Newsnational Freitag, 21.09.2012 |  Drucken

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„The rocky horror picture show must go on“.

Von Bestien und Blitzbirnen – Ein Zwischenruf von M. Belal El-Mogaddedi

Ein dilettantisch gemachter, hasserfüllter Schmähfilm, der seit Juli dieses Jahres ein kümmerliches, kaum beachtetes Dasein im Internet fristete, macht zwei Tage vor dem 11. September auf einen Schlag die Runde und löst bei einigen, wenigen muslimischen Blitzbirnen leider die von seinen Machern beabsichtigte, gewalttätige Reaktion aus. Bislang sind der US-amerikanische Botschafter in Libyen, sowie drei seiner Begleiter dem kriminellen Wahn der „Filmmacher“ und Demonstranten zum Opfer gefallen. Und im Jemen, Ägypten, Sudan und anderen muslimischen Ländern gibt es bei Demonstrationen Tote und Dutzende Verletzte.
Ominös ist nicht nur die Finanzierung dieses propagandistischen Ramschs - angeblich standen fünf Mio. US-Dollar zur Verfügung - auch die Mehrheit der Hintermänner und Produzenten verharren im Dunkeln und verbergen sich zum Teil hinter falschen Namen und Adressen. Sie versuchen auf diese Weise ihren abscheulichen Absurditäten und ihrer eigenen Erbärmlichkeit einen kläglichen Hauch von Seriosität und Bedeutung zu verleihen.
Hassprediger wie der amerikanische Pastor Terry Jones, aber auch die aus den USA - und in ihrer Kirche höchst umstrittenen – agitierenden, ägyptischen koptischen Christen Morris Sadek, Joseph Nasrallah, Zakaria Botros Henein und ihre Helfershelfer ernennen sich selbst zu Vorkämpfern für ihr Verständnis von Meinungsfreiheit, die sie als Freiheit zur Beleidigung missbrauchen, und formieren eine bösartige Diffamierungsallianz, um den Propheten des Islams herabzuwürdigen, und nicht nur ihn. Sie geben vor, dieses im Namen der Verkündung ihrer vermeintlichen Wahrheiten zu tun. Und so treffen sie wieder aufeinander, die sich wechselseitig bedienenden Bestien und Blitzbirnen, um sich einander in ihren Vorurteilen zu bestätigen; „the rocky horror picture show must go on“. Die Botschaft der Hass predigenden Bestien lautet:„Der Islam sei intolerant und eine blutrünstige Religion“

Muss man diese dümmlichen Beschimpfungen eigentlich ernst nehmen? Bedauerlicherweise muss man dies je nach Raum und Zeit gelegentlich tun, denn die Auswahl an negativen Vorurteilen dienen einem Zweck, und ihrer bewusst lancierten Verbreitung liegt eine spezifische Motivation zugrunde. Das negative Vorurteil stellt eine Hypothese dar, über die sich der armselige Propagandist des Vorurteils im Umkehrschluss positiv zu definieren sucht. Der Versuch Muslime pauschal als dumpfe Gewalttäter darzustellen, ist Teil eines Kalküls, das u.a. Politiker und ihre Wählerschaften mit neuen Feindbildern zu versorgen sucht.
Muslimische Blitzbirnen tappen immer wieder in die ihnen gestellten Fallen hinein, und damit machen sie bedeutungslose Schriftsteller zu Millionären, verhelfen drittklassigen Karikaturisten zum Ausstieg aus ihrer Bedeutungslosigkeit, katapultieren talentfreie Trashfilmer ins Scheinwerferlicht und verleihen durchgeknallten Pastoren und Brandstiftern Ansehen.

