Newsnational Donnerstag, 18.05.2006 |  Drucken

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Die Sehnsucht nach dem Untergang - Kommentar von Sulaiman Wilms

Muslime gegenüber schlechten Umfragergebnisse - Wenn Statistiken nur die halbe Wahrheit verbreiten

Anfang dieser Woche wurden die Ergebnisse der monatlichen Allensbach-Umfrage, im Auftrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), veröffentlicht. Darin wurden ausgewählte Bundesbürger nach ihren Einstellungen zum Islam, zum so genannten "Kampf der Zivilisationen" und zur Anwesenheit von Muslimen in Deutschland befragt. In einem redaktionellen Beitrag vom 17. Mai kommentierten Dr. Elisabeth Noelle und Dr. Thomas Petersen die Ergebnisse der Umfrage. Angesichts der sich scheinbar oder tatsächlich verschlechternden Haltungen zum Islam nutzten die AutorInnen die Gelegenheit, wieder einmal vor einem zu erwartenden Clash der Kulturen zu warnen.

So weit, so schlecht. Betrachte man die Ergebnisse, so die AutorInnen, so könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein Entfremdungsprozess zwischen "traditioneller Bevölkerung" und den im Lande lebenden Muslimen stattfinde. Zu hinterfragen wäre allein schon diese Aussage, da viele der hier lebenden Muslime ja bereits Teil der "traditionellen Bevölkerung" sind. Betrachtet man die zitierten Fragen, so wird deutlich, dass sie einen derartig generalisierenden Charakter haben, die es den zumeist nur durch Massenmedien schlecht informierten Menschen schwer machen, überhaupt differenziert zu antworten. Der Beitrag zählt Schritt für Schritt die Fragen und die Zahlen der passenden Antworten auf. Was auf den ersten Blick auffällt, ist, dass sämtliche Fragen negativ gehalten sind, deren Formulierung es leicht macht, sie zu bejahen. Das deprimierende Fazit des Artikels, wenn man ihm den folgen würde, lautet: "In den Köpfen der Bürger hat der „Kampf der Kulturen“ bereits begonnen."

Wieder einmal beweist sich die Statistik als politische Hilfswissenschaft, deren Ergebnisse je nach Herrschaftsinteresse eingesetzt werden. Es darf nicht vergessen werden, dass die erhebenden Firmen und "Institute" sich ihre Umfragen von ihren Auftraggebern bezahlen lassen und keine unabhängigen akademischen Einrichtungen sind. Angesichts der aktuellen Debatte und der Zeitung, in welcher der Artikel veröffentlicht wurde, überraschen die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Umfragen nicht wirklich.

Besonders bedenklich an der modernen Medienwelt in Deutschland ist es, wenn die Bürger nach eben jenen Inhalten und Schlagwörtern befragt werden, die doch zuvor von eben jenen Medien in erkennbarer Permanenz seit Jahren verbreitet und bestärkt werden. Wenn dann die den Auftrag gebende Zeitung die Befragungsergebnisse in Folge im Diskurs verbreitet, kommentiert und darüber diskutieren lässt, hat sich der Kreis des isolierten Diskurs in den Medien geschlossen. Massenmedien erschaffen in Deutschland ihre eigenen Diskurse, die dazu gehörenden Wirklichkeiten und geben sich dann als Spiegel der Realität aus.

So wird die Tendenz in Deutschland noch verstärkt, dass es im Grunde zwei Diskurse bei uns gibt: Einer, in den Medien geführt, bei dem alles muslimische problematisiert und dramatisiert wird. Und ein anderer, bei dem die Menschen - gerade die jüngere Generation - einen alltäglichen Umgang mit Muslimen pflegt, und so zumindest zu ambivalenteren Erfahrungen kommt.

Vor allem steht zu befürchten, dass es diese Form der politischen Statistik ist, die populistische Positionen erleichtert. Denn die ausführende Politik kann sich ja immer auf einen angeblichen Willen der Menschen hier beziehen. Wir müssen diese Veröffentlichungen vor dem Hintergrund einer anderen Entwicklung verstehen. Während Politiker wie der Ex-General Schönbohm weiter mutig das hohe rechte und rassistische Potenzial leugnen, legen relevante Statistiken das Gegenteil nahe.

Winston Churchill wurde die Aussage zugeschrieben, dass er keiner Statistik traue, die er nicht selber gefälscht habe. Niemand würde dies den renommierten Allensbach-Forschern unterstellen wollen. Dies offene Frage bleibt eher, wie und ob sich ihre Hilfswissenschaft instrumentalisieren und in den Dienst von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen stellen lässt.
(Erstveröffentlichung in der Islamischen Zeitung vom 17.05.06; mit freundlicher Genehmigung des Autors)




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