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Montag, 15.09.2008
Es gibt keinen militärischen Sieg im "Kampf gegen denTerror" - Kommentar von Michael Lüders
Und bei uns heißt das: Weg mit diesem unseligen Generalverdacht gegenüber dem Islam, stattdessen eine intelligente Integrationspolitik
In der islamischen Welt ist ein Großteil der Bevölkerung davon überzeugt, El Kaida habe die Anschläge vom 11. September 2001 mit Hilfe der US-Regierung und Israels begangen. Absurd, gewiss. Und doch zeigt diese Wahrnehmung, dass der Westen den Kampf um die Köpfe und Herzen der Muslime längst verloren hat. Vor allem Washington ist es im Verlauf von immerhin sieben Jahren nicht gelungen, eine klare, einfache Botschaft zu vermitteln: Wir verteidigen uns gegen den Terror, aber wir führen keinen Kreuzzug gegen den Islam.
Der Sündenfall war nicht der Sturz der Taliban, der Gastgeber Osama bin Ladens, und die politische Neuordnung in Afghanistan. Dafür gab es auch zwischen Rabat und Jakarta viel Zustimmung. Nicht aber für die Instrumentalisierung des "Krieges gegen den Terror", der bald schon die gesamte Region militärisch ins Visier nahm. Spätestens mit dem Irak-Krieg 2003.
Saddam Hussein hatte mit El Kaida bekanntlich nichts zu tun. Trotzdem wurde er auch unter Verweis auf 9/11 gestürzt. Nicht der Sturz selbst ist das Problem, sondern die Begleitumstände. Hunderttausende Iraker haben den Krieg und die bis heute andauernde Anarchie mit dem Leben bezahlt.
Der "Krieg gegen den Terror" hat Probleme geschaffen, die mittlerweile gefährlicher anmuten als die alten. Das betrifft insbesondere die ausweglose Lage in Afghanistan und die wachsende Instabilität Pakistans als Folge der afghanischen Verhältnisse.
Hinzu kommen die Drohungen Washingtons und Israels gegen den Iran und die westliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Palästinenser. Nimmt es wunder, dass auf diesem Nährboden Verschwörungstheorien gedeihen und radikale Islamisten immer wieder neuen Zulauf erfahren?
Westliche Regierungen, ob in Washington, Berlin oder anderswo, setzen im Kampf gegen den Terror auf die Aushöhlung von Grundrechten im Innern und das Primat des Militärischen nach außen. Beides zeugt von erstaunlicher Kurzsichtigkeit, die in Sackgassen führt.
Wofür kämpfen, sterben und töten deutsche Soldaten und ihre Verbündeten in Afghanistan? Die Taliban sind so stark wie nie seit ihrem Sturz, über ein klar benanntes Kriegsziel verfügt die Nato ebenso wenig wie über eine Strategie für den Ausstieg. Längst hat sich der "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan verselbstständigt und folgt einer Eigendynamik, die politisch kaum noch zu steuern ist. Und das Schlimmste steht wohl erst noch bevor.
Was tun? Patentrezepte gibt es nicht, doch dieser Krieg, der nun schon länger dauert als der Zweite Weltkrieg, ist falsch. Mit Blick auf die vielen getöteten Zivilisten auch verbrecherisch. Gerade weil der islamistische Terror auch weiterhin eine ernste Bedrohung darstellt, muss die Politik den Mut haben, neue, ungewohnte Ideen zu erproben. Hätten die USA und mit ihr die EU nur zehn Prozent ihrer Milliardenausgaben in diesem Krieg für langfristige Entwicklungsprojekte ausgegeben, wäre die Welt heute wahrscheinlich friedlicher.
Das heißt konkret: Nicht länger unfähige und verbrecherische Regierungen, ob in Kairo oder in Islamabad, mit Geld zuschütten, damit sie – hoffentlich – eine prowestliche Politik betreiben. Sondern stattdessen, an den Regierungen vorbei, in Bildung, Bildung, Bildung investieren, vom Dorfschullehrer bis zum Hochschulrektor. Ihnen ein gutes Gehalt zahlen und damit Zeit kaufen. Zeit, um die Grundlagen zu schaffen für gemäßigte Lesarten des Koran. Schulgeld für Kinder, damit sie die Schule besuchen können und nicht die Großfamilie ernähren müssen.
In jede Metropole der Region gehört eine vom Westen finanzierte Hochschule auf dem Niveau der Amerikanischen Universität in Beirut oder Kairo. Mikrokredite für Kleinbauern und Tagelöhner, zinslose Darlehen für Unternehmensgründer sind weitere Beispiele.
Und bei uns heißt das: Weg mit diesem unseligen Generalverdacht gegenüber dem Islam, dem sich Millionen Muslime in Europa ausgesetzt sehen. Stattdessen eine intelligente Integrationspolitik, die fordert und fördert. Eine ausgewogene Nahostpolitik, die nicht allein die Palästinenser, sondern auch Israel in die Pflicht nimmt. Pragmatismus gegenüber dem Iran. Keine iranische Atombombe, dafür im Gegenzug eine Nichtangriffsgarantie durch die Vereinigten Staaten.
Utopisch? Nicht utopischer als ein militärischer Sieg im "Krieg gegen den Terror".
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Michael Lüders. Ertsveröffentlichung in der Frankfurter Rundschau vom 11.09.08