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Samstag, 04.03.2006

Zentralratsvorsitzender Ayyub Köhler im WELT-Interview: "Was wir bei vielen Politikern hierzulande wahrnehmen, ist nicht Glaubensgewißheit, sondern Selbstgerechtigkeit und Selbstverliebtheit"

Über den Dialog, der in der Sackgasse gelandet ist, Verfassungspatriotismus und Islam und Koran als Wahrheit

Das Interview, welches vom WELT-Redakteur Gernot Facius heute erschienen ist, geben wir hier in toto wieder:


DIE WELT: Deutscher, Moslem und engagiertes Mitglied der FDP, die als Partei des organisierten Liberalismus die Trennung von Religion und Staat auf ihre Fahnen geschrieben hat. Wie paßt das zusammen?

Ayyub Axel Köhler: Das hat mit meiner Biographie zu tun. Ich habe 1956 in Halle mein Abitur gemacht, ich weiß aus der leidvollen Erfahrung in der DDR, was Pressefreiheit und Freiheit der Person bedeuten. Und ich bin immer ein Verfassungspatriot gewesen. Für mich war es nur logisch, daß man sich auch politisch zu erkennen gibt, daß man dafür eintritt, daß alle Menschen konstruktiv an dieser Gesellschaft Anteil haben.

DIE WELT: Und jetzt sind Sie Moslem-Lobbyist?

Köhler: Ich bin ein gestandener Muslim. Aber ich bin kein Lobbyist, der nur versucht, die Interessen der Muslime auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Ich möchte im Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppierungen sein.

DIE WELT: Genügt es, Verfassungspatriot zu sein? Oder muß man auch anerkennen, daß es eine Art christlicher Leitkultur zu respektieren gilt?

Köhler: Mit diesem Begriff kann ich nun nichts anfangen. Entweder machen wir ernst mit unserer säkularen Gesellschaft oder auch nicht. Vom Staat ist eine neutrale Distanz zu den Religionen zu erwarten, ein gleicher Abstand. Hier trennt uns ja wenig. Aber es trennt uns, wenn verschiedene Gruppen meinen, daß wir Muslime wegen kultureller Unterschiede nicht zu diesem Staat gehören und nicht die gleichen Rechte wahrnehmen dürften. Da hört der Spaß auf!

DIE WELT: Ist der Dialog mit dem Islam tot?

Köhler: So abwegig ist das nicht. Wir sind irgendwie in eine Sackgasse geraten. Wenn ein Christ sagt, wir haben ja nicht einmal den gleichen Gott, dann ist praktisch ein Ende des Dialogs für uns gekommen. Da müssen wir raus.

DIE WELT: Aber Sie können doch nicht leugnen, daß sich die Gottesbilder unterscheiden?

Köhler: Das ist ja das Polemische. Wir wissen natürlich, daß wir verschiedene Gottesbilder haben. Aber es ist der gleiche Gott. Wer das nun so undifferenziert wiedergibt, tut das mit einer Absicht.

DIE WELT: Ist denn aber ein Dialog möglich, wenn ein Partner, der Islam, darauf beharrt, seine religiöse Auffassung sei unumstößlich?

Köhler: So provokativ antworte ich Ihnen auch. Für mich sind der Islam und der Koran die Wahrheit. Das erwarte ich aber auch von den Christen mit ihrer Religion. Die Frage ist ja nicht, wer hat die Wahrheit, sondern wie geht er mit der Wahrheit um. Man muß die Wahrheit des anderen respektieren.

DIE WELT: Sonst erschwert man die Integration?

Köhler: Wir haben in Deutschland keine in sich widerspruchsfreie Islampolitik. Es muß der Islam in die deutsche Staatsordnung integriert werden. Das Problem zeigt sich schon beim Religionsunterricht. Nach dem Buchstaben des Gesetzes müssen wir eine Religionsgemeinschaft sein. Aber wir sind keine Religionsgemeinschaft in dem Sinne, wie es das Staatskirchenrecht kennt. Und wir können auch keine Kirche werden.

DIE WELT: Dieses Problem ist kaum aufzulösen.

Köhler: Deshalb hat die Politik eine große Aufgabe. In Niedersachsen ist man über den Schatten gesprungen und hat sich am Runden Tisch auf einen Schulversuch über einen islamischen Religionsunterricht verständigt. Das ist noch nicht das, was wir wollen, aber es ist ein Schritt nach vorn.

DIE WELT: Was verlangen Sie konkret?

Köhler: Einen korrekten islamischen Unterricht, der Schüler in die Lage versetzt, einen Standpunkt einzunehmen - vor dem Hintergrund ihrer deutschen Lebenswirklichkeit. Die Kinder dürfen nicht Opfer werden von irgendwelchen Demagogen, die ihnen ihr Bild vom "wahren Islam" einreden. Dann muß man auch überlegen, ob man es den Muslimen nicht leichter machen sollte, zivilgesellschaftliche Organisationsformen zu entwickeln.

DIE WELT: Zum Beispiel?

