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Mittwoch, 22.04.2009

Gebt allen Berlinern eine Chance! Wo sind der Mut und der liberale Geist einer Gesellschaft, wundert sich eine muslimische NRW-Lehrerin über den Kulturkampf in Berlin

Als Bürgerin des Landes Nordrhein-Westfalen kann ich gar nicht verstehen, was gerade die Bürger und Bürgerinnen in Berlin so enorm beschäftigt und in zwei Lager spaltet: Religionsunterricht als „ordentliches Lehrfach“ an staatlichen (Berliner) Schulen. Geht es darum, dass alle Schülerinnen und Schüler gezwungen werden sollen, an diesem Unterricht teilzunehmen? Nein. Das wäre ein Zwang, eine Nötigung zu einer Handlung, die nicht mit der freien Entscheidung der jeweils betroffenen Person übereinstimmen und damit einigen unserer Grundrechte wie Art. 3 (niemand darf auf Grund seiner religiösen bzw. nicht-religiösen Anschauung bevorzugt oder benachteiligt werden) oder Art. 4 (dass die religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse unverletzlich sind) widersprechen würde.
Also: Ethik als „ordentliches Lehrfach“ an staatlichen (Berliner) Schulen. Geht es darum, dass alle Schülerinnen und Schüler gezwungen werden sollen, an diesem Unterricht teilzunehmen? Nein. Das wäre ein Zwang, eine Nötigung zu einer Handlung, die nicht mit der freien Entscheidung der jeweils betroffenen Person übereinstimmen und damit einigen unserer Grundrechte wie Art. 3 (niemand darf auf Grund seiner religiösen bzw. nicht-religiösen Anschauung bevorzugt oder benachteiligt werden) oder Art. 4 (dass die religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse unverletzlich sind) widersprechen würde.

In der nordrhein-westfälischen Landesverfassung heisst es im dritten Abschnitt, der sich z.B. mit dem Schulwesen beschäftigt in Artikel 7 (1) : „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.“ Und auch das nordrhein-westfälische Schulgesetz nennt in § 2 (2) den gleichen Inhalt als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule: „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung. …“
Ähnlich wie in NRW lauten Landesverfassung und Schulgesetzgebung auch in anderen Bundesländern. Neben dem evangelischen und dem katholischen Religionsunterricht findet mittlerweile in einigen Bundesländern alevitischer Religionsunterricht statt und ebenso in derzeit noch unterschiedlichen Varianten eine Vorstufe des islamischen Religionsunterrichts (z.B. Islamkunde). Ganz selbstverständlich gibt es auch den Ethikunterricht. Entsprechend dem Grundgesetz wird so in den meisten Bundesländern ohne viel Aufregung etwas ganz Selbstverständliches umgesetzt: allgemein gültige Werte und Normen werden entsprechend deutscher Gesetzgebung im Religions- und Ethikunterricht vermittelt. Die jeweils andere Haltung bezüglich des Bekenntnisses oder Nicht-Bekenntnisses wird dadurch kennengelernt, dass die katholischen und evangelischen Schüler die jeweils andere Konfession/Weltanschauungshaltung in den Unterricht einladen, dass die jeweiligen Gruppen eine Moschee und eine Synagoge besuchen, dass gemeinsam Feste gefeiert werden (Weihnachtsfeiern sind obligatorisch, islamische Feste am Ende des Ramadans oder das Abrahamsfest/Opferfest, gegenseitige Einladungen zur Kommunion, Konfirmation, Firmung usw.) und natürlich auch gerne der freie „Feiertag“ im Kalender genutzt wird obwohl man gerade mit dem religiösen Fest aus Gründen der Überzeugung gar nichts zu tun hat. Ebenso haben sogenannte „Brauchtumsfeste“ wie Kaneval (ich weiß, wovon ich rede als Rheinländerin) und Halloween und gesellschaftspolitische Gedenktage wie der Maifeiertag und der Tag der Deutschen Einheit im schulischen Alltag ihren Platz. Sie alle machen Schule zu einer bunten Welt und zeigen unseren Kindern, dass in der Vielfalt eine große Chance liegt. Sie selber lernen, sich selber nicht so wichtig zu nehmen und doch eine eigene Identität mit einer eigenen Anschauung zu entwickeln, deren Freiheit immer dort aufhört, wo die Freiheit des Andersdenkenen anfängt.
NRW ist ein buntes und vielfältiges Land, genauso wie Berlin. Warum sollte in Berlin nicht möglich sein, was in NRW seit sechzig Jahren möglich ist? Warum sollten die Berliner nicht die Chance bekommen, ihren Kindern eine Freiheit zu gewähren, die andere Bundesländer ihren Kindern immer schon gewähren? Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach von entsprechenden Lehrkräften unterrichtet. Identität verlangt eigene Standpunkte und damit auch immer eine Abgrenzung zum Anderen. Identität entsteht in der Auseinandersetzung zwischen den Generationen, im Idealfall auch im guten Geschichtsunterricht und im Religionsunterricht. Es ist eine Illusion zu glauben, dass nur durch den Ethikunterricht die Schüler „neutral“ über „verschiedene Kulturen, Lebensweisen, die großen Weltreligionen und zu Fragen der Lebensgestaltung“ (§ 12 Abs. 6 des Schulgesetzes von Berlin zum Ethikunterricht) unterrichtet werden können. Ein Lehrer ist nie völlig neutral. Gute Schüler erkennen immer die Vorlieben und Abneigungen ihrer Lehrer zu Politik und Religion!

Deshalb kann es nur eine Lösung geben: Der Religionsunterricht und der Ethikunterricht gleichberechtigt nebeneinander.

Für den evangelischen und den katholischen Religionsunterricht liegen die kompletten Lehrpläne durch die Kirchen vor. Islamische Lehrpläne existieren ebenfalls (z.B. durch den Zentralrat der Muslime in Deutschland) und müssen nur noch ergänzt werden. Wie schon bekannt ist, sind die großen islamischen Verbände in Deutschland für einen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in staatlichen Schulen. Dazu gab es in den Medien Pressemeldungen. Es kann also nur im Interesse auch der Muslime sein, dass die Berliner „ihren“ Religionsunterricht und Ethikunterricht bekommen. Deshalb hoffe ich ganz persönlich, dass alle muslimischen Berliner ihr demokratisches Recht auf Abstimmung am Sonntag nutzen werden. Denn es geht nicht allein um die Einrichtung des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts. Es geht ganz grundsätzlich um die Einrichtung von Religionsunterricht für alle Religionsgemeinschaften an den öffentlichen Schulen Berlins.

Maryam Brigitte Weiß
Frauenbeauftragte und stellvertr. Vorsitzende des ZMD
Hauptschullehrerin