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Freitag, 21.11.2008
„Man wird entweder zum Alkoholiker oder zum Attentäter gemacht“ - Aiman A. Mazyek bespricht das Buch „Big Shots“ von Michael Lüders
„Big Shots“ sind sechs Geschichten packender Gegensätze, Extremsituationen und die direkte Konfrontation mit dem Fremden, manchmal Unfassbaren. Michael Lüders, der Autor des Romans „Aminas Restaurant“, beschreibt diese kenntnis- und einfallsreich, subtil und bisweilen ironisch, was die Story auch bei weiterem Hingucken interessant erscheinen lässt.
In dem 200seitiges Buch sind seine Protagonisten auf der Suche nach dem richtigen Lebensentwurf, verloren vor sich selbst, vielfach dem Lebensglück nachjagend, um es dann doch jammernd hinter sich zu lassen.
Lüders nutzt die Kulissen und Schauplätze wie Paris, Ägypten, Isfahan oder Berlin geschickt, um neben manch schrägem Lebensentwurf auch gleich süffisant die geopolitischen Sackkassen aufzuzeigen und das finales Elend in der Welt, was meist durch Unzulänglichkeit und Feigheit der Menschen entstanden ist, zu beschreiben.
Lüders Geschichten lesen sich wie naive Versuche von Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturentwürfen – Muslime – Christen– Atheisten –, das Leben unterschätzen zu wollen.
Das ist es die Liebe, gar Sexualität, die viel mehr, als man zugibt, Schicksalswege entscheidet und da ist die Angst vor der Langeweile, die dem gefährlichen Dasein davon laufen will.
Mit der Erfahrung eines Wanderers zwischen den Welten deckt er bekannte orientalische Sagen auf bis hin zu den Weisheiten des Nassreddin Hoca, er lässt manchen arabischen Wortwitz oder deutsch-arabische Wortschöpfung, mit einfließen. Seine ortskundigen Beschreibungen wie beispielsweise eines ägyptischen Bazar sind so treffend: „Es roch nach Gewürzen und Schweiß, nach dem Blut geschlachteter Tiere, nach Minze und Vergeblichkeit“, dass der Insider schnell erkennt: Dieser Autor ist schon immer gerne von den eingestampften Touristenpfaden abgewichen.
Zu dem Geschichten
Da ist z.B. der der Fotograf Max in New York, der herausfinden will, ob ein Mörder in ihm steckt. Vergänglichkeit und Inszenierung ist das Markenzeichen dieser Welt der Schönen und Reichen, die hier schmerzhaft entblättert wird.
Eigentlich bleibt Max in der Welt des Glitzer und Glamour verhaftet nur wegen seiner unerfüllbaren Liebe zu dem Fotomodel. Er lässt sich sogar deshalb das Leben als Täuschung gefallen, indem er die Fotografie mit seinem Leben eintauscht, ein teuer bezahlter Erfolg.
In einer anderen Geschichte bekommt Viktor Bredin, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, hautnah Hass und Gewalt in einem politischen Krisengebiet zu spüren.
Ein Diplomat für hoffnungslose Fälle, der einen alten muslimischen Freund aus alten Grünen-Tagen in Deutschland nun im Krisengebiet besucht.
Die politische Krise spitzt sich zu und sein anfängliches leises Bedauern für seinen alten Freund entwickelt sich zur Angst um ihn und schließlich zur Bewunderung für sein Eintreten für die Menschen, als er die in Lebensgefahr befindlichen Flüchtlinge in seinem Hotel aufnimmt.
Beinah erklärbar, sogar entschuldbar wirkt das Sinnieren von Viktor, wenn er sagt: „Ein Toter war ein Unglück, tausend Tote waren eine Tragödie und zehntausend Tote eine Statistik“. Der Leser, mit solch UNO-Mathematik hart konfrontiert, ist sogar bereit für folgenschweren Satz Partei zu ergreifen, der hierzulande durchaus das BKA auf den Plan rufen könnte: In solchen Ländern und Krisen wird man „entweder zum Alkoholiker oder zum Attentäter“.
