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Samstag, 09.03.2019


Der Extremismusvorbehalt gegen Muslime hilft nicht

Die Arbeit für die Demokratie, die muslimische Gemeinden seit Jahrzehnten leisten, wird nicht gesehen. Stattdessen werden unbequeme Meinungen und Positionen aus der Öffentlichkeit verbannt. Das ist gefährlich und höchst undemokratisch.

Viele Islamkritiker folgen bis heute dem abenteuerlichen Ansatz, es gebe keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus. Damit diskreditieren sie 1,6 Milliarden Muslime weltweit und eine 1.400 Jahre alte Weltreligion, die große Zivilisationen hervorgebracht hat. Ihr friedliche Kernbotschaft und Praxis sind unbestreitbar und unübersehbar. Die Light-Version dieses Ansatzes, die nun auch zunehmend konservative wie linke Milieus erreicht, ist die vage Formulierung: Islam ja, nicht aber der politische Islam. Was immer sich hinter diesem Begriff verbirgt, er bleibt dabei äußerst vage. Das ist auch gewollt, denn so bleibt es das Geschäft und die Interpretationshoheit des Angreifers, der ohne echte Beweise solche Zuschreibungen vornimmt. Meist muss sogar der Betroffene die Beweisumkehrlast auf sich nehmen, um sich des Vorwurfes Anhänger des „Politischen Islams“ zu sein, zu erwehren. Das widerspricht jeder rechtsstaatlichen Idee, passt aber ganz gut in das Stimmungsraster des aktuellen Islamdiskurses, wo immer wieder ein Extremismusvorbehalt gegen Muslime herrscht. Die Narrative liegen dabei auf der Hand: Der sogenannte Islamische Staat,  Al-Kaida, der Terrorismus und  Muslime generell werden alle zusammen als gewaltaffine und rückwärtsgewandte Masse dargestellt.



Unsere Haltung als Verband ist dabei klar: sich für das Wohl unserer Gesellschaft und für den Frieden hier einsetzen. Wer das tut, der ist bei uns willkommen. Wer sich jedoch dem Islam in Form einer Ideologie nähert, wird bei uns keine Heimat finden. Das ist bekannterweise die Linie des Zentralrates. Wir dulden keine Beeinflussung  einer Ideologie, sei sie religiös oder nationalistisch, sei sie links oder rechts. Moscheen dürfen nicht für Ideologien, Parteien, Bewegungen oder Nationalismen missbraucht werden. Wer das tut, hat mit uns nichts gemein. Die Community weiß, dass wir und ich auch persönlich dafür seit Jahren eintreten. Das Bekenntnis zu den demokratischen Grundprinzipien, zum staatlichen Gewaltmonopol und zur rechtsstaatlichen Ordnung gehört zum Selbstverständnis des Zentralrats der Muslime. Alle Mitglieder haben sich daran zu halten. Ich habe schon vor einem Jahrzehnt in einem Interview gegenüber der Zeitung „Das Parlament“ gesagt, dass die „Demokratie derzeit die beste Staatsform ist“. Das gilt auch weiterhin. Für mich stellt Demokratie mit ihrer säkularen Ordnung, der organischen Trennung von Staat und Religion und der Möglichkeit, freiheitlich und selbst- und mitbestimmend leben zu können, die beste Staatsform da. Es gibt keine bessere Regierungsform. Ich verstehe mich hierbei als Verfassungspatriot und stehe zu den Werten des Grundgesetzes ohne Einschränkungen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat das vor mehr vor fast 20 Jahren in einem langen Prozess mit seinen Mitgliedern über die sogenannte „Islamische Charta“ ausgehandelt. Ich bin stolz, damals auch daran mitgewirkt zu haben.



Es sind immer Menschen, die aus einer Religion dieses oder jenes machen. Es sind aber auch wiederum Menschen, die nicht der Religion angehören, die den politischen Islam für jegliches Übel der Welt verantwortlich machen. Und wer dieser kruden These widerspricht, dem wird mit dem Totschlagargument begegnet, die wahren Absichten würden nur verheimlicht. Die Arbeit, die muslimische Gemeinden dabei seit Jahrzehnten leisten, zählt dabei nicht. Es zählen nicht die unzähligen Beteiligungen und eigenen Veranstaltungen zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und Demokratie, es zählen nicht die die vielen Arbeiten im Bereich der Extremismusprävention, der Dialog und die Aufklärung in den Moscheen oder die seelsorgerische Begleitung für Tausende von Gläubigen jeden Tag.  Wenn dieses Bekenntnis in Wort und Tat – und zwar proaktiv durch Hunderte von Projekten und Aktivitäten -  bei einigen nichts mehr gilt, dann ist dies höchst besorgniserregend. Das ist nichts anderes, als unbequeme Meinungen und Positionen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Dies ist gefährlich und höchst undemokratisch.




Debatten wie im Falle des „Politischen Islam“ sorgen dafür, dass der Dialog mit Muslimen und islamischen Religionsgemeinschaften immer schwieriger werden. Inzwischen scheuen Politiker, Behörden und gesellschaftliche Gruppen sich davor, auf Vertreter des Islam zuzugehen - aus Sorge, von Boulevardmedien und Rechtspopulisten als Terrorversteher gebrandmarkt zu werden. Ich appelliere an alle Seiten zum fairen, demokratischen Umgang und rufen dazu auf, eine faire Auseinandersetzung mit unserer Arbeit zu führen. Dies erreicht man insbesondere durch Dialog und Gespräch miteinander und nicht übereinander. Mit Pauschalverdächtigungen sowie vagen und verdachtsbekräftigenden Vorbehalten gegenüber einem „Politischen Islam“ erreicht man höchstens die Hardliner auf beiden Seiten. Deren hasserfüllte Mitläufer sehen damit dann ihr geschlossenes Weltbild bestätigt.

Die Veröffentlichung des vorstehenden Artikels vom 04.03.2019 mit einem Beitrag vom Vorsitzenden Aiman Mazyek auf unserer Website, erfolgte mit freundlicher Genehmigung vom „Tagesspiegel“.