islam.de - Druckdokument - Druckdatum: Freitag, 15.11.24
http://www.islam.de/1211.php


islam.de - Alle Rechte vorbehalten

Montag, 30.08.2004

"Wir müssen durch Parteieintritt - in alle wirklich demokratisch gesinnten Parteien - dazu beitragen, dass die Parteiprogramme islamkonformer werden"

Murad Hofmann spricht "Tacheles" zum Demokratieverständnis im Islam, Muslime in westlichen Parteien und den Ergebnissen der Tagung "Islamic Governance" an der Königlichen Akademie für Islamisches Denken im Amman (Jordanien).

Dr. Murad Wilfried Hofmann gehört zu den profundesten deutschsprachigen Kennern des Islam und der islamischen Welt. Der promovierter Volljurist arbeitete 33 Jahre im diplomatischen Dienst, zuletzt als Botschafter in Algerien und Marokko. Er konvertierte 1980 zum Islam, vollzog mehrfach die Pilgerfahrt nach Mekka. Das heutige Ehrenmitglied des Zentralrates der Muslime in Deutschland war von 1983-1987 Informationsdirektor der NATO. Er hat zahlreiche Bücher über den Islam geschrieben, die in vielen Sprachen der Welt übersetzt worden sind. islam.de sprach mit ihm über islamisches Demokratieverständnis, Muslime in westlichen Parteien und den Ergebnissen der Tagung "Islamic Governance" Hier einige Zitate vorweg:

"Ich vermisste auf Seiten der arabischen Muslime vor allem das Gefühl für die Dringlichkeit demokratischer Reformen"

"...... zur Verhinderung von Machtmißbrauch ist Demokratie nicht nur mit dem Islam kompatibel, sondern jeder anderen Regierungsform überlegen (...)1300 Jahre überwiegend despotischer muslimischer Geschichte sollten uns davon überzeugen."

"..... überzeugen, dass sie ihre Schweinshaxe und ihr Kölsch mit Schuss auch dann noch genießen könnten, wenn die Muslime zur Mehrheit würden."


Die Tagungen der Königlichen Ahl al-Bait Foundation for Islamic Thought in Amman (Königlichen Akademie für Islamisches Denken) finden alle zwei Jahre statt und gelten als überaus ergiebig und intellektuell solide (islam.de berichtete). Dr. Murad Hofmann ist dort Vollmitglied und kommt gerade aus Amman zurück.

islam.de: Herr Dr. Hofmann, welche Botschaft geht von der Tagung nach Ihrer Sicht aus und welches herausragendes Ergebnis würden Sie hierbei feststellen wollen?

Dr. Hofmann: Die Ahl al-Bayt Foundation for Islamic Thought in Amman ist zweifellos die seriöseste der von mir periodisch besuchten islamischen Konferenzen. Ihre Qualität beruht auf einer ausgewogenen Mischung von östlichen und westlichen Muslimen, Professoren und Imamen sowie Sunniten und Schiiten. Allerdings ist eine Überalterung der Teilnehmer unübersehbar. 2004 ging es um "Islamic Governance", d.h. die islamische Regierungsform, also ein hochaktuelles Thema. Dabei fiel auf, dass die meisten Muslime aus den muslimischen Kernländern keinen Gegensatz zwischen Schura und Demokratie sehen, obwohl Schura doch nur einen kleinen Aspekt dessen abdeckt, was westliche Muslime mit Demokratie verbinden, nämlich republikanische Staatsform, Gewaltenteilung, Rotation der Staatsämter aufgrund allgemeiner Wahlen, Rechtsstaatlichkeit im Verfassungsstaat. Die nichteuropäischen Muslime stolpern immer noch all zu oft darüber, dass Demokratie wörtlich "Volksherrschaft" bedeutet. Diese nominalistische Denkart hindert sie auch zu erkennen, daß Parlamente in westlichen Demokratien keineswegs beschließen können, was sie wollen, sondern - ebenso wie in einer "Schurakratie" - an unabänderliche Verfassungsvorgaben gebunden sind. Bei Muslimen spielt halt die göttliche Scharia diese begrenzende Verfassungsrolle.

islam.de: Welchen praktischen Nutzen/Wert kann dieses Ergebnis für die hier lebenden Muslime haben und was können sie tun, damit die Gedanken und Arbeiten der Tagung in die gesellschaftspolitische Arbeit der Muslime mit einfließen?

