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Donnerstag, 07.08.2003

Alte romanischen Kirchen: Gezielt zur Agitation der Bevölkerung eingesetzt

In Stein gewordene Feindbilder, die Muslime karikaturistisch darstellen sollen - Bedeutung für die moderne und zeitgenössische Identität Europas bis heute unterschätzt

Wer mit offenen Augen an romanischen Kathedralen in Spanien oder in Südfrankreich vorbeischlendert, kann erstaunlich Unchristliches an den Fassaden entdecken: kopulierende Paare, onanierende Männer, schmerzverzerrte Fratzen, Frauen, die unnatürlich verrenkt und mit breit gespreizten Schenkeln ihre Geschlechtsteile zur Schau stellen. Bis in die Gegenwart haben diese Skulpturen die Kunstgeschichtler vor Rätsel gestellt oder wurden ausschließlich aus der innerchristlichen Theologie und ihrer Zeit heraus erklärt: Es gehe bei ihnen um Karnevaleskes, um Sünden oder um Dämonenabwehr.


Dieser Einschätzung widerspricht der Berliner Künstler Claudio Lange: Bei den im 11. bis 13. Jahrhundert erschaffenen Skulpturen handele es sich um Stein gewordene Feindbilder, die Muslime karikaturistisch darstellen sollen, um sie herabzuwürdigen. Drei Jahre lang hat Claudio Lange mit Unterstützung der Reemtsma-Stiftung für Kultur und Wissenschaft zwischen 1989 und 1992 romanische Kirchen im Mittelmeerraum besucht und rund 2.000 Zeugnisse fotografiert. Er fand ganze Figurenensembles, in denen Muslime in erniedrigender Weise dargestellt werden. Rund 40 dieser Dokumente sind nun in Berlin im Museum für Islamische Kunst ausgestellt. "Islam in Kathedralen - Bilder des Antichristen in der romanischen Skulptur", so der Titel der Ausstellung, ist der Nachweis, dass nicht nur der Antijudaismus, sondern auch der Antiislamismus eine jahrhundertalte Tradition in der christlichen Kirche hat.

Vor rund tausend Jahren übernahmen die Skulpturen nach Interpretation von Lange in den romanischen Kirchen eine neue Funktion. Sie dienten nicht mehr der Darstellung der biblischen Botschaft, sondern wurden gezielt zur Agitation der Bevölkerung eingesetzt. Dieser Kirchenschmuck ist nach Langes Theorie für Westeuropa eine Medienrevolution gewesen, deren Bedeutung für die moderne und zeitgenössische Identität Europas bis heute unterschätzt werde. Er stellte den Islam als perverse und besiegbare Form eines religiösen Irrtums dar und sollte die Bevölkerung auf den Kreuzzug gegen den Islam einstimmen. Mit der Konstruktion des äußeren Feindbildes habe sich Europa als Abendland im Gegensatz zum Morgenland konstruiert, so lautet eine weitere These Langes.

Museum für Islamische Kunst, Bodestraße 1-3, 10178 Berlin. Die Ausstellung läuft noch bis 14. September. (EBERHARD SEIDEL, TAZ)