Köhler: Moscheegemeinden. Wer wagt denn heute noch, angesichts der Einschüchterungen, den Kopf hoch zu halten und sagt: Wir machen hier einen Verein auf? Zivilgesellschaftliche Organisation ist etwas sehr wichtiges, das wird uns ja immer erzählt. Dann muß man uns aber auch diesen Freiraum geben. Und man muß uns auch zugestehen, daß wir Fehler machen können. Es ist notwendig, daß sich an der Basis Meinungen bilden können - auch über den Islam und seine Lebensweise hier in Europa. Wir brauchen geistige Freiheit, Religionsunterricht, Lehrstühle - dann kommt eine Diskussion zustande über den Islam in der Moderne unter den modernen Bedingungen. Eine solche Diskussion kann nicht in Kairo, Damaskus oder anderswo in der islamischen Welt geführt werden. Ohne Freiheit keine Entwicklung! Man kann von uns nicht verlangen, etwa den Koran umzuschreiben, daß wir die Grundsätze unserer Religion so anpassen, wie man das hier gern möchte. Es wäre doch klug, sich hier die Muslime in Freiheit entwickeln zu lassen. Denn dann hätten die europäischen Muslime eine Ausstrahlungskraft auch auf die Kernländer des Islam. Man setzt auch in der islamischen Welt Hoffnung auf Europa.

DIE WELT: Wie wollen Sie aber die Ängste in der Bevölkerung vor der "fremden" Religion zerstreuen?

Köhler: Gegen emotionale Probleme kommt man nur sehr schlecht an. Sie sprechen von Angst der Bevölkerung. Wie ist es mit der Angst der Führungselite? Es gibt wahrscheinlich noch immer eine schweigende Mehrheit, die sehr wohl weiß, was es mit dem Islam auf sich hat und wie man als weiser Politiker damit umgeht. Man hört ja nur die, die ein Geschäft daraus machen.

DIE WELT: Ein harscher Vorwurf!

Köhler: Ich mache manche Politiker mitverantwortlich dafür, daß hier Ängste geschürt wurden, bei jeder Landtagswahl. Das hat ja zugenommen! Wenn bei Wahlen fremdenfeindliche Unterschriften gesammelt werden, dann ist das Teil einer Hetze gegen die Muslime, die man doch eingliedern will. Eine demagogische Strategie! Diese Politiker haben eine riesige Verantwortung, die sie aber nicht wahrnehmen. Aus schierem Populismus.

DIE WELT: Und die Angst vor der Scharia, der islamischen Rechtsordnung?

Köhler: Man hat hier meist extreme Beispiele der islamischen Rechtspflege vor Augen. Todesstrafe, Auspeitschen. Handabhacken. Daß das ein ganz geringer Teil der Scharia ist, daß die Scharia nur Rechtsgrundsätze für Muslime setzt und vor allem die Ethik behandelt, das wissen die meisten überhaupt nicht. Auf diese Ethik wollen wir nicht verzichten.

DIE WELT: Läßt diese Ethik den Religionswechsel zu?

Köhler: Da herrscht unter den Gelehrten keine Klarheit. Aber da sagen wir, nach unserer Erfahrung und aus Einsicht und als Bürger dieses Landes: Der Mensch muß die Freiheit haben, sich zu entscheiden. Damit geben wir zu erkennen, daß wir unter dem Eindruck der pluralisierten Welt über solche Dinge nachzudenken imstande sind. Die Scharia ist ein Weg, eine Richtschnur für Muslime. Wir verlangen nicht, daß die Scharia in Deutschland eingeführt wird. Man soll auch nicht sagen, sie sei wie ein Stein, der sperrig auf dem Weg liegt. Im Lauf der Geschichte hat sie sich schon verändert. Denn auch die islamischen Gelehrten sind nicht dumm. Sie sehen durchaus, daß die Welt sich dreht. Aber man kann von uns nicht verlangen, daß wir Lebensgrundsätze so einfach umschreiben. Wenn das auch getan würde, wäre es denn nachhaltig?

DIE WELT: Hat die Mehrheitsgesellschaft aus dem bizarren Konflikt, den die Mohammed-Karikaturen weltweit ausgelöst haben, etwas gelernt?

Köhler: Ich habe mit Interesse registriert, daß die CDU eine "Wertekonferenz" abgehalten hat. Vielleicht hat das Geschehene auch dazu beigetragen, daß man hier mal über die eigenen Werte nachdenkt. Man befindet sich noch immer in einer Wertekrise. Diese verunsicherte Gesellschaft trifft plötzlich auf eine Minderheit, die sehr glaubensgewiß ist. Wenn ich nur erreichen könnte, daß die Mehrheitsgesellschaft sich ihres Glaubens und ihrer Kultur bewußt würde, dann würden wir gut miteinander auskommen. Was wir bei den Politikern hierzulande wahrnehmen, ist nicht Glaubensgewißheit, das ist Selbstgerechtigkeit, Selbstherrlichkeit, Selbstverliebtheit. Wie kommen ausgerechnet diese Leute dazu, eine Minderheit wie die Muslime als eine barbarische Minderheit darzustellen!