Artikel Samstag, 07.06.2008 |  Drucken

Waltraud Lehn, MdB im islam.de-Gespräch über „Gastarbeiter“

Seit 1994 gehört Waltraud Lehn dem Deutschen Bundestag an. Die SPD-Bundestagsabgeordnete wurde 2005 mit 55 % der Erststimmen im Ruhrgebietswahlkreis Recklinghausen II wieder direkt ins Parlament gewählt. Neben dem Besuch der Gemeindeverwaltungs- und Sparkassenschule studierte Waltraud Lehn nebenberuflich Sozialwissenschaften. Von 1984- 1988 hatte sie einen Lehrauftrag an der Universität Wuppertal inne. Danach war sie bis zum Eintritt in den Deutschen Bundestag Beigeordnete und stellvertretende Stadtdirektorin in Marl für die Bereiche Schule, Bildung, Sport, Jugend und Soziales. Das Ruhrgebiet war schon immer ein Schmelztiegel für ausländische Arbeitnehmer Bei der Entstehung der ersten Zechenanlagen kamen Arbeitskräfte aus Polen. Knapp 100 Jahre später kamen türkische „Gastarbeiter“ ins Revier. Hatten früher die Traditionsvereine im Fußball (VfL Bochum, Borussia Dortmund, Schalke 04 beispielsweise) Spieler wie Tilkowski, Kuzorra, Abramczik, heißen heute manche Nachwuchskicker Ahmet oder Mehmet mit Vornamen.

Islam.de sprach mit der Bundestagsabgeordneten „aus dem Kohlenpott“ in ihrem Berliner Abgeordnetenbüro über die Migration. Frau Lehn ist neben ihrer parlamentarischen Tätigkeit sehr aktiv in der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und im Kuratorium Seniorenzentrum sowie im Verein „Frauen helfen Frauen e.V.“ Wir wollten wissen, was die Volksvertreterin Lehn (Jahrgang 1947), die angekündigt hat, für den nächsten Bundestag nicht mehr zu kandieren, in Sachen Migration in knapp 15 Jahren Abgeordnetendasein bewirkt hat. Schließlich hat sie als Abgeordnete zuerst in der Opposition gesessen, von 1998-2005 unter Kanzler Schröder mit einem GRÜNEN- Vizekanzler Fischer Politik von der Regierungsseite aus betrieben, seit 2005 dies fortgeführt unter Kanzlerin Merkel in der Großen Koalition. Waltraud Lehn sprach das Zahlenmaterial für Migration an. So habe man im Jahre 2000 für Sprachkurse für Asylberechtigte, Spätaussiedler und Migranten (in Euro umgerechnet) knapp 218 Millionen ausgegeben. Im Jahre 2007 waren es 141 Millionen Euro. Trotzdem sei die Zahl pro Kopf wesentlich höher als beispielsweise 2000. Denn heutzutage kämen so gut wie keine Spätaussiedler mehr aus den Ländern der ehemaligen UdSSR. Länder, aus denen Spätaussiedler auch kamen, wie Ungarn, Rumänien, Polen, die ehemalige CSSR, jetzt die beiden unabhängigen Staaten Tschechien und Slowakei, seien EU-Länder und somit bestehe nicht mehr der Wunsch zum Aussiedeln .Es gäbe auch keinen extra abgestellten Bundestagsabgeordneten mehr für Spätaussiedlerfragen.

Unter Bundesinnenminister Schily gab es einen Abgeordneten mit dem Titel „Beauftragter der Bundesregierung für Spätaussiedler“. Als ganz großen Erfolg sieht es Frau Lehn an, „dass endlich alles in einer Hand liegt bei Frau Böhmer.“ Die Staatsministerin Maria Böhmer(CDU) ist bei der Bundeskanzlerin angesiedelt und zuständig für Migration, Flüchtlinge und Integration. „Ein eigener Haushaltstitel, daran sieht man doch die Bedeutung“ , so die SPD-Bundestagsabgeordnete weiter. Das war ein Ergebnis unserer Koalitionsvereinbarung. Früher haben viele Ministerien mitgeredet, wenn es um Migration oder Asylfragen ging. Allen voran das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium. Jetzt könne alles bei der Staatsministerin geklärt werden, was die Arbeit erleichtere. Seit ihrem Eintritt ins Parlament 1994 werde sie nicht müde „immer und immer und immer wieder darauf hinzuweisen, Integration findet kleinräumig statt. Also dort, wo die Migranten wohnen.“ Daher habe sie von Anfang an darauf hingewirkt, die Kommunen dort zu stärken, wo sie Migrationsarbeit leisten. Ein großer Erfolg war für sie, dass aufgrund ihrer Anregung die Volkshochschulen(VHS) in Deutschland mit mehr Geld ausgestattet wurden, wenn sie Sprachkurse für Migranten anboten. Das habe nachweislich auch zur Einstellung von mehr Lehrpersonal geführt. Als Mitglied im Haushaltsausschuss habe sie immer darauf geachtet, dass die VHS weiterhin alle notwendigen finanziellen Unterstützungen bekamen. Auch wenn bei einem anderen Asspekt manchmal Gegenwind blies, „ich habe mich nicht gescheut, die Alphabetisierung einzufordern.“ Das Problem der Alphabetisierung sei oft von ihr angesprochen worden und letztendlich habe man in ihrem Sinne gehandelt. Ein Asylant, der weder schreiben noch lesen kann, braucht jetzt keinen Deutschkurs, „das hilft ihm nicht weiter.“ Hier müsse erst jemand in seiner Sprache schreiben und lesen lernen. Ist dieser Schritt gemacht, erfolgt dann der Deutschkurs. Ein Schüler sei auf der Schulbank schlichtweg überfordert, wenn man von ihm verlange, Deutsch zu lesen und zu schreiben, seine eigene Sprache kann er nur durch Worte ausdrücken.

Islam.de fragte nach, ob Frau Lehn für ihren Nachfolger aus dem Wahlkreis, unabhängig davon, wer das Direktmandat holen sollte, einen Ratschlag in Sachen Migration parat habe. „Wenn es gewünscht wird, gerne, ich dränge mich aber nicht auf“, gab sie zur Antwort. Sie werde dann auch der großen Politik „Lebewohl“ sagen. „Ich glaube an den Generationenwechsel“, fuhr die SPD-Abgeordnete fort.
Islam.de wollte zum Abschluss wissen, ob eine so aktive Politikerin sich wirklich zur Ruhe setzen wolle nach dem Ausscheiden aus dem Parlament. Die Abgeordnete Lehn gab an :“Ich habe eine Familie. Der kann ich dann mehr Zeit widmen. In Projekten, die sich mit Entwicklungshilfe befassen, werde ich mich ehrenamtlich einbringen. Eventuell nehme ich noch einen Lehrauftrag an der Universität wieder an. Aber nur einen ganz kleinen.“
Islam de. „Frau Abgeordnete Lehn, wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute.“ (Volker-Taher Neef, Berlin)




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