Newsnational Montag, 08.10.2012 |  Drucken

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Kreuzritter der Moderne

Die Muslime sind aufgerufen, ihr Bild vom Westen nicht ihrerseits von jenen extremistischen Sektierern prägen zu lassen, die der abendländischen Zivilisation insgesamt einen imperialen Überlegenheitsimpetus unterstellen

In den letzten Jahren haben mehrfach Symbolaktionen westlicher Islamfeinde für Aufruhr und gewalttätige Ausschreitungen in der gesamten Islamischen Welt gesorgt. Die jüngste Provokation dieser Qualität war der kürzlich in den Vereinigten Staaten erschienene Youtube –Streifen, in dem Prophet Mohammed als „brutaler Kriegsherr“ dargestellt wird. Ebenso sind öffentliche Beschmutzungen und sogar Verbrennungen des Korans in diese Kategorie zu zählen, die gewalttätige Ausschreitungen in muslimischen Ländern nach sich zogen. Da jene selbsternannten „Kulturkämpfer“ nicht mehr in erster Linie im Namen des christlichen Kreuzes agieren, sondern vorgeben, Ideale der modernen Demokratie wie die Darstellungsfreiheit zu verteidigen, könnte man sie auch als „Kreuzritter der Moderne“ bezeichnen. Durchaus testen sie mit ihren Aktionen aus, in wie weit die zum universellen Ideal erhobene Freiheit ihrer Staaten tatsächlich reicht und in welchem Maße die Muslime bereit sind, sich mit dieser Freiheit zu arrangieren. Jede hierauf folgende Gewalttat eines einzelnen Muslimen stellt für sie den Beleg für ihre Sichtweise, der Islam sei mit dem im Westen vorherrschenden, gemeinhin für universell erklärten Freiheitsbegriff nicht in Kompatibilität zu bringen.

Die Tatsache, dass sie moderne Medien für ihre Provokationen nutzen und für die Werte der Aufklärung vorgeben einzutreten, verleiht jenen „Kreuzrittern“ zwar ihr modernes Image, erhebt ihre islamfeindliche Agitation jedoch keineswegs zu einem spezifischen Phänomen der Moderne.

Schließlich hatten bereits Prophet Mohammed selbst ebenso wie alle im Juden – und Christentum ebenfalls verehrten Propheten vor ihm sich Anfeindungen und Stigmatisierungen zu erwehren. Die Epoche der mittelalterlichen Kreuzzüge kostete erheblich mehr Muslimen wie Christen im Namen der konstruierten religiös-kulturellen Divergenz Freiheit und Leben als die gegenwärtig verbreiteten, abwertenden Darstellungen und Verleumdungen des Propheten im Internet. Jedoch erwies sich insbesondere die mittelalterliche Epoche als beispielhaft für einen von gegenseitiger Wertschätzung der Religionen getragenen Kulturdialog. Hätten sich die damaligen geistigen Eliten  des Abendlandes ihr Islambild ausschließlich von Kreuzzugspredigern wie Bernhard von Clairvaux zeichnen lassen, wären die antiken Kenntnisse von der Kugelgestalt der Erde für die christlich geprägten Europäer weiter im Verborgenen geblieben und Kolumbus hätte die Route nach Amerika weder gewählt noch gefunden. Ebenso konnte Jahrhunderte später die Islamische Welt von im Westen entstandenen geistig-technologischen Innovationen profitieren, mit denen es mittlerweile sogar gelingt, seit Menschengedenken als unfruchtbar geltende arabische Wüstenregionen in ertragreiches Agrarland zu verwandeln.

Provokationen und Provokateure gegen bestimmte Religionen und ihre Heiligtümer sind so alt wie die Religionen selbst, haben aber weder zur kollektiven Distanzierung vom religiösen Glauben beitragen können, noch die gegenseitige Befruchtung der Zivilisationen und ihrer der Religion entnommenen Ethik verhindert. Die Tatsache, dass die Freiheitsideale der Aufklärung überhaupt als „universell“ postuliert werden können, ist vielmehr dem Umstand zu verdanken, dass alle Weltreligionen und Zivilisationen, einschließlich dem Islam, von einem ethischen Fundament getragen sind, welches die nun als „modern“ apostrophierten Freiheitsideen bereits enthält.

Provokationen und Provokateure gegen bestimmte Religionen und ihre Heiligtümer sind so alt wie die Religionen selbst

Die fehlende Bereitschaft, jener Provokateure und der sie verteidigenden Eliten, sich dies ins Bewusstsein dringen zu lassen, zeichnet sie hingegen als Ignoranten aus, denen weniger an bürgerlicher Freiheit und Meinungspluralismus als an Selbstbestätigung gelegen ist. So lange die Muslime ihre Provokationen als Anlass für gegen den Westen als Zivilisation gerichtete, Gewalt einschließende öffentlichkeitswirksame Protestaktionen auffassen, ermöglichen sie jenen „Kreuzrittern der Moderne“ die Erreichung ihres Ziels und tragen dazu bei, dass deren bornierte, Ressentiment geleitete Sichtweise auf den Islam im Westen Verbreitung findet.

Die Muslime sind aufgerufen, ihr Bild vom Westen nicht ihrerseits von jenen extremistischen Sektierern prägen zu lassen, die der abendländischen Zivilisation insgesamt einen imperialen Überlegenheitsimpetus unterstellen. Stattdessen gilt es, die Ignoranten auf beiden Seiten zu ignorieren, im Geiste der islamischen Ethik sich auf die Andersgläubigen und außerislamischen Zivilisationen zuzubewegen, um die Gemeinsamkeiten mit ihnen zu würdigen und gemeinsam zum weltweiten humanen Fortschritt beizutragen.

Wenn die islamische Gesellschaft erkennt, dass das sogenannte „westliche“ Freiheitsideal eben nicht die „Freiheit zur Denunziation und Beleidigung des Anderen“, sondern die freie Entfaltung des jeweils Anderen mit seiner von der eigenen abweichenden Religion und Weltanschauung enthält, hat sie zugleich die von jenen bestrittene Kompatibilität der dahinter stehenden Werte mit dem Islam demonstriert. Die Basis für ein von Werten getragenes Miteinander der Zivilisationen ist von muslimischer Seite aus gelegt.

Mohammed Khallouk, Politologe und Islamwissenschaftler




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