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Montag, 26.11.2001

Auf den Spuren der «Todespiloten» von New York

«Er war ein ausgesprochen lieber Junge - als mein Mann im Sterben lag, saß er eine Nacht an seinem Bett». Mit diesen Worten und immer noch ungläubigem Blick umschreibt Rosemarie Canel ihren ehemaligen Mieter Ziad Jarrah. Der nette, einfühlsame und immer freundliche Libanese war einer der Terrorpiloten vom 11. September

Hamburg - «Er war ein ausgesprochen lieber Junge - als mein Mann im Sterben lag, saß er eine Nacht an seinem Bett». Mit diesen Worten und immer noch ungläubigem Blick umschreibt Rosemarie Canel ihren ehemaligen Mieter Ziad Jarrah. Der nette, einfühlsame und immer freundliche jung Libanese war einer der Terrorpiloten vom 11. September. Rosemarie Canel kommt neben anderen Zeugen in einer 45-minütigen Dokumentation des Norddeutschen Rundfunks (NDR) zu Wort, die an diesem Freitag um 22.15 Uhr von der ARD ausgestrahlt wurde

Acht Autoren haben zwei Monate lang in Libanon, in der Türkei, in den USA und in Deutschland recherchiert, dabei Freunde, Studienkollegen und Angehörige befragt und das Leben der drei Männer vor dem Anschlag nachgezeichnet.

Der erst kurz vor der Sendung fertig gestellte Film geht der Frage nach, wieso von den Aktivitäten der Männer nicht schon früher etwas bemerkt wurde.

Bei Telefonüberwachungen radikaler Islamisten in Hamburg im Jahr 1999 hatten die Verfassungsschützer zwar mindestens ein Gespräch mitgeschnitten, in dem der Vorname Mohammed fiel. Damals wurde die Spur jedoch nicht weiter verfolgt - heute weiß man, dass Mohammed Atta, der mutmaßliche Kopf der Hamburger Terrorzelle, in dem Gespräch gemeint war.

Unter seinen Hamburger Studienkollegen und Professoren galt Atta als strebsamer Student. «Er hatte einen Hang zum Perfektionismus und eine Art arabisch-vornehmer Höflichkeit an sich», beschreibt ihn sein ehemaliger Professor Dittmar Machule in dem Film. Ernst sei er schon immer gewesen, aber als er nach längerer Abwesenheit wieder nach Hamburg zurück kam, sei er sehr verändert gewesen. «Er lächelte überhaupt nicht mehr», sagt Machule.

Ralph Bodenstein, Attas Kommilitone, erzählt von dessen eifernde Grundhaltung in Diskussionen gegenüber den USA und dem Islam. «Ihn hat schon immer diese Übermacht des Westlichen gestört, auch in seiner ägyptischen Heimat», erzählt Bodenstein. Atta habe darin immer so etwas wie ein Komplott gegen die muslimische Welt gesehen.

Weniger auffällig zeigte sich dagegen Marwan Al-Shehhi, mit dem sich Atta einst beim Goethe-Institut in Bonn angemeldet hatte. Er ist ein ruhiger Student mit Hang zum Luxus - bis er auf Atta trifft. «Er war wie ein tapsiger Bär, der mit seinen großen Augen immer unbeholfen hinter Mohammed Atta dreinlief», beschreibt eine Flugschülerin in Florida den Mann. Keinerlei Gefühlsregungen habe sie jemals bei den beiden festgestellt. «Ein einziges Mal habe ich die beiden lachen sehen und mich gewundert, dass ja offenbar doch Leben in ihnen steckt», erzählt sie.

Gemeinsam mit Ziad Jarrah hatte ein anderer Flugschüler eine Stunde absolviert - die erste und letzte. «Da war Ziad plötzlich nicht mehr nett, sondern absolut rücksichtslos und fanatisch und hat alles an sich gerissen», erzählt der Flugschüler. Zudem habe Ziad bei all den Gesprächen unter Kollegen nie erzählt, was er eigentlich später einmal mit seiner Fluglizenz anstellen wolle. Dass aus dem sympathischen Jarrah ein Todesflieger werden sollte, ahnte niemand. Am wenigsten seine Familie in Libanon, zu der er noch seine türkische Verlobte schickte. «Er rief uns fünf Mal am Tag an und fragte, ob wir mit der Heirat einverstande wären», erzählt Jarrahs Vater.