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Dienstag, 02.02.2016


AFD ist verabscheuungswürdig und unmenschlich

Der Publizist, Journalist und Jurist Heribert Prantl (SZ) plädiert für mehr Selbstbewusstsein, als bester Verfassungsschutz gegen die AFD

Man muss wissen, wie weit man zu weit gehen kann. Das gilt auch für die Parteien in einer rechtsstaatlichen Demokratie, das gilt derzeit vor allem für die AfD. Wenn eine Partei, wenn eine Parteiführung das nicht weiß oder nicht wissen will, wenn es ihr egal ist oder sie es gar darauf anlegt, zu weit zu gehen, dann ist die Bezeichnung „populistisch“ eine verniedlichende, viel zu beschönigende Bezeichnung. Wenn AfD-Spitzenfunktionäre dafür eintreten, dass an der deutschen Grenze gegen Flüchtlinge von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden kann, ist das nicht populistisch, auch nicht rechtspopulistisch, sondern nur verabscheuungswürdig; es ist dies der Prolog zur Unmenschlichkeit. Dagegen sträubt sich alles, was diesen Staat ausmacht. Könnte das Grundgesetz die Farbe wechseln, es würde rot werden vor Scham und grün vor Ekel.

Das Bittere ist, dass offenbar auch noch der Aufschrei, selbst das sachliche Argumentieren gegen solche Gemeinheiten die AfD beflügelt: Jede halbwegs ernsthafte Befassung mit solchen Redereien verbreitet diese Redereien weiter und veredelt sie als offenbar immerhin „diskutierenswert“. Die Aufmerksamkeits- und Talkshow-Maschinerie wirkt dabei nobilitierend und vergiftend zugleich: Auf einmal darf gesagt werden, was unsäglich ist.

Wer zu weit geht Das Grundgesetz müsste rot werden vor Scham

Es wird gesagt, solche Diskussionen seien entlarvend. Das sind wohlmeinende Hoffnungen. Das Powerplay an Aufmerksamkeit, das AfD und Pegida erfahren, verändert nicht nur Diskussionen, es verändert auch die Gesellschaft – und es reizt die Protagonisten von Pegida und AfD, immer noch eins draufzulegen, noch heftiger zu werden. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sich die anderen Parteien und die mediale Öffentlichkeit darauf einlassen.

Es gibt Grenzen für die Einlassungspflicht und Einlassungsfreiheit. Nein, man muss jetzt nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob und wann das „Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt“ den Schusswaffeneinsatz an den nationalen Grenzen erlaubt. Wer diese Diskussion im Zusammenhang mit Flüchtlingspolitik beginnt („Wann darf nach dem Gesetz geschossen werden?“), der geht den Rechtsradikalen auf den Leim. Politische Obszönität darf nicht dazu führen, dass die Gesellschaft sich an sie gewöhnt. Der AfD darf nicht die Kraft zur Verrohung der Gesellschaft gegeben werden.

Es geht um eine einfache und entscheidende Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einer Gesellschaft, die Menschen achtet und Minderheiten schützt? Oder in einer, in der Toleranz immer kleiner geschrieben und die von autoritären Kleingeistern regiert wird? Soll Letzteres wirklich die „Alternative für Deutschland“ sein – ein so armseliges Deutschland? Man braucht nicht unbedingt staatlichen Verfassungsschutz, um eine solche Alternative abzuwenden. Man braucht selbstbewusste demokratische Parteien und, vor allem, selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger. Dieses Selbstbewusstsein ist der beste Verfassungsschutz.

Mit herzlichen Dank an den Autor, dessen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung gestern (01.02.2016) erstveröffentlicht wurde.