Die gegen Muslime gerichteten Vorurteile sind nahezu immer ein Angriff auf den Islam und ein Versuch, den Islam als minderwertige, und in diesem Fall in seiner Rangstufe nicht mit dem Christentum vergleichbare Religion, herabzusetzen; ein Klassiker im Repertoire derer, die mit ihrer eigenen Irrelevanz im Leben nicht klar kommen. Minderwertigkeit an der islamischen Orientierung eines Menschen festzumachen ist genauso falsch, wie in einem anderen religiösen Bekenntnis einen menschlichen Mehrwert zu erkennen. Muslim zu sein bedeutet nicht, minderwertig zu sein; kein Mensch wird als minderwertiges Wesen geboren, doch ignoranter Oberflächlichkeit ist schwerlich mit den Mitteln der Vernunft beizukommen.

Ja zweifellos, es gibt leider auch Muslime, die gewalttätig sind, Muslime, die intolerant sind, Muslime, die den Westen verachten. Und??? Sind deswegen alle Muslime kriminell, nur weil eine Handvoll Muslime rechtswidrig und kriminell handelt? Das geschmacklose und extrem anstößige Sammelsurium von Vorurteilen gegen Muslime, Islam und insbesondere den Propheten Mohammad, das mittels des Schmähfilms in die Öffentlichkeit transportiert werden soll, ist nicht nur absurd, es ist auch Ausdruck einer hochnäsigen, blasierten Überheblichkeit hasserfüllter menschlicher Scheusale wie den stupiden Drahtziehern hinter diesem Machwerk. Warum??? Weil Islam und sein Prophet nichts mit Kriminalität zu tun haben. Und die Bibel, die Thora und ihre jeweiligen Propheten können genauso wenig Leitfaden und Vorbild für Kriminelle wie der Quran und der Prophet Mohammad sein.

Weil es selbstverständlich auch den christlichen Muslimfeind gibt, Christen, die die muslimische Welt verachten, Christen und Juden, die intolerant sind und dementsprechend handeln, Christen und Juden, die gewalttätig sind, Muslime ermorden, muslimische Friedhöfe verwüsten und muslimische Gebetshäuser anzünden. Wird das Christentum etwa über seine Exzesse, wie z.B. Kreuzzüge, Hexenverbrennungen und Inquisition, die seine Anhänger im Laufe der Zeit religiös begründet durchgeführt haben, oder etwa über den massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, definiert? Kriminelle Handlungen sind zweifellos allerorten zu finden, doch sie sind niemals wahrhaftiger Ausdruck einer religiösen Lehre. Eine ganze Glaubensgemeinschaft zu brandmarken, deren religiöse Überzeugungen und am höchsten geachtete, zentrale Leitfigur in den Dreck zu ziehen, ist Ausdruck eines widerwärtigen, ekligen Freund-Feind-Denken.


Ist es nicht endlich an der Zeit damit aufzuhören Freiheit mit absoluter Willkür und absoluter Verantwortungslosigkeit, Meinungsfreiheit mit Verbalterrorismus und dem krankhaften Faible für geistige und bildliche Brandstiftung gleichzusetzen?

Wie kann es weitergehen? Allen bestehenden Vorurteilen über Islam, dem Propheten und Muslime im allgemeinen zum Trotz, die - auch das muss leider festgestellt werden - nicht nur bei den Machern eines Hassfilms existieren, Muslime sind gefordert und verpflichtet mit Vernunft und Intelligenz zu reagieren. Sie dürfen sich nicht reizen lassen, und die überwältigende Mehrheit der Muslime hat sich nicht provozieren lassen! Doch in den Medien sieht man nur die wenige hundert Blitzbirnen, die glauben mit Mitteln der Kriminalität ihr Anrecht auf Selbstverteidigung ausleben zu dürfen. Ein Affront wird nicht durch gänzlich un-islamische, mörderische Anschläge aus der Welt geschafft; Unschuldige fallen diesen zum Opfer. Muslim-Sein verträgt sich nicht mit Blitzbirnigkeit, sie verträgt sich nicht mit der vorbildlichen Lebensweise des Propheten, der zu folgen jedem Muslim eine Pflicht ist. Jedem einzelnen, der wenigen hundert gewalttätigen muslimischen Demonstranten muss klar gemacht werden, dass er wieder einmal genau das rassistische Vorurteil bedient, das er eigentlich zu widerlegen sucht und damit alle Muslime und den Islam beschädigt.

