Newsnational Donnerstag, 07.11.2013 |  Drucken

Islamlehre in Deutschland: Erst die Basis, dann das Experiment

Wie für die muslimischen Religionsgmeinschaften gilt auch für den Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) in Münster, Mouhanad Khorchide, dass
Verfassungskonformität, Theologische Plausibilität und Bekenntnischarakter eingehalten werden müssen. Solange aber der Beirat dort nicht installiert wird, kann das nicht geschehen - KNA-Interview mit Aiman Mazyek

Die muslimischen Religionsgeinschaften sind unzufrieden mit dem Leiter
des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) in Münster, Mouhanad
Khorchide. Über die Gründe äußert sich der Vorsitzende des
Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, am Dienstag im
Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Köln.

KNA: Herr Mazyek, der Bundespräsident besucht Ende November das
Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) in Münster. Aber ihre Freude
ist getrübt...

Mazyek: Mit dem Besuch würdigt der Bundespräsident, dass an deutschen
Hochschulen neben der christlichen Theologie nun auch der islamische
bekenntnisorientierte Glaube gelehrt wird. Dies rechne ich Herrn
Gauck hoch an - wie seinem Amtsvorgänger, der bereits die islamische
Theologie an der Uni Osnabrück besucht hat.

KNA: Dennoch sind Sie nicht einverstanden damit, wie es derzeit in
Münster läuft.

Mazyek: Die vier im Koordinationsrat (KRM) zusammengeschlossenen
muslimischen Religionsgemeinschaften sind besorgt über das, was da in
Münster passiert. Wir bekommen täglich Briefe von unseren
Gemeindemitgliedern, die sich beschweren. In Münster werden Inhalte
beschlossen und Professoren bestellt - über die Köpfe der
Religionsgemeinschaften hinweg. Münster agiert nicht entsprechend den
verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach Lehrinhalt und Lehrpersonal
in Abstimmung mit den Religionsgemeinschaften festgelegt werden
sollten. ZIT-Leiter Mouhanad Khorchide will ja offenkundig diese
Mitsprache auch noch ganz kappen. Aber sein Mandat ist explizit auf
diese Zustimmung aufgebaut, weil bekenntnisorientierter Glaube
vermittelt werden soll und keine Orientalistik. Khorchide redet,
schreibt und handelt aber wie ein Orientalist und nicht wie ein
Islamlehrer. Und das ist die Krux aller Probleme.

KNA: Tragen die muslimischen Verbände nicht selbst Schuld an der
Misere? Die Uni hat ihre vier Mitglieder für den Beirat nominiert.
Der KRM hat mit der Besetzung seiner vier Kandidaten dagegen
Probleme, weil der Bundesverfassungsschutz bei dem einen oder der
anderen eine zu große Nähe zum Islamrat moniert.

Mazyek: Zwischenzeitlich ist eine von der Uni bestellte Person des
Beirats aus Protest über das Vorgehen in Münster zurückgetreten. Es
muss so schnell wie möglich Handlungsfähigkeit des Beirats
hergestellt werden. Taktische Spielchen können wir uns nicht leisten,
dass sage ich in alle Richtungen. Ich kann auch nicht ganz
nachvollziehen, dass der Vertreter des Islamrats im
nordrhein-westfälischen Beirat sitzen darf, der die Inhalte für den
schulischen Religionsunterricht festlegt, in Münster aber nicht. Der
Islamrat sucht jetzt aber dennoch eine neue Person. Und ich hoffe,
dass bald eine verträgliche Lösung gefunden wird, mit der alle leben
können.

KNA: Soll das ZIT seine Arbeit ruhen lassen, bis der Beirat steht?

Mazyek: Für Münster hätte dies den größten Vorteil. Die Uni würde auf
einen Schlag den Geruch los, die Situation auszunutzen und ohne die
Religionsgemeinschaften Fakten zu schaffen.

KNA: Khorchide selbst ist gegen die Beiratslösung und den Einfluss
der islamischen Verbände. Aus seiner Sicht gibt es im Islam keine
amtliche Lehrerlaubnis.

Mazyek: Damit stellt er sich gegen die Verfassung. Diese sieht vor,
dass die Lehrerlaubnis durch die Religionsgemeinschaft begründet
wird. Khorchides Vorstoß bedeutet im Umkehrschluss, dass er sich
selbst diese Befähigung geben und alleiniger Master islamischer
Rechtsprechung werden will. Es ist unhaltbar, dass solch ein
Konsortium, das sich explizit gegen die Vorgaben des
Wissenschaftsrates setzt, weiter Bundesgelder bekommt. Solche
Vorstöße sind in der Öffentlichkeit vielleicht schick, weil sie gegen
muslimische Verbände gerichtet sind. Sie gefährden aber nachhaltig
den Standort Münster.

KNA: Was stört Sie denn so sehr an der Arbeit von Khorchide?

