Newsnational Montag, 26.05.2008 |  Drucken

Nihad Awad : „Der Beitrag der amerikanischen Muslime Kriege zu verhindern, Brücken des Verständnisses und Friedens zu bauen ist unerlässlich.“

islam.de-Interview mit dem Direktor des Council of American Islamic Relations (CAIR), Nihad Awad.

islam.de: In welche Aktivitäten zu den US-Präsidentschaftsvorwahlen sind Sie involviert?

Awad: Die muslimischen Amerikaner sind sehr interessiert and den Vorwahlen. Mehr als in vorhergehenden Wahlen, denn wir sind immer noch im Kriegszustand im Irak, Afghanistan, möglicherweise auch mit dem Iran – Gott bewahre – und aufgrund der Beschneidung von Bürgerrechten in den Vereinigten Staaten. Wir stehen kurz vor einer Rezession, sind sehr besorgt über den allgemeinen Bildungsstand. Die Muslime glauben, dass das Aktiv- und Sichtbarsein bei den Wahlen nicht nur die Politiker sich aufmerksam macht, sondern auch andere Wähler.
Außerdem sehen wir einen Wechsel. Weniger einen Wechsel seitens der Politiker, wohl aber der amerikanischen Muslime; obwohl sie einen kleinen Anteil der gesamten Zahl der nationalen Wähler ausmachen, können sie in den Wahlen den Ausschlag geben. Glücklicherweise hat die Community seit 2000 mehr oder weniger als ein Block gewählt, was bedeutet, dass unsere Stimmen entscheidend sein können in einigen bedeutenden Bundesstaaten, die als politische Kampfplätze gelten.
Schließlich ist da noch ein Reifeprozess unter den Muslimen und die Wahrnehmung, dass ihre Teilnahme, ihre Stimmen wichtig sind für Amerika, die muslimische Welt und die Welt im allgemeinen, denn wir sind eine Kraft des Umschwungs.

islam.de: Wer organisiert diesen „Block“? Geben Sie als Organisation Empfehlungen ab, wen man wählen soll?

Awad: Der erste Schritt ist, dass die Leute sich weiterbilden über gesellschaftliche Kernfragen und die Kandidaten, sowie sich als Wähler registrieren und folglich am Wahltag wählen gehen. Dies ist ein wichtiger Teil des gesamten Prozesses. Der zweite Schritt: was soll man wählen? CAIR darf aufgrund seines Status [zur Steuerbegünstigung, Anm. d. Red.] keine Wahl-Empfehlungen aussprechen. Allerdings haben wir zusammen mit anderen Organisationen einen muslimisches PAC geformt [political action commitee – gemeint ist die „American Muslim Taskforce on Civil Rights and Elections (AMT)”, Anm. d. Red.], welcher Entscheidungen im Namen der muslimischen Community trifft. Es ist wichtig für uns, dass die Muslime verstehen, in eine gemeinsame Richtung zu wählen, denn wir besitzen nicht den Luxus unterschiedlich zu wählen...

islam.de: …ist dies immer klug?

Awad: Langfristig, strategisch gesehen sollten die Muslime nicht alles auf eine Karte setzen. Aber in diesem Jahr müssen die Muslime dies tun. Übrigens werden die Muslime nicht alle in einem Block wählen. Unsere Community ist sehr verschieden [siehe auch unterer Link, Anm. d. Red.]. Unsere Umfragen haben gezeigt, dass 49% der Muslime als demokratisch registriert sind, 8% republikanisch und 36% unabhängig. Es weist darauf hin, dass Parteien und Kandidaten die Stimmen aus der muslimischen Community nicht als selbstverständlich annehmen können. Die Vielfältigkeit innerhalb der Muslime zeigt: sie stimmen für Ideen nicht für Kandidaten.

islam.de: Warum sind so wenige Muslime als republikanisch registriert, wo die Republikaner doch eher als konservativer oder gar religiöser gelten?

Awad: Das ist ziemlich nahe liegend. Diese Frage müssten sich die Republikaner selbst stellen, warum sie in der Welt und in den USA Zuspruch verlieren. Warum gibt es die Stimmen der Minderheiten und solche die besorgt sind, über die Auswirkungen der Ideologie der Neokonservativen auf die Außenpolitik beziehungsweise die Welt und Amerika, besorgt über die neu-konservative Ideologie der Präventivschläge und Konfrontation mit der Welt? Die Sichtweise, Muslime als den großen Feind zu sehen, ist eine Gefahr für die Welt und für die amerikanischen Interessen, deshalb sind die verheerenden Auswirkungen der Außenpolitik in Bezug auf den Irak offensichtlich und die Beschneidung der Freiheitsrechte von Minderheiten, insbesondere Muslimen und Arabern in den Vereinigten Staaten, sind offenkundig. Es ist leicht zu erkennen, dass Muslime stärker an die Agenda der Demokraten glauben als die der Republikaner. Das bedeutet nicht, dass die Demokraten für uns alles verändern werden.

islam.de: Washington ist voll von so genannten
Interessenvertretungen und Lobby-Gruppen. Wo liegt die ethische Grenze zwischen moralisch-fraglichem Lobbyismus und positiver Einflussnahme? Ist dies nicht ein sehr schmaler Grat?


