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Freitag, 30.01.2009

Weltsozialforum: "30 Milliarden pro Jahr könnte den Hunger weltweit stoppen" - Rettung der Banken vor Rettung der Menschen?

100.000 Aktivisten beim Weltsozialforum in Brasilien – Schwere Kritik von Attac an die Adresse der Bundesregierung: "Konzeptionslosigkeit"

In der brasilianischen Amazonasmetropole Belém ist das neunte Weltsozialforum mit Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem eröffnet worden. Im Mittelpunkt des Treffens von Zehntausenden Globalisierungskritikern steht heute der Schutz des Regenwalds in Amazonien.

Zur Eröffnung waren am Dienstag Tausende Aktivisten aus aller Welt durch Belém gezogen. Viele Teilnehmer bekundeten auch ihre Solidarität mit den Palästinensern im Nahen Osten. Vor allem Brasilianer prägten mit ihren Fahnen, Transparenten und Gesängen das Bild. Indianische Volksgruppen führten Tänze auf. Das Weltsozialforum ist ein Zukunftsprojekt der Zivilgesellschaft, wobei der Erfahrungsaustausch zwischen den gut 100.000 Aktivisten wie immer im Vordergrund steht.

Viele Teilnehmer bereiten einen globalen Aktionstag zur Finanzkrise am 28. März vor - Tage später treffen sich die Staatschefs der G-20 zu einem Krisengipfel in London. "Es ist paradox", räumt der Attac-Ökonom Elmar Altvater gegenüber dem „Standard“ ein. "Durch die Teilsozialisierung der Banken erscheint die Gegenseite plötzlich als radikal."

Er ist zuversichtlich:: "Davos wurde durch den Druck von außen gezwungen, Umweltfragen auf die Tagesordnung zu setzen", meint er. "Und intelligente Regierungen haben erkannt, dass sie viele unserer Vorschläge aufgreifen können."

Vom 27. Januar bis zum 1. Februar 2009 kommen über 100.000 Menschen aus Nichtregierungsorganisationen, Religionsgemeinschaften und Gewerkschaften zum neunten Weltsozialforum im brasilianischen Belém zusammen. Einen Tag nach der geplanten Zusammenkunft der Staatschefs trifft der brasilianische Präsident Da Silva die Vertreter des Internationalen Rates des Weltsozialforums zu einem Meinungsaustausch

Unterdessen hat in der gestern in Madrid zu Ende gegangenen Konferenz der Vereinten Nationen über Nahrungsmittelsicherheit das Netzwerk Attac den Verantwortlichen der Politik Versagen vorgeworfen. "Auf der Welt hungert fast eine Milliarde Menschen. Doch der Gipfel hat die zentralen Ursachen der Hungerkrise nicht thematisiert. Statt der Bekämpfung von Symptomen ist eine grundlegende Neuordnung des internationalen Finanz- und Handelssystems zu Gunsten der Länder des Südens notwendig", sagte Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

Attac fordert, die Spekulation mit Agrarrohstoffen strikt zu begrenzen. "Es waren politische Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass die Finanzmärkte in den vergangenen Jahren auch im Agrarsektor immer größere Bedeutung bekommen haben. Diese Entwicklung rückgängig zu machen, ist ebenso eine Frage des politischen Willens", stellte Jutta Sundermann klar. Nachdem um die Jahrtausendwende die IT-Spekulationsblase geplatzt war und 2007 die Immobilienblase in den USA folgte, drängten die Finanzanleger auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten auf die Rohstoffmärkte. Dies provozierte dort einen Teil der dramatischen Preissteigerungen, die 2008 die Zahl der Hungernden nach oben katapultierten.

Der Bundesregierung warf Attac vor, die akute Nahrungsmittelkrise zu ignorieren und keine Konzepte für ihre Bekämpfung zu haben. "Offensichtlich ist die Bundesregierung zu sehr mit der Rettung von Banken und der deutschen Automobilindustrie beschäftigt. Gleichzeitig forciert sie jedoch weiterhin Versuche der Europäischen Union, Freihandelsverträge mit verschiedenen Regionen im Süden abzuschließen, die die Nahrungsmittelkrise nur verstärken", kritisierte Kerstin Sack, ebenfalls vom Attac-Koordinierungskreis.

Kerstin Sack: "Täglich sterben 20.000 Menschen am Hunger und seinen Folgen. Es ist ein Skandal, dass das Menschenrecht auf Nahrung für einen Großteil der Menschheit nur auf dem Papier besteht. Wir erleben gerade, wie in kürzester Zeit in den Industrieländern hunderte Milliarden Dollar zur Rettung von Banken mobilisiert werden. Mit 30 Milliarden pro Jahr könnte der Hunger weltweit gestoppt werden."