Dr. Hofmann: Dass alle Teilnehmer außer mir sich offensichtlich scheuten, auf dem Boden eines haschemitischen Königreichs die Frage nach der islamischen Staatsform zu diskutieren, trug zu dem zwar intellektuell stimulierenden aber nicht-konkludenten Ergebnis der Tagung bei.
Ich vermisste auf Seiten der arabischen Muslime vor allem das Gefühl für die Dringlichkeit demokratischer Reformen. Manche begnügten sich sogar mit dem Hinweis, dass das notwendige Maß an Beratung (Schura) ausweislich des Qur`an ja schon von der Königin von Saba verwirklicht worden sei... Wir können nur hoffen, dass sich die positive Einstellung vieler im Westen lebender muslimischer Denker, darunter Fathi Osman, Taha Jabir al-Alwani, Rashid al-Ghannouchi, Jeffrey Lang und Azam Tamimi, immer stärker von der muslimischen Kernwelt absorbiert wird.

islam.de: Sie haben wegen ihren ausgedehnten Vortragsreisen viele Länder besuchen können, insbesondere im Westen, können Sie uns Beispiele gelungener Umsetzungen dieses Konzeptes nennen?

Dr. Hofmann: Ich sehe mich als eine Art Brückenbauer, der auf seinen Vortragsreisen im Westen und im Osten von beiden Seiten gleichzeitig an einer Begegnung der beiden Welten arbeitet; denn die Missverständnisse und das Misstrauen auf beiden Seiten sind monumental. Leider leisten die meisten westlichen und östlichen Medien keine Aufklärungsarbeit, sondern oft eher propagandistische Desinformation. Seit dem 11. September ist auf beiden Seiten Angst hinzugetreten und damit emotional geschürte Irrationalität. Zumal die Muslime im Westen zu Geiseln von Terroristen geworden sind, welche den Islam im Mund führen, kann ich keine nachhaltige oder gar dauerhafte Erfolgsbilanz aufweisen. Es mag schlechter werden, bevor es besser werden kann.

islam.de: (Scheinbar hinkt Deutschland da hinterher), umso interessanter: In vielen Teilen Deutschlands stehen dieses Jahr z.Z. Kommunal -und Landtagswahlen an, wie kann eine aktive Beteiligung am politischen (Meinungsprozess) dafür aussehen?

Dr. Hofmann: Die Muslime in Deutschland sind auch dann von den hiesigen politischen Prozessen betroffen, wenn sie wie Opfer abseits stehen; dann ist es aber doch ihre Pflicht, sich in die Politik so einzubringen, daß der Islam ein von allen Parteien zu berücksichtigender Faktor vor und nach der Wahl wird. Dies ist keine Assimilation, sondern ein Schritt hin zu der von uns zu erwartenden Integration in die Mehrheitsgesellschaft, als einer ihrer unverwechselbaren Bausteine. Eine islamische Partei zu gründen, liefe auf eine Verschwendung muslimischer Wahlstimmen hinaus. Aber wir dürfen auch nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag auf eine Partei warten, deren Gesamtprogramm, innen- wie außenpolitisch, uns behagt. Vielmehr müssen wir durch Parteieintritt - in alle wirklich demokratisch gesinnten Parteien - dazu beitragen, dass die Parteiprogramme islamkonformer werden, so wie dies auch Katholiken, Protestanten und Juden tun. Insgesamt handelt es sich dabei um die Verwirklichung des Fiqh-Grundsatzes, dass man - vor zwei Übeln stehend - das geringere Übel wählen muss. Politische Isolation wäre jedenfalls das größere Übel.

islam.de: Ein Teil der Muslime macht sich immer noch mit Begriffen Demokratie und Volksvertretung schwer, was würden Sie denen zurufen und empfehlen?

