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Montag, 03.11.2008

Der Islam wird sichtbar in Deutschland - Von Matthias Drobinski

Zum Moscheebau gibt es keine Alternative. Vom "Wunder von Marxloh“ und anderen Selbstverständlichkeiten

Das "Wunder von Marxloh" hat der frühere nordrhein-westfälische Bauminister Michael Vesper den Bau einmal genannt. Das Wunder von Marxloh besteht aus vielen kleinen Dingen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten: Eine türkisch-muslimische Gemeinde hat ihr Gebetshaus mit größtmöglicher Transparenz geplant und Nachbarn, Politik, Stadtplaner einbezogen. Diese Nachbarn und die Stadt wiederum haben den Bau akzeptiert und unterstützt, so blieben hier die bitteren Konflikte aus, die es sonst so oft gibt, wenn eine Moschee gebaut werden soll: in Köln und Berlin, München und Frankfurt. Zur Einweihung kommen der Ministerpräsident, die kirchlichen Würdenträger, ein türkischer Minister. Und der Stadtteil im Schatten der Hochöfen, der bis hin zum Klischee als Viertel der Armen, Migranten und Gewalttäter beschrieben wird, hat Grund, stolz auf sich und sein neues Wahrzeichen zu sein.

Der Islam wird sichtbar in Deutschland. Ungefähr 160 der insgesamt 2500 muslimischen Gebetsstätten sind derzeit als Moscheen erkennbar, mehr als 180 sind geplant oder im Bau. Nicht, weil die Zahl der frommen Muslime in Deutschland so dramatisch steigen würde: Der Anteil der monatlichen Moscheegänger liegt nur einen Prozentpunkt über dem der monatlichen katholischen Kirchgänger, steht im aktuellen Bertelsmann-Religionsmonitor. Doch werden viele der kleinen Moscheen in den kommenden Jahren verschwinden, weil sich das Verhältnis der Muslime zu ihrer neuen deutschen Heimat ändert: Sie wollen nicht mehr in Werkshallen beten. Sie wollen sich, ihren Glauben, ihre Identität nicht mehr verbergen: Hier sind wir, sagen sie.

Natürlich bringt das Konflikte mit sich. Wer für alle erkennbar als Muslim in Deutschland leben will, muss sich auch der Kritik stellen. Wer für einen sichtbaren Islam eintritt, dann aber die Transparenz vermissen lässt, darf sich nicht wundern, dass seine Umgebung ihm misstraut. Wenn der Imam der in diesem Monat eröffneten Berliner Ahamdyya-Moschee mit großväterlicher Wärme sein merkwürdiges Frauenbild zum Besten gibt, ist das sehr wohl der Kritik würdig. Es ist auch ein schlechtes Zeichen, dass in Köln Politiker, die den Moscheebau unterstützen, seufzen, wenn die Rede auf die Informationspolitik des türkisch-staatlichen Moscheeverbandes Ditib kommt. Und Bürger, die fragen, welcher Golfstaat diesen oder jenen Moscheebau finanziert, sind nicht einfach Islamfeinde.

Mancher Moscheeverein hat tatsächlich zweifelhafte Verbindungen, und viele Imame predigen ein Gesellschafts-, Frauen- und Familienbild, das vielleicht bei konservativen Katholiken in den 50er Jahren aktuell war, das heute aber nur noch ärgerlich ist. Ein sichtbarer Islam macht auch dies sichtbar. Das kann - und sollte - für traditionell denkende Muslime unangenehm werden.

Zum Moscheebau allerdings gibt es keine Alternative. Die Religionsfreiheit ist ein Pfeiler der Grundrechte, und es muss schon gewichtige Gründe geben, den Bau einer Moschee zu verweigern. Dazu gehören nachweisliche Bestrebungen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen, oder Aufrufe zur Gewalt, sei es gegen Andersgläubige, gegen abgefallene Muslime oder gegen Frauen. Unerheblich ist es zunächst aber, dass eine Moschee nicht ein Gotteshaus ist wie eine christliche Kirche, sondern auch ein Versammlungsort, ein soziales und politisches Zentrum. Unerheblich ist auch die theologische und politische Ausrichtung. So umstritten die Zeugen Jehovas sein mögen - sie haben das Recht, ihre Königreichsäle zu bauen. Gleiches gilt für Muslime. Über die Art und Weise des Baus darf diskutiert werden. Ein Moscheebau an sich aber ist keine Gnade des Staates, sondern Ausdruck eines Menschenrechts.

Ein Tag Heimatgefühl
Das Wunder von Marxloh konnte auch geschehen, weil hier der Moscheevorstand anders zusammengesetzt ist als anderswo: Junge Leute haben die Migranten der ersten Generation ersetzt, beruflich erfolgreiche Aufsteiger mit perfektem Deutsch, darunter eine 36-jährige Bankerin - mit Kopftuch. Der Islam in Deutschland ändert und entwickelt sich, auf eine vielfältige, widersprüchliche Weise. Er ist fromm geworden, frommer als die Religion derer, die sich vor 40 Jahren auf den Weg ins ferne Deutschland machten. Neun von zehn Muslimen bezeichnen sich als mehr oder weniger religiös. Die Zahl der Kopftuchträgerinnen hat zugenommen, immer noch gibt es Zwangsheiraten. Gleichzeitig aber wächst seit Jahren in Umfragen die Toleranz dieser religiösen Muslime. Und dass es die Muslima gibt, die kopftuchtragend, im engen Pullover und händchenhaltend mit ihrem Freund durch die Fußgängerzone flaniert, gehört zu diesem merkwürdig widersprüchlichen Bild.

Der Islam in Deutschland ist überwiegend die Religion der türkischen Migranten, auch deshalb vermischen sich Religions- und Migrationsprobleme: die Gewalt der jungen Männer, deren Männerrollen zerbrechen, die autoritären Strukturen in vielen Familien, die Entrechtung der Frauen, der politische Streit über die Zukunft der Türkei zwischen strammen Kemalisten und gemäßigten Islamisten. Und gleichzeitig versucht dieser Islam in Deutschland anzukommen, ist - mal mehr und mal weniger gern gesehener - Gast der Islamkonferenz bei Innenminister Wolfgang Schäuble. Es gibt die ersten Lehrstühle für islamische Religion, Hunderttausende Schüler werden inzwischen in unterschiedlicher Form über den Islam unterrichtet.

Die Marxloher Moschee mit ihrer Heimweharchitektur, mit ihrem Imam aus der Türkei, bezahlt vom türkischen Staat, mit ihrem jungen, dynamischen Moscheevorstand - dies alles zusammen steht für das In- und Miteinander von Aufbruch und Beharrung, das den Islam in Deutschland kennzeichnet. Es ist ein Islam, der ankommen will und doch noch nicht angekommen ist. Einer, dem die Theologen fehlen und der intellektuelle Diskurs, dem fehlt, was im Christentum nach langer Zeit und langem Streit entstanden ist: eine breite Mitte von Gläubigen, die religiös und aufgeklärt zugleich sind. Die glanzvolle Eröffnung bietet für einen Tag jenes Heimatgefühl, das viele Muslime in Deutschland vermissen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Doch danken darf man für das kleine Wunder von Marxloh trotzdem: Allah, Gott, wem auch immer.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, mit freundlicher Genehmigung des Autors