Und der so genannte „Westen“?
Er muss seine aberwitzige Neigung, bestialische Verblendungen, Diskriminierungen und Rassismus mit Meinungsfreiheit zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, überdenken, wenn er mit Muslimen bzw. generell anderen Religionen in einen ernsthaften Dialog treten will. Dies ist kein unsittlicher Abstieg, sondern ein moralischer Aufstieg, keine Verbeugung vor dem Muslimischen, es ist nicht mehr als eine menschliche Selbstverständlichkeit, die in praktizierter Respektlosigkeit keinen zivilisatorischen Mehrwert erkennt.

In wenigen Wochen, wenn alle Opfer begraben sind, und die nächste Sau durchs Internet getrieben wird, wird die fade Geschmacklosigkeit dieses Hetzfilmes zurückbleiben, mit dem wieder einmal alle Muslime in der Öffentlichkeit als Bedrohung für ein äußerst diffuses Verständnis von Freiheit diffamiert worden sind. Es wird die Erkenntnis bleiben, dass die Verfechter der Beleidigungsfreiheit alles für antastbar halten, nur sich selbst für unantastbar erachten.
Es wird das Gefühl bleiben, dass wieder einmal Hassprediger feige und in geradezu verachtenswerter Weise unter dem Dach eines höchst fragwürdigen Verständnisses von Meinungsfreiheit Zuflucht gesucht haben, und ihnen diese Zuflucht wieder einmal gewährt worden ist. Die selbstverliebten Kämpfer für Meinungs- und Pressefreiheit werden wieder einmal üble Provokation und Beleidigung mit Argumentation und Freiheit der Kunst gleichgesetzt haben und relativieren.

Es wird der Eindruck bleiben, dass einmal mehr ein entwürdigender verbaler und visueller Affront zur Ikone gedanklicher Freiheit emporgehoben werden darf, wenn es um Muslimische Belange geht. Dieses Verständnis von Freiheit, das chauvinistisches Ressentiment mit dem Begriff Satire zu verteidigen sucht und schönfärbt, wird nie universale Akzeptanz erfahren, denn sie verklärt Respektlosigkeit und Endwürdigung zu unveräußerlichen Werten. Meinungsfreiheit verkommt so zu einer Farce.

Ist es nicht endlich an der Zeit damit aufzuhören Freiheit mit absoluter Willkür und absoluter Verantwortungslosigkeit, Meinungsfreiheit mit Verbalterrorismus und dem krankhaften Faible für geistige und bildliche Brandstiftung gleichzusetzen? Das Modell von westlicher Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gewinnt durch erniedrigende und rassistische Darstellungen von Muslimen nicht an Attraktivität. Wie wichtig das ausgewogene Zusammenspiel zwischen Meinungs- und Pressefreiheit auf der einen und aufrichtigem Respekt vor dem Andersdenkenden, statt beleidigender Verunglimpfung des Andersdenkenden, für den sozialen und öffentlichen Frieden einer Gesellschaft ist, hat bereits Friedrich der Große erkannt, als er an seinen Brieffreund Voltaire die folgenden Zeilen schrieb: „Die Toleranz muss jedem Bürger die Freiheit lassen zu glauben, was er will. Aber sie darf nicht so weit gehen, dass sie die Frechheit und Zügellosigkeit von Hitzköpfen gutheißt, die etwas vom Volk Verehrtes dreist beschimpfen." Ist es nicht erschreckend, dass diese Souveränität eines Königs aus dem 18. Jahrhundert nicht nur den Kleingeistern in unserer Zeit abhandengekommen zu sein scheint?

