Newsnational Dienstag, 21.04.2020 |  Drucken

Spiritualität und die Gaben des Ramadans ohne Moschee?

Debattenbeitrag zum Thema der Gefahren der Öffnung von Moscheen zu Ramadan 2020, im Jahre der Corona-Pandemie. Von Zaid el-Mogaddedi

Es ist soweit: Die Corona-Maßnahmen werden sukzessive und sicher mit Bedacht im Hinblick auf die wichtige Kennziffer der Reproduktionsrate gelockert und in diesem Umfeld kam dann auch der Ruf, seitens der Kirchen in Gestalt vom Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, der zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die beabsichtigten Lockerungen der Maßnahmen auch die Gottesdienste in den Kirchen unseres Landes beachten sollten, denn Kardinal Woelki betonte das Grundrecht auf den Kirchengangs und verwies auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welches erklärt hatte, das es sich dabei um ein Freiheitsrecht, dem Recht auf freie Religionsausübung handelt, das von der Verfassung her garantiert ist.

Natürlich kam seine Initiative nach Ostern, denn auch die Kirchen waren sich der Tatsache bewusst, dass es ihnen bei gottesdienstlichen Aktivitäten an den beiden wichtigen Osterfeiertagen nicht gelingen würde, die erforderlichen Abstands- und Hygieneregeln in Zeiten von Corana zu gewährleisten, denn gerade in Krisenzeiten ist der Wunsch der Menschen nach einem seelischen Beistand umso größer und ein kirchliches Gottesdienstangebot hätte zu einem nicht zu regulierenden Menschenaufkommen in den Kirchen zu Ostern geführt.

Folgerichtig und getreu dem Motto „Grundgesetzlich geschützte Rechte für alle“  haben sich dann im Umfeld dieser angestoßenen Diskussion auch andere Religionsvertreter und deren Verbände mit Verweis auf die freie Religionsausübung die Initiative in Angriff genommen, eine Post-Corona-Regelung für ihre Glaubensgemeinschaften zu erzielen und dies gilt nicht nur für die jüdischen, den hinduistisch-buddhistischen, sondern auch für die muslimischen Gemeinden, die alle bisher zu Recht ihre Gotteshäuser geschlossen halten.

Insofern erscheint es auf den ersten Blick als eine gute sinnstiftende Initiative seitens des Islamrats und der IGMG, sich dafür einzusetzen, eine Lösung mit den staatlichen Stellen im Hinblick auf das Thema Moscheeöffnung für den in dieser Woche beginnenden Ramadan zu finden. Aber ist dies die korrekte Vorgehensweise für die Muslime in Deutschland und unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die wir hier als integraler Teil der Zivilgesellschaft in Deutschland tragen?

Natürlich sind weder Kirchen, Moscheen, Synagogen, Tempel oder Gurdwara „systemrelevant“ und können somit nicht mit Modeläden, Fabriken oder Autohäusern gleichgesetzt wird und mir fällt dabei nur das Albert Schweitzer zugeschriebene Bonmot ein, der gesagt haben soll „Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in die Garage fährt“, aber zweifellos haben alle Religionsgemeinschaften eine immense gesellschaftliche Relevanz und diese zu erhalten und zu fördern muss ein besonderes Anliegen von uns allen und der Politik sein, jedoch stets mit Bedacht und in Kenntnis der realen Lebensbedingungen in den jeweiligen Glaubensgemeinschaften.

Wir haben als Muslime eine große Verantwortung vor ALLAH und unserer Gesellschaft und ich sehe erhebliche Schwierigkeiten, entlang der epidemiologischen Vorgaben in geordneten Bahnen, die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen (obligatorischer Mundschutz, eigener Gebetsteppich, begrenzte Anzahl an Moscheebesucher, Desinfektionsmittel zum Händewaschen, keine rituelle Waschung vor Ort, kein Fastenbrechen, Namenslisten, etc.) in den Moscheegemeinden zu gewährleisten.

Kardinal Woelki hat seine Forderung nicht grundlos nach den beiden wichtigen Osterfeiertagen in die öffentliche Debatte eingebracht und die muslimischen Verbandsvertreter sollten berücksichtigen, dass wir im Ramadan an jedem Tag einen „Quasi-Osterfeiertag“ in der Moschee hätten, sodass die beiden Situationen überhaupt nicht miteinander zu vergleichen sind.