Awad: Der Begriff Lobbyismus wird von einigen als schmutziges Word verstanden, aber wir sehen es als Möglichkeit uns eine Stimme zu geben und unsere Ansichten bekannt zu machen. Unsere Stimme fehlte in der Vergangenheit und unser Beitrag in der Gestaltung der US- Innen- und Außenpolitik war bisher gekennzeichnet durch einen großen Nachteil für Muslime und Nichtmuslime, für die US- und die muslimische Welt. Wir fehlten bei der Gestaltung und Formierung der Politik, also versuchen wir lediglich aufzuholen und Fehler zu korrigieren, sicherzustellen, dass die Menschen den Islam verstehen, die Muslime verstehen und sehen, dass der Islam und die Muslime potentielle Partner sind und nicht zwangsläufig Feinde. Wir sprechen von grundsätzlichem Wissen und Informationen und versuchen dem Falschwissen zu entgegnen, welches seit vielen Jahren existiert. Wir missbrauchen oder manipulieren nicht das System, wir informieren nur über unsere Probleme und was man wissen sollte. Andere Gruppen, Unternehmen und Interessenvertretungen haben ihre eigenen Techniken, das System auszunutzen – wir sind damit nicht einverstanden.

islam.de: Was sind die größten Herausforderungen für die nächsten 1-2 Jahre, insbesondere in den USA?

Awad: Unsere größten Herausforderungen bisher waren die Ignoranz gegenüber dem Islam in der amerikanische Gesellschaft, der Mangel an Wissen über Muslime und der Mangel an effektiver Teilnahme seitens der Muslime. Diese Lücken zu schließen ist wichtig für uns, um den Grad der Mitwirkung zu maximieren. Die gute Nachricht ist: die muslimische Community ist integriert, engagiert, gebildet und hat großes Potential aufzusteigen indem sie sich stärker involviert in die amerikanische Politik. Es gibt gute Beispiele und Initiativen hierfür, z.B. die ersten muslimischen Kongressabgeordneten. Wir sehen landesweit Beispiele, wie Muslime an ihr Potential in der Gesellschaft glauben. Die Tatsache, dass viele eingebunden sind in politische Kampagnen ist ein gutes Zeichen, dass die muslimische Community jetzt ein Licht am Ende des Tunnels sieht.

islam.de: Bestreben Sie die Beziehungen zu den Muslimen im Ausland zu verstärken? Würden Sie darin Vorteile sehen, oder genügt die Arbeit in den USA?

Awad: Wie man sagt: Global denken, lokal handeln. Auch als Muslim ist unsere erste Priorität unser Land und unsere Gesellschaft hier. Aber gleichzeitig leben wir nicht in Isolation mit der muslimischen Welt und ihren Problemen. Wir werden täglich beeinflusst – ob wir es wollen oder nicht. Die muslimische Welt ist auf eine bestimmte Art stets einbezogen und beschäftigt, aber vielleicht auf eine negative, ungerechte Art. Wir versuchen diese Situation in Ordnung zu bringen. Aber um es zu verbessern, müssen wir vor unserer eigenen Haustüre kehren. Demnach sind unsere Prioritäten die Probleme in den Vereinigten Staaten: die Wirtschaft, Gesundheitsfürsorge, Bildung, Sicherheit, Bürgerechte und die Außenpolitik wie der Krieg im Irak: wir möchten dass unsere Truppen nach Hause kommen, wir möchten ein Ende sehen dieses unberechtigten, unklugen Krieges. Und wir möchten nicht noch einen Krieg sehen gegen den Iran oder andere Länder. Wir sind sehr besorgt und deshalb denke ich, ist der Beitrag der amerikanischen Muslime Kriege zu verhindern, Brücken des Verständnisses und Friedens zu bauen ist unerlässlich. Deshalb basiert unsere Beziehung auf Pflege des Dialoges mit der islamischen Welt. Wir sorgen uns um die muslimische Welt, aber unsere Priorität ist unsere eigenen Probleme zu lösen.

islam.de: Herr Awad, vielen Dank für das Interview.
(Interview: Oliver Bauer, Washington)

Zur Person: Nihad Awad ist Direktor des Council of American-Islamic Relations (CAIR), einer der größten gemeinnützigen, muslimischen Bürgerrechtsorganisation in den USA. Er wird regelmäßig von nationalen und internationalen Medien frequentiert. Awad ist Berater diverser staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen, vor allem in den USA. Zur Wahl 2000 war er an der Formung einer Dachorganisation beteiligt (American Muslim Political Coordination Comittee), welche die Wahl der Muslime in einem gemeinsamen Block maßgeblich mitorganisierte.




Lesen Sie dazu auch:
Wahlen in den USA - Muslimische Wähler sehr vielseitig

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