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Donnerstag, 02.01.2014


Alle Religionen sind gleich, einige aber scheinbar ´gleicher´

Körperschaft und Anerkennung des Islam in Deutschland: Zeit andere Wege zu gehen?

Die faktische Gleichstellung des Islam mit den anderen Religionsgemeinschaften ist in erster Linie nicht vom Gutdünken politischer Entscheidungsträger abhängig, sondern sie ist schlicht und ergreifend  verbrieftes deutsches Verfassungsrecht. Umsetzen müssen es in die Tat aber insbesondere die Volksvertreter, also der Gesetzesgeber. Tut er das nicht und begründet dies mit fadenscheinige Argumenten, wie das z.B. lange geschehen indem er hartnäckig die Mär erzählt, wonach die Muslime keine einheitlichen Strukturen haben oder nicht für alle Muslime sprechen (sprechen denn die Kirchen für alle Christen?), delegitimiert und schwächt schlussendlich das Grundgesetz. Verhilft man den Muslimen zu Anerkennung – was nicht alleine ihre Aufgabe ist, sondern auch die des Staates -,  stärkt man bestehendes Religionsverfassungsrecht. Wir haben also in dieser Frage kein rechtliches Problem sondern ein Umsetzungsproblem.
 
Dies sieht man deutlich an den Antworten unserer Wahlprüfsteine der vergangenen Bundestagswahl. Alle Parteien haben sich mehr oder weniger flüchtig für die „Einbürgerung“ des Islam ausgesprochen. Wird es aber konkret und ernst z.B. in Sachen Gleichberechtigung als Religionsgemeinschaft, sieht man, dass immer noch hierzulande gilt: Alle Religionen sind gleich, einige aber scheinbar ´gleicher´.
 
Muslimische Religionsgemeinschaften haben schon lange sich das Ziel formuliert, die Integration des Islam in das deutsche Staatswesen mit allen verbundenen Schritten voranzubringen. Der KRM - eine Plattform von  DITIB, Islamrat, VIKZ und ZMD -  ist im Zuge der Islamkonferenz eigens dafür gegründet worden. Nur, religionsrechtliche Fragen berühren vor allem Landesrecht, und diese werden zwischen den Vertragspartnern – Religionsgemeinschaft auf der einen Seite und Staat auf der anderen Seite, in dem Fall das Land - ausgehandelt. Insbesondere auf der Bundes-Islamkonferenz mussten sich das die Muslime dieser Erkenntnis schmerzlich eingestehen.

Der Islam ist zweifelsfrei zweitstärkste Religion in Deutschland und dennoch scheuen sich viele, von einer Religionsgemeinschaft zu sprechen. Die strukturelle Gleichstellung und Anerkennung ist jedoch notwendig, wenn man Muslimen ihre grundgesetzlich garantierten Rechte nicht vorenthalten will. In einigen Ländern wie Hamburg und Bremen geht man Wege, um dieