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Donnerstag, 01.09.2016


Ortschaft Weliki Bolgar

Tatarstan - Der islamische Teil Russlands

"In der zaristischen Zeit hatte Russland über 200 Jahre lang nicht eine einzige Moschee" - von Volker-Taher Neef

Mit über 1,1 Millionen Einwohnern ist Kasan die 8. größte Stadt Russlands. Zugleich ist die 1005 gegründete Stadt die Hauptstadt der Republik Tatarstan. Die Fläche der autonomen Republik beträgt rund 67.900 Quadratkilometer. Hier leben insgesamt 3,8 Millionen Menschen. Davon sind 53 Prozent Tataren, 40 Prozent Russen und 3 Prozent Tschuwaschen. 

Die Tschuwaschen zählen zu den Turkvölkern und gelten als Nachfahren der Wolgabulgaren. Auch unter dem Namen Onoguren sind sie bekannt. Um 922 nahmen sie den Islam an. Der damalige Anführer der Wolgabulgaren, Khan Alamusch, traf Ibn Fadlan.
Dieser reiste im Auftrag des Kalifen Al-Muktadir, der von 895 bis 932 lebte, von Bagdad aus zu den Wolgabulgaren. Khan Alamusch und der Gesandte des Kalifen, besagter Ibn Fadlan, schlossen einen Vertrag ab. Der Führer der Wolgabulgaren versprach, seine Leute werden die Oberhoheit des Kalifen anerkennen. Im Gegenzug für diese Anerkennung sollten Islamgelehrte und Baumeister in die Region kommen. In einer Khutba wurde der Friedensvertrag verlesen.


Kul-Scharif-Moschee in Kasan
Der Aufstieg des Wolgareiches

Das Wolgareich entwickelte sich rasant zu einer Handelsmacht. Der Fernhandel erlebte seine Blütezeit. Produkte aus islamischen Ländern und Güter aus dem Kiewer Rus trafen im Wolgareich ein und wurdeden hier verkauft bzw. gegen andere Produkte getauscht. Das Kiewer Rus umfasste in etwa die heutigen Gebiete der Staaten Ukraine, Belarus und Russland, außer natürlich dem Reich der Wolgabulgaren und Tataren.  

Mit Tataren bezeichnet man die Bevölkerungsgruppe der Turkvölker, die nicht ihren Stamm in Bulgarien aufwiesen. In der Zeit von 1438 bis 1552 sprach man vom Khanat Kasan. Der tatarische Nachfolgestaat der „Goldenen Horde“, eine Bezeichnung für das Khanat der Mongolen im Mittelalter, betrachtete den Islam sunnitischer Prägung als Staatsreligion.

Ivan der Schreckliche

In den knapp 115 Jahren des Khanat verzeichnete man 19 Herrscher. Jeder Khan war ein Nachfahre von Dschingis Khan, der von ca. 1155 bis 1227 lebte. Im Jahre 1552 eroberte Ivan IV., der auch als „Ivan, der Schreckliche“ in die Geschichte einging, Kasan. Er legte den Khan in Ketten und 1553 ließ sich der Khan unter dem Namen Simeon taufen. An vielen Plätzen, wo einst Moscheen standen, errichte man auf Befehl Ivan IV. Klöster und Kirchen. Im Kasaner Kreml (Kreml steht für Stadtmauer) gab es ab 1552 kein islamisches Gotteshaus mehr. Der Zar Ivan IV. ordnete dann sogar an, alle Moscheen in seinem Reich zu zerstören oder für nicht religiöse Zwecke zu benutzen.  

In dieser zaristischen Zeit hatte Russland über 200 Jahre lang nicht eine einzige Moschee. Muslime lebten ihren Glauben zu Hause aus, oft im Untergrund. Peter der Große, der von 1672 bis 1725 lebte, versuchte in seiner Amtszeit die noch nicht getauften Tataren zu bekehren. Hierbei wurde von seinen Helfershelfern nicht so sehr die Bibel genommen, um die wenigen noch lebenden Muslime zu überzeugen, sondern das Schwert.
Nach der Russischen Oktoberrevolution 1917 waren für Lenin und seine Mitstreiter alle Religionen „Opium fürs Volks.“ Gotteshäuser wurden vielfach als Kaufhäuser, Kindergärten, Lagerhäuser oder Pferdeställe zweckentfremdet.


Renaissance der Religionen

Mit dem Zerfall der UdSSR 1991 setze eine allmähliche Renaissance der Religionen im heutigen Russland ein. Die Muslime wollten im ehrwürdigen Kasaner Kreml wieder ein Gotteshaus besitzen. Anfangs stießen sie auf wenig Gegenliebe mit ihrem Ansinnen. Viele Bürger Kasans befürchteten, eine nachträglich erbaute Moschee im Ensemble des Kreml würde das Stadtbild stören.
1996 schließlich erfolgte dann doch die Grundsteinlegung. Im Jahre 2000 erklärte die UNESCO den Kasaner Kreml zum Weltkulturerbe. 2005 wurde die Kul-Scharif-Moschee im Kasaner Kreml eröffnet. Sie ist die zweitgrößte Moschee in Russland. Ihren Namen bekam sie nach dem letzten Imam vor der russischen Eroberung, Kul Scharif.
Die Moschee hat 4 Minarette, die eine Höhe von 57 Metern aufweisen. Der Kronleuchter im Gebetshaus stammt aus Böhmen und wiegt über 2 Tonnen.  

Heute ist die Kul-Scharif-Moschee nicht nur ein islamisches Gotteshaus. Sie ist ein Magnet für Touristen aus aller Welt. Der Staat Russland baut in dieser Region auch ein islamisches Institut auf. Schon bald soll die Ausbildung der Imame nicht von ausländischen Universitäten abhängig sein.
In Weliki Bolgar, das heute nur knapp 8.700 Einwohner zählt, sind Museen angesiedelt, die auf die Historie dieser Region eingehen.
Islamische Kunstwerke und Bücher, darunter der größte Koran der Welt, sind hier zu bewundern. Italienische Künstler fertigten 2011 diesen Koran an.
Das Heilige Buch hat eine Breite von ca. 1,5 Metern und eine Länge von 2 Metern und kommt auf ein Gewicht von rund 800 Kilogramm.
Blattgold, Malachit, Halbedelsteine, Zirkonia, Jaspis und Silber verwendeten die italienischen Meister für die Ausschmückung des Umschlags des Korans.  

Vom 8. bis zum 15. Jahrhundert war in Weliki Bolgar die Hauptstadt der Wolgabulgaren angesiedelt. In Kasan und in unmittelbarer Umgebung zählt man heute 50 Kirchen, die Mehrzahl gehören zur Russisch-Orthodoxen Kirche, und ebenso 50 Moscheen.
Hier sind religiöse Auseinandersetzungen unbekannt und jeder „kann nach seiner Facon selig“ werden. (Volker-Taher Neef, Berlin)