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Freitag, 01.08.2008

Gegenstand eines Kulturkampfes- Ein Dissens zwischen Kardinal Lehmann und Bischof Huber über das muslimische Kopftuch – Von Patrick Bahners

Seltsam unevangelische Auffassung von der Freiheit eines Nichtchristenmenschen

Am 24. September 2003 verkündete der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sein durch die Verfassungsbeschwerde der Referendarin Fereshta Ludin herbeigeführtes Kopftuchurteil. Das Gericht legte der Republik die Frage vor, ob es gemäß dem deutschen Staatskirchenrecht bei der Toleranz für religiöse Bekundungen in der staatlichen Sphäre bleiben könne oder ob der Gleichbehandlung der Religionen durch Reinigung des staatlichen Raumes von religiösen Zeichen Geltung verschafft werden solle. Von einem Grundelement der überkommenen Religionsverfassung versprach sich der Senat, wie der damalige Vorsitzende Hassemer erläuterte, Hilfe im demokratischen
Erkenntnisprozess: Die föderale Vielfalt sollte es erlauben, unterschiedliche Antworten auf die Fragen zu erproben, was das Kopftuch bedeutet und welche Selbstdarstellung von Lehrern erträglich und vielleicht gar erwünscht ist.

Zu diesem Wettbewerbsföderalismus ist es nicht gekommen. Beim "Karlsruher Verfassungsgespräch", das am Vorabend des Verfassungstages im Sitzungssaal des Verfassungsgerichts stattfand (siehe Zeitgeschehen, Seite 10), führten jetzt die Repräsentanten der Kirchen Klage über die uniforme Tendenz der Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Raum.
Der vor fünf Jahren entschiedene Rechtsstreit, stellten Kardinal Lehmann und der EKD-Ratsvorsitzende Huber übereinstimmend fest, habe den Rechtsfrieden nicht befördert.

Eine pragmatisch zu lösende Frage, so Lehmann mit bitterer Deutlichkeit, sei zum Grundsatzkonflikt hochstilisiert und dem Verfassungsgericht geradezu angedient worden. Dabei hätten, wenn es den in den gerichtlichen Auseinandersetzungen immer nur hypothetisch beschworenen Ärger wegen einer kopftuchtragenden Lehrerin da oder dort tatsächlich einmal gegeben hätte, die bestehenden Schulgesetze ausgereicht, um einen etwaigen Missbrauch der Religionsfreiheit abzustellen. Gegen alle Pragmatik sei die Behauptung durchgesetzt worden, das Kopftuch müsse als politisches Symbol verstanden worden. Ähnlich wie beim Kruzifixurteil sei das Ineinander von gerichtlicher und öffentlicher Auseinandersetzung zu einer Spirale geworden, die niemand habe stoppen können.
Dem in der öffentlichen Erörterung des Kopftuchurteils des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofs vorherrschenden Eindruck, zwangsläufig habe es zu einem Verbot sämtlicher religionssymbolisch deutbarer Kleidungsstücke kommen müssen, trat Bundesinnenminister Schäuble mit einer bemerkenswerten Aussage in zwei Teilen entgegen. Unter Berufung auf die Gedanken von Jürgen Habermas und Ernst-Wolfgang Böckenförde über die Religion als moralische Ressource des öffentlichen Lebens sagte Schäuble, er wisse nicht, ob der Staat das Kopftuch verbieten müsse, und er wisse nicht, ob der Staat, wenn er das Kopftuch verbiete, alles verbieten müsse.

Wo Lehmanns Kritik an die Politiker gerichtet war und sich von ihr an erster Stelle eine prominente katholische Laienfunktionärin angesprochen fühlen muss, die frühere Kultusministerin Schavan aus Schäubles Landesverband, da suchte Huber die Schuld für die "kreuzunglückliche Entwicklung" auf der anderen Seite. Wer habe denn die Spirale herbeigeführt? Dadurch, dass der Rechtsstreit über alle Instanzen durchgefochten worden sei, sei es in Berlin nun zu einer gesetzlichen Lage gekommen, die es ihm, Huber, wäre er, Huber, Lehrer, verböte, mit dem Kreuz am Revers die Schule zu betreten, weil das Kreuz bei ihm, Huber, nicht bloß ein modisches Accessoire sei. Ein Beamter müsse den Staat davor bewahren, Entscheidungen darüber zu fällen, was ein religiöses Symbol sei beziehungsweise als solches gemeint sei.

Gerne führt der auch als "B.Z."-Kolumnist volksmissionarisch tätige Bischof der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz in kulturkämpferischen Kontexten den Individualismus als protestantischen Wertebestand ins Feld, dessen Wirkungen auf Rechtsverkehr und Umgangsformen die Muslime bejahen sollten. Fereshta Ludin war keine Beamtin, als sie ihren Prozess gegen das Land Baden-Württemberg führte, sondern ließ überprüfen, ob ihr das Land den Beamtenstatus verweigern durfte. Die neueste protestantische Auslegung der Treuepflicht der Staatsdiener verlangt vom Beamtenanwärter, dass er sich vorauseilend "zurückhaltend" verhält, auch wenn Beweis und Preis dieser Zurückhaltung der Verzicht auf die Anwartschaft ist. Dass die Referendarin Ludin nicht auf der gerichtlichen Prüfung der Grenzen ihrer Religionsfreiheit hätte bestehen sollen, um Bischof Huber den ungetrübten Genuss seiner Religionsfreiheit zu erhalten, ist eine seltsam unevangelische Auffassung von der Freiheit eines Nichtchristenmenschen.


Mit freundlicher Genehmigung der FAZ-Redaktion; Erstveröffentlichung vom 24.05.08. Der Autor Patrick Bahners leitet seit 2001 das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung