Das Grundgesetz im (Migrations)-Vordergrund  Drucken




Der Bundespräsident


Der Bundespräsident ist Staatsoberhaupt in Deutschland. Er hat das höchste Amt im Staate inne und wird deshalb überall, wo er auftritt, als erster begrüßt. Aber so richtig mächtig ist er nicht. Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin haben viel mehr Macht und mehr zu bestimmen. Einfluss hat ein Bundespräsident vor allem durch seine Reden. So sagte Bundespräsident Christian Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehört. Das hatte große Wirkung.

Die Befugnisse des Bundespräsidenten sind im Grundgesetz überwiegend in den Artikeln 54-61 geregelt, finden sich aber auch an anderer Stelle im Verfassungstext. Dort steht unter anderem, dass das Staatsoberhaupt für die Ernennung von Bundesbeamten, Bundesrichtern und Offizieren zuständig ist. Es schlägt den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin vor und ernennt ihn oder sie, aber nur dann, wenn der Bundestag ihn oder sie gewählt hat, sie also von der Parlamentsmehrheit getragen werden. Der Bundespräsident kann verurteilte Straftäter begnadigen. Und er muss alle Gesetze unterschreiben. Ohne seine Unterschrift gilt kein Gesetz. Bundespräsident Horst Köhler zum Beispiel hatte 2006 seine Unterschrift unter ein Gesetz verweigert. Er hatte verfassungsrechtliche Zweifel. Dafür musste er sich Kritik aus der Regierung gefallen lassen.

Der Bundespräsident vertritt Deutschland nach außen gegenüber anderen Ländern und spricht dort mit Staatsoberhäuptern wie Königen oder Präsidenten, auch solchen, die im eigenen Land viel mehr Macht haben als er selbst.

Ebenso gibt es andere Staaten, in denen der Präsident auch nicht der Mächtigste ist, wie zum Beispiel in Österreich. Auch in der Türkei bestimmt der Ministerpräsident ganz wesentlich die Innen- und Außenpolitik des Landes und nicht der Staatspräsident.

Früher war das in Deutschland anders geregelt. In der Weimarer Republik von 1918-1933 hatte der Reichspräsident viel Macht. Er wurde direkt vom Volk gewählt und konnte das Parlament auflösen. Zur Not konnte er sogar allein regieren oder den Ausnahmezustand über das Land verhängen. Auf Grundlage dieser weitreichenden Befugnisse traf der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Ende der Weimarer Republik eine Reihe von verhängnisvollen Entscheidungen, die unter anderem ursächlich waren für den Untergang der ersten deutschen Republik und das danach beginnende dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.

Aufgrund dieser Erfahrung wurden in der deutschen Verfassung - dem Grundgesetz - nach dem Zweiten Weltkrieg dem Bundespräsidenten weniger Rechte gegeben. Er sollte vor allem parteipolitisch neutral sein und Deutschland repräsentieren.

Der Bundespräsident wird für fünf Jahre gewählt, und zwar nicht direkt vom Volk, sondern von der Bundesversammlung. Auch das geschieht, damit er nicht eine zu starke Stellung bekommt. Wenn die Bevölkerung ihn wählen würde, könnte er sich auf diese Mehrheit des Volkes berufen. Er hätte damit eine herausgehobene, wichtige Position auch gegenüber dem Parlament und dem Kanzler, der ja nicht direkt gewählt wird. Er könnte dem Kanzler Konkurrenz machen, der nach der Verfassung doch eigentlich die Richtlinien der Politik bestimmen soll. Der Machtbalance im parlamentarischen System würde das folglich nicht gut tun, denn die Verantwortlichkeit für die praktische Politik sollte klar bei der Regierung liegen. So wird immer mal wieder die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk gefordert, aber stets hat sich diese Idee nicht durchgesetzt.

Die Bundesversammlung besteht aus allen Bundestagsabgeordneten und einer gleichen Anzahl von Personen, die von den Parlamenten der Bundesländer jeweils nur für eine Wahl des Bundespräsidenten delegiert werden. Zur Wahl des jetzigen Bundespräsidenten Joachim Gauck wurden verdiente Persönlichkeiten aus vielen Bereichen der Gesellschaft entsandt; es wurden auch Schauspieler, ehemalige Bundestagsabgeordnete und sogar ein Fußballtrainer ausgewählt.

Wiedergewählt werden kann der Bundespräsident nur ein einziges Mal. Während einer laufenden Amtszeit kann ihn lediglich das Bundesverfassungsgericht absetzen. Er selbst kann aber vor Ende der Amtszeit aus gesundheitlichen oder politischen Gründen zurücktreten. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt erhalten Bundespräsidenten dann eine Ehrenpension und behalten eine Dienstausstattung, bestehend aus Bürokräften, Fahrer und Auto, weil sie noch viele Verpflichtungen aus der Amtszeit haben. Tritt der Bundespräsident aus anderen, etwa persönlichen Gründen zurück, soll das nicht gelten. Rücktritte von Bundespräsidenten kamen früher nicht vor. Erst der vorletzte Bundespräsident Horst Köhler und der letzte, Christian Wulff, erklärten ihren Rücktritt.

Fast alle Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland hatten ihre besondere Bedeutung und ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Es gab Bürgerpräsidenten, Nachdenkliche, Wissenschaftler und echte Liberale. Sie waren glaubwürdig und haben durch ihre Reden Akzente gesetzt. Es war die Kraft und Stärke der Worte, die die Bedeutung eines Bundespräsidenten ausmachten.

So hatte Bundespräsidenten Richard von Weizäcker nach Jahrzehnten den Mut, eine für viele Deutsche schwierige Wahrheit auszusprechen: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“  Zum ersten Mal nach Ende des 2. Weltkrieges war an diesem Tag endlich nicht mehr, wie in den vielen Jahrzehnten zuvor, offiziell von "Kapitulation" und "Niederlage" die Rede, sondern von Befreiung.


Hans-Christian Ströbele, geb. 1939, hat in Heidelberg und Berlin Rechtswissenschaften und Politik studiert; seit 1969 Rechtsanwalt in Berlin, 30 Jahre Strafverteidiger v.a. in politischen Strafverfahren; Mitglied des Deutschen Bundestages von 1985-87 und seit 1998, dort seit 2009 Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

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