Um es populärwissenschaftlich pointiert auf den Punkt zu bringen: Unsere Gemeinden würden es ver-sau-(mit "Kamel" geht es leider nicht)-beuteln, wenn sie im Ramadan nicht in der Lage sind, sich kurz vor Sonnenuntergang in Form und Inhalt entsprechend zu disziplinieren.


Natürlich könnte man, die durch Sicherheitsabstand möglichen verfügbaren Plätze im Ramadan jeden Tag neu vergeben und penibel darauf achten, dass man nicht an zwei aufeinander folgenden Tagen in die Moschee darf. Auch der Einsatz von datenschutzrechtlich unbedenklichen Tracing Apps könnte dabei helfen, mögliche potentielle Infektionsketten im Vorfeld/Nachgang zu verhindern bzw. diese nachzuverfolgen.

Klingt alles soweit gut, ist alles auch möglich, aber möglicherweise wird schon am ersten Tag eine nicht stumm protestierende Menschenmenge vor der Moschee stehen, um auf Einlass zu pochen und die Stadtverwaltung wird die gerade neu eröffnete Option sofort wieder zu Recht einkassieren. Die Schlagzeile am nächsten Tag wäre der Gemeinde ohne Frage gesichert, nur will man diese wirklich haben?   So wird es also nicht gehen und wir sollten uns alle ob der realen Handicaps, unserer menschlichen Natur und den Stärken/Schwächen in unseren Gemeinden bewusst sein und uns dort keiner Ramadan-Illusion hingeben.

Ramadan hat eine erhebliche spirituelle Bedeutung für alle Muslime, die bei Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen jedoch vollkommen verloren gehen würde und damit ist niemanden geholfen. Auch islamologisch lässt sich dies mit Verweis auf die Unterschiede zwischen Sunna und Fard eindeutig belegen.   Natürlich kann man auch noch argumentieren, dass die durch die andauernde Schließung in finanzielle Not geratenen Moscheen ein besonderes Interesse daran haben, gerade im Ramadan zu öffnen, da die meisten Moscheen eben nicht aus dem Ausland von unsichtbarer Hand finanziert werden, sondern durch die Spenden aus der Gemeinde, sei es nach dem regelmäßig stattfindenden und derzeit abgesagten Freitagsgebeten oder eben besonders im gesegneten Monat Ramadan, aber hier müssen die Verbände andere kreative Wege mit der Politik beschreiten und diskutieren, um die reale prekäre Finanznot der Moscheevereine zu verringern – ein Öffnung der Moscheen im Ramadan gehört definitiv nicht dazu!

Es wird somit eben in jedweder Hinsicht ein außerordentlich besonderer Ramadan im häuslichen Umfeld sein. Sehr viel Zeit, um mit Familie und den eigenen Kindern den Din nicht nur zu "predigen", sondern diesen täglich auch vorzuleben und durch entsprechende Diskussionen und eigene Studien zu vertiefen.

Die "Stay and pray alone at home" Option bedeutet natürlich auch nicht, dass wir opulent (bedenkt die immer gültige Empfehlung: ein Drittel zu essen, ein Drittel zu trinken und ein Drittel Luft zu lassen, denn das Gefäß, welches wir am schlechtesten befüllen können ist unser Körper) den Iftar-Abend im Kreise des großen familiären und Bekanntenumfeldes daheim zelebrieren sollten, denn dann ist uns die Anzeige "achtsamer und besorgter Nachbarn" sicher, was ebenfalls nicht dazu beitragen wird, dass wir die vorhandenen gesundheitlichen und spirituellen Früchte des Ramadans mit Herz, Verstand und Seele genießen werden können.

Es ist eben eine für uns alle besondere Prüfungsphase und wir wissen doch, das mit jeder Erschwernis die Erleichterung einher kommt. Der Ramadan kommt, wird natürlich nicht abgesagt und das ist auch gut so und wir alle sind uns unserer Verantwortung im Für- und Miteinander auch bewusst.

Ramadan 2020: Eine große einmalige Chance für alle, die nachdenken und die Zeichen richtig deuten und sie wird uns allen nicht ohne Grund in 2020 gewährt. Bleibt gesund daheim und freut euch auf außergewöhnliche Fastentage, sowie sich langsam nach dem Ramadan wieder öffnenden Moscheen – so Gott will.




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