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Dienstag, 24.11.2015

Das muslimische Studienwerk Avicienna bekommt Nachwuchs

Das Avicenna-Studienwerk hat am Montag 80 neue Stipendiaten aufgenommen.
Die 41 Frauen und 39 Männer muslimischen Glaubens studieren und promovieren in unterschiedlichsten Fachrichtungen an Hochschulen in ganz Deutschland.

Osnabrück (KNA) Sosan Burhany ist 21 Jahre alt und Medizinstudentin. Seit Montag ist sie zudem offiziell Stipendiatin des als Begabtenförderungswerk anerkannten Avicenna-Studienwerks für Muslime mit Sitz in Osnabrück. Burhany arbeitet neben ihrem Medizinstudium in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Mannheim.

Dort sortiert sie Kleiderspenden vor, die von den Flüchtlingen anschließend selbstständig verteilt werden. «Ich gebe den Kindern in der Einrichtung auch Sprachunterricht», erzählte die 21-Jährige mit afghanischen Wurzeln. Obwohl sie in Deutschland geboren wurde, spricht sie auch Dari, eine der offiziellen Amtssprachen in Afghanistan. Eigentlich habe ihr das Selbstbewusstsein gefehlt, um sich beim Avicenna-Studienwerk zu bewerben. «Mein Bruder machte mich schließlich darauf aufmerksam, dass ich die Aufnahmekriterien erfülle», so die angehende Herzchirurgin. Beste Noten und die ehrenamtliche Arbeit reichten, um zum Vorstellungsgespräch nach Osnabrück eingeladen zu werden.

Was sie über das Leben denke und woran sie glaube, wollte man von ihr wissen. «30 Minuten lang habe ich erzählt, warum ich Medizin studiere und was ich der Gesellschaft zurückgeben möchte dafür, dass ich meinem Traumberuf nachgehen kann. Und dass ich Menschen helfen will.» Das möchte auch Özhan Cayukli. Er will Richter werden. Bis es soweit ist, muss der 29-Jährige aus Marburg noch seine Doktorarbeit in Rechtswissenschaften beenden. «Beworben habe ich mich bei Avicenna, weil ich hier zum Beispiel Netzwerke mit Politik- und Sozialwissenschaftlern knüpfen will», erzählt er. Gelingen könnte das dem Juristen durch die Regionalgruppe, der er bis zum Ende seiner Förderung durch das Studienwerk angehören wird. Untereinander hält man Kontakt und nimmt an der ideellen Förderung teil.

Diese ist neben den Zuschüssen ein zweites Instrument, um angehende muslimische Akademiker zu fördern. «Dazu bieten wir Veranstaltungen in den Bereichen Wissenschaft, gesellschaftliches Engagement und Religion an», erläutert Geschäftsführer Hakan Tosuner vom Avicenna-Studienwerk. Ein Beispiel: Treffen mit Wissenschaftlern jeweils anderer Fachgebiete, um interdisziplinär beispielsweise Antworten auf ethische Fragen zu erörtern. «Auch Veranstaltungen mit Bundestagsabgeordneten gehören dazu, die wissen wollen, wie wir Steuergelder verwenden», schildert Tosuner. Außerdem pflege man einen intensiven interreligiösen Dialog mit den katholischen Stipendiaten vom Cusanus-Werk, dem jüdischen Studienwerk ELES und dem evangelischen Studienwerk Villigst.

Bei der Aufnahmezeremonie in der Osnabrücker Schlossaula lobt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), das Avicenna-Studienwerk als «bedeutendste bildungspolitische Initiative der letzten Jahre».

 An die 80 Stipendiaten gewandt ergänzt sie dann: «Ich glaube, es gibt viele in unserer Gesellschaft, die sich gar nicht vorstellen können, dass Menschen wie Sie überhaupt existieren, die noch immer ein anderes Bild von Muslimen haben.» Das Studienwerk könne dazu beitragen, den Diskurs über Islam und Muslime normaler werden zu lassen, so Özoguz. Der Vorsitzende des Studienwerks, Bülent Ucar, appelliert an die Stipendiaten, weiterhin hervorragende Leistungen zu erbringen.

Ebenso sollten sie sich für das Allgemeinwohl ehrenamtlich einsetzen und sich mit dem religiösen Profil des Avicenna-Studienwerks auseinandersetzen.
Gerade in diesen frustrierenden Zeiten sei es wichtig, dem «nihilistischen Schrecken in Syrien, dem Irak, in Beirut und jetzt in Paris» eine Alternative entgegenzusetzen, so der Osnabrücker Islamwissenschaftler: «Sie sind für uns nicht als Theologen, aber als Menschen, angehende Wissenschaftler und Bürger glaubwürdige Boten und Vertreter eines weltoffenen toleranten Islamverständnisses.»