In der Lessingschen Parabel „Nathan, der Weise“ sagt der Muslim Saladin zum Juden Nathan: “Sei mein Freund.“ Für die deutsche Bundeskanzlerin Merkel ist dies „die schönste Stelle des Stücks.“ Wenn dem so ist, und der friedliche Wettstreit und das freundschaftliche Miteinander der Religionen für die deutsche Bundeskanzlerin von so zentraler Bedeutung sind, dann muss sie sich fragen lassen, warum sie in ihrer Ehrenbezeigung für einen dänischen Karikaturisten einen Dienst für die Meinungs- und Redefreiheit sieht? Genau genommen hat sie damit ihrer Überzeugung nämlich selbst widersprochen und dem Schüren von Vorurteilen gegen Fremde leider Gottes Vorschub geleistet. Ferner scheint sie sich auch nicht darüber im Klaren zu sein, dass dem in ihrer Laudatio zitierte Satz des Perikles „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“ der viel wichtigere Nachsatz „und schaut nicht ängstlich auf die Gefahr des Krieges.“ folgt.

Die einen Krieg anpreisende „Leichenrede des Perikles“ aus Anlass der 1. Leichenfeier im Peloponnesischen Krieg zur Verteidigung der Redefreiheit anzuführen, besitzt schon eine sehr eigentümliche Symbolkraft. Das von Frau Merkel bemühte Zitat verrät vielleicht mehr über die immer wieder in die Irre führende Abgehobenheit des „Westens“ in Relation zu Andersdenkenden, als der Bundeskanzlerin lieb sein kann.

Aber auch das Ansehen des Islams kann durch die verwerflichen Handlungen von brandschatzenden Demonstranten niemals befördert werden, dies ist eindeutig und klar. Ist es demnach nicht auch an der Zeit damit aufzuhören auf eine Verletzung religiöser Gefühle mit gewalttätiger Emotion zu reagieren, und in wutentbrannter Brandschatzung eine legitime Reaktion zu sehen, die man zwar nicht billigen will aber dennoch glaubt verstehen zu müssen? Brandschatzung, Mord und Terrorismus bleiben mit dem Islam unvereinbar, anders ist die quranische Botschaft des 9. Verses der fünften Sure, „...und seid Zeugen in gerechter Weise; die Abneigung einer Gemeinschaft gegenüber, darf euch nicht dazu veranlassen, ungerecht zu sein!“ nicht zu interpretieren. Das hat die internationale Muslimische Gelehrsamkeit in diesen Tagen wieder einmal unmissverständlich deutlich gemacht!

Millionen Muslime in der arabischen Welt sollten ihr neu erlangtes Selbstbewusstsein und ihr großes Ansehen, dass sie sich in beeindruckender Weise durch einen von ihnen im Jahr 2011 eingeleiteten und immer noch andauernden revolutionären Prozess unter großen Opfern selbst friedlich erkämpft und wiedererlangt haben, produktiv leben. Dies gilt auch und insbesondere für den Umgang mit den „agents provocateur“, will man nicht auf ihr verachtenswertes und idiotisches Niveau herabfallen; die rassistischen Scheusale hätten nämlich dann ihr Ziel erreicht. Derweil fallen Menschen in Syrien, dem Irak und in Pakistan Massakern, terroristischen Anschlägen und Drohnenangriffen zum Opfer; eigentlich sollte man für deren Recht auf Unversehrtheit und Anrecht auf ein Leben in Würde auf die Straße gehen und friedlich demonstrieren.

Ein Haufen geistig umnachteter Personen, die für sich in Anspruch nehmen im Namen des Christentums zu sprechen sind genauso wenig repräsentativ für das Christentum wie einige Hundert, vielleicht auch wenige Tausend Muslime, die mit krimineller Gewalt ihr Recht auf Dissens ausüben; beide erweisen dem Ansehen ihrer jeweiligen Religion einen außerordentlichen Bärendienst.

In diesen Tagen gehen sie wieder einmal aufeinander los, die ignoranten, kriminellen und barbarischen Strippenzieher, im andauernden Kampf der Hass predigenden Bestien denen dümmliche Blitzbirnen auf den Leim gehen. Es ist kaum zum Aushalten.




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