Dr. Hofmann: Als eine Ideologie können wir uns mit Demokratie nicht anfreunden, aber als ein Mechanismus zur Verhinderung von Machtmissbrauch ist Demokratie nicht nur mit dem Islam kompatibel, sondern jeder anderen Regierungsform überlegen; denn nur Demokratie garantiert hinreichend, dass auch die Kontrolleure kontrolliert werden. 1300 Jahre überwiegend despotischer muslimischer Geschichte sollten uns davon überzeugen.

islam.de: Fehlt es etwa an einer Entwicklung einer politischen Kultur unter den Muslimen, oder erstickt gar die stete existenzielle Betrachtungsweise (alles oder nichts, Islam oder kein Islam) jede politische Betätigung, wo es ja vornehmlich um auf Kompromiss aufgebaute Entscheidungen geht?

Dr. Hofmann: Es gibt viele Gründe dafür, warum es in der muslimischen Welt bisher - außer in Malaysia - zu keiner wirklich demokratischen Entwicklung gekommen ist. Dieser Negativbefund ist schließlich für den größten Teil der Menschheit typisch - noch immer in Asien, Afrika und vielfach in Südamerika. Schließlich ist die erst seit 1950 dauerhafte Demokratie hierzulande den Deutschen auch von außen aufgezwungen, nicht von ihnen selbst erkämpft worden. Besondere Hindernisse für eine demokratische Entwicklung in der muslimischen Welt sind in folgenden Faktoren zu sehen: (i) Fehlen einer Zivilgesellschaft; (ii) Bunkermentalität zufolge der Kolonisierung; (iii) schlechte Erfahrungen mit Demokratien (u.a. in Kaschmir, Algerien, Palästina und Tschetschenien); (iv) westliche Unterstützung von absolutistischen und Militärregimen in der muslimischen Welt; (v) PALÄSTINA. Niemand hat Demokratie in der 3. Welt so stark diskreditiert wie imperialistisches Auftreten der USA und ihre Mittäterschaft in Palästina.
Hinzukommt die unhistorische sektiererische Intoleranz unter zeitgenössischen Muslimen, die mangelnde Transparenz ihrer Organisationen und der oft zu geringe Bildungsgrad ihrer Imame.

islam.de: Warum diskutieren oft Teile der Mehrheitsgesellschaft über die Beteilung der Muslime in der Politik unter dem Deckmantel der islamischen Infiltrierung unserer Gesellschaft� Stichwort Gang durch die Institutionen - , bei anderen Gruppierungen z.B. Juden, Christen oder anderer relevante Gruppen dieser Gesellschaft erkennt man es an als ein ehrenwertes und ziviles Bürgerrecht an, von dem eine demokratische Gesellschaft ja letztendlich lebt?

Dr. Hofmann: Da Europa in geradezu erschreckendem Ausmaß entchristlicht und damit irreligiös geworden ist, empfinden viele der säkularisierten Europäer jede Form aktiver, in den öffentlichen Raum hineingetragener Religiosität als eine Gefahr für die inzwischen etablierte materialistische und konsumeristische Lebensform. Man fürchtet für seine "Wellness" wie für seine legalisierte Drogenwelt (Nikotin, Alkohol, Haschisch) für den Fall, dass die Muslime das Sagen hätten, so unwahrscheinlich dies statistisch gesehen auch ist. Religionen werden nur noch toleriert, wenn sie zu einer bloßen Privatangelegenheit, also "privatisiert" werden. Vor den Muslimen erschrickt man, weil nur sie ihre Religion noch ganz ernst nehmen und in ihr eine allumfassende Lebensform (ad-din) sehen. Es ist daher essentiell, dass die hiesigen Muslime ihre Umwelt davon unterrichten, dass das islamische Minderheitenrecht das liberalste Statut für Andersgläubige ist, das die Welt bis heute gesehen oder normiert hat.
Nur so können wir hoffen, unsere Nachbarn davon zu überzeugen, dass sie ihre Schweinshaxe und ihr Kölsch mit Schuss auch dann noch genießen könnten, wenn die Muslime zur Mehrheit würden.

islam.de: Bruder Murad, wir danken Ihnen für das Gespräch.(Das Interview führte Aiman Mazyek, Chefredakteur islam.de)