Mazyek: Wie gesagt, er argumentiert wie ein Orientalist und nicht wie
ein Vertreter einer bekenntnisorientierten Religion. Der KRM wird in
Kürze ein Gutachten herausgeben, das ausgewiesene Theologen
erstellen, in dem wir sachlich Punkt für Punkt seine sogenannte
Theologie vor dem Hintergrund des reichen Fundus der 1.400-jährigen
islamischen Geistesgeschichte genauer unter die Lupe nehmen.

KNA: Khorchide ist dagegen, den Islam auf rechtliche Regelungen zu
reduzieren und will juristische Aussagen - etwa, dass Dieben die Hand
abzuhacken sei - nicht wörtlich verstehen, sondern im historischen
Kontext. Ist Ihnen der Professor zu liberal?

Mazyek: Gar nicht, nur muss diese Liberalität auch mit Substanz
gefüllt sein. Längst stellen zum Beispiel viele Gelehrte die
drakonischen Hadd-Strafen unter ein Moratorium. Damit wird man doch
nicht gleich liberal. Khorchide benutzt bekannte mutazilitsche
Ansätze (eine islamische Denkrichtung, Anm. d. Red.), verwoben mit
autobiografischen Erlebnisberichten. Auch manch Alttestamentarisches
ist dabei, wenn man mal bestimmte Begriffe heranzieht. Wirklich Neues
ist nicht zu erkennen. Daran ändert auch nichts, wenn man sich als
besonders liberal oder als Reformer preist, was zugegeben hierzulande
geradezu elektrisiert. Was aber hinten raus kommt, ist wichtig. Und
das ist theologisch und wissenschaftlich ziemlich dünn?

KNA: Was soll Khorchide denn anders machen?

Mazyek: Der Islam ist in Deutschland eine junge Wissenschaft. Da
brauchen wir Professoren, die zunächst einmal die 1.400-jährige
muslimische Geistesgeschichte aufarbeiten. Und das heißt: Monografien
und analytische Bibliografien sprachlich und kulturell in den
deutschen Sprachraum zu bringen. Vor dem Experiment kommt die
Bestandsaufnahme, sonst bleibt das Experiment eine Luftblase. Im
Bereich Monografien und Bibliografien haben bislang nur Orientalisten
gearbeitet, die aber anders an die Texte herangehen als
bekenntnisorientierte Wissenschaftler.

KNA: Khorchide setzt aus Ihrer Sicht die falschen Prioritäten?

Mazyek: Ich denke schon. Ich will das an einem Beispiel erklären.
Vorbildlich, obwohl ohne bekenntnisorientierten Anspruch, ist das
Projekt «Corpus Coranicum» der Berliner Arabistik-Professorin
Angelika Neuwirth. Sie bemüht sich um eine der Überlieferung
entsprechende Übersetzung des Korantextes in die heutige Zeit. Nicht
alles würde ich kritiklos hinnehmen. Aber an ihrer Art erkennt man
einen wissenschaftlichen Ethos und eine gewisse Demut, die ich mir
bei Khorchide wünsche. Neuwirth zeigt: Man kann frei forschen, ohne
die wissenschaftliche Würde zu verraten. Es geht mir gar nicht um
Linientreue oder so. Aber eine Jahrhunderte alte Geistesgeschichte
mit exzellenten wissenschaftlichen Arbeiten plus Glaubensvermittlung
lässt sich nicht in den Kategorien liberal oder konservativ
beschreiben. Das suggeriert aber Khorchide. Er macht sich so zwar
populär, aber wissenschaftlich angreifbar, weil oberflächlich.

KNA: Khorchides Vorgänger, der Islamtheologe Muhammad Sven Kalisch,
hat die Zustimmung der islamischen Verbände verloren, nachdem er die
Existenz Mohammeds angezweifelt hatte. Droht nun auch Khorchide eine
Abberufung?

Mazyek: Nochmals, es geht hier nicht um Orientalistik, sondern um die
Glaubenslehre. Hier muss es ein Mindestmaß an Authentizität geben.
Dieses zu beurteilen, obliegt weder dem Staat, der neutral bleiben
muss, noch dem einzelnen Wissenschaftler. Was authentisch ist, müssen
die Gläubigen sagen, - allerdings plausibel. Warten wir erst mal, was
das Gutachten des KRM ergibt.

KNA: Spielen Sie nicht das Spiel des radikalen Salafisten Pierre
Vogel? Er fordert im Internet vollmundig, Khorchide von der
Universität zu vertreiben.

Mazyek: Noch schlimmer, er erklärt ihn zum Glaubensverweigerer. Diese
Äußerungen sind extrem populistisch und gleichsam hochgefährlich.
Jemanden kraft irgendwelcher Autorität zum Kafir, also zum
Ungläubigen oder Glaubensverweigerer zu erklären, lehnen wir rundweg
ab. Übrigens hat Khorchide in seinem Buch die Neo-Salafisten ebenso
zu Glaubensverweigerer erklärt. Damit hat er, vielleicht ohne es zu
merken, das Geschäft der Fundamentalisten bedient.



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