren.
SPIEGEL: Auch der ägyptische Literatur-Nobelpreisträger Nagib Mahfus wurde und wird von fanatischen Muslimen bedroht. Er kam bei einem Attentat nur knapp mit dem Leben davon.
Saksuk: Diese Verbrecher pervertieren unsere Religion. Sie sind Außenseiter der Gesellschaft, solche gibt es in allen Gesellschaften. Aber immer spricht man nur vom "islamischen Terror", das ist unfair. Die Radikalen bei uns haben so wenig mit dem wahren Glauben zu tun wie die irregeleiteten Christen in Amerika, die im Namen ihrer Religion Ärzte in Abtreibungskliniken erschießen.
SPIEGEL: Solcher Fundamentalismus scheint in islamischen Ländern aber tiefer verankert und weiter verbreitet zu sein. Radikale Professoren gibt es selbst an der richtungweisenden Azhar-Universität. Manche Beobachter glauben, sie gewännen immer
mehr an Einfluss.
Saksuk: In Ägypten sind die Radikalen eine winzige, allerdings sehr lautstarke Minderheit. Ich kenne einige dieser Schreihälse, sie sind im Gegensatz zu meinem Kollegen, dem Azhar-Großscheich Tantawi, kleine Geister. Sie klammern sich bei ihrer Koran-Auslegung an einzelne Buchstaben und sehen den größeren Zusammenhang nicht.
SPIEGEL: Toleranz gegenüber Intoleranz?
Saksuk: Man sollte sie gewähren lassen - außer wenn sie zu Mord oder Umsturz aufrufen. Sollte einer der Prediger beim Freitagsgebet die Volksmassen aufhetzen, erfahre ich davon und handele sofort. Alle 40 000 Moscheen des Landes unterstehen mir, und ich kann die Lizenz zum Predigen entziehen.
SPIEGEL: Einige Schriftgelehrte in Kairo postulieren, Frauen müssten sich aus der Politik heraushalten. Die Taliban in Kabul verbieten Mädchen sogar die Schulbildung. Steht das im Koran?
Saksuk: Die entsprechende Textstelle soll mir mal einer zeigen. Die Frau ist dem Mann im Islam gleichgeordnet, hat ein uneingeschränktes Recht auf Arbeit und Bildung. Es gibt auch keinen Schleierzwang, nur die Aufforderung, sich unanstößig zu kleiden. Frauen können selbstverständlich auch hohe Staatsämter übernehmen.
SPIEGEL: Wohin bewegt sich die islamische Welt? Wird die afghanisch-intolerante Variante an Boden gewinnen oder eher die ägyptisch-moderate?
Saksuk: Gott hat die Menschen unterschiedlich geschaffen. Aber ich hoffe, es gibt immer wieder eine positive Erneuerung und Modernisierung.
SPIEGEL: Die Grenzen der islamischen Welt seien blutig, es werde zwangsläufig zu einem "Krieg der Kulturen" kommen, predigt der US-Professor Samuel Huntington.
Saksuk: Das glaube ich nicht. Das sind Feindbilder von gestern. Wir müssen friedlich koexistieren und den Dialog suchen - gleichgültig, welcher Religion und Kultur wir angehören.