Der Sarkasmus bereitet einem da noch nicht mal das große Kopfzerbrechen, es ist die Verwirrtheit, die sich vor der nackten Wahrheit einfach nicht verflüchtigen will.
Zurück nach Europa, wo die Geschichte von Mademoiselle Julie erzählt wird. Augenscheinlich will sie kein erstrebenswertes Ziel im Leben verfolgen, sprich Karriere machen, um dann das Geld den Banken und Steuerberatern in den Rachen zu schieben, und der es auch nicht um Sex im Leben geht - zumindest nicht in erster Linie.
Dennoch versucht sie herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammen hält und pendelt zwischen „trunkenen Molekülen und verdrängter Lust“ in ihren Tag – und Nachtträumen hin und her.
In Europa bleibend ist da noch der Trouble Shooter Zelder aus Hannover. Er hat Angst vor dem gewöhnlichen Dasein und mit jedem Schritt kommt ihm scheinbar näher. Bis er eines Tages für den Bau einer Solaranlage in Ägypten beauftragt wird, dabei von einem Heiligen aus Assiut engstirnig und gleichzeitig kindlich naiv die Sinnfrage des Lebens „beigebracht“ bekommt – zugegeben etwas dürftig in seinem Gehalt, doch ebenso wirkungsvoll:
„Glaubt an euch, hört auf eure innere Stimme, macht eure Träume zu dem Fundament einer neuen Ordnung, in der niemand über den anderen herrscht. Niemand außer Gott“.
Dies bringt ihn schließlich um das Vorhaben in der Wüste. Über diesen neuerlichen „himmlischen“ Auftrag stolpert er, zerstört das Programm der Solaranlage und verteidigt sein Glück.
Angst hat auch der türkische Restaurantbesitzer in Berlin, der die Schwierigkeiten des Zusammenlebens am eigenen Leib erfährt und davor sich am meisten fürchtet, bis er seine Michaela kennen lernt. Als er dann später mit seinen deutschen Schwiegereltern ein Kochwettbewerb veranstaltet: Kebab gegen Sauerkraut, deutsches Spießertum gegen türkische Machos, beschreibt sie es treffend als „mission impossible“.
„Ich bin Journalist geworden, weil es in diesem Beruf am leichtesten ist, vor sich selber davon zu laufen“, hört man schließlich den deutsch-iranische Journalisten, mit seinen Erlebnissen unter dem Paradiesbaum in Isfahan aufsagen. Und doch zieht es ihn nach vielen Jahren in den Iran, wie viele Türken und Araber in der 2. und 3.Generation hierzulande, die es letztlich doch dahin zieht, um die Wurzeln aufzustöbern und zu ergründen.
Das ist wie mit dem eigenen Haus, welches ohne muffigen und geheimnisumwobenen Dachboden mit den dazu gehörigen Erinnerungsfotos eben kein richtiges, vollständiges Haus ist. Und irgendwann wirst du den Weg zum Dachstuhl auf dich nehmen.
Er erlebt dort eine Welt, die im irgendwie vertraut und doch irgendwann fremd geworden ist. Als er mit einem Menschen namens Atom (ein Schelm, wer dabei Böses denkt) über den „Webfehler der Dreieinigkeit“ diskutiert, entdeckt er wieder seine europäischen Wurzeln, obgleich er an sich feststellt, dass er mit jeden neuen Tag seines Aufenthaltes im Iran ein wenig mehr Iraner wird.
„Vielleicht wird der Mensch weicher, verständiger, wenn er mehr als einen Standpunkt, eine Kultur in sich trägt“.
Spricht da etwa Nah-Ost-Experte Lüders, der in Damaskus arabische Literatur studiert und in Kairo als Redakteur der ZEIT gearbeitet hat? Vielleicht. Wahrscheinlich aber ist es ein Sinnsucher, der hier wie beiläufig vorbei geschaut hat.
Lüders, Michael: Big Shots: Geschichten unter dem Paradiesbaum.
Arche Verlag, 2008. 208 Seiten, gebunden (ISBN: 3716023817) € [D] 18,00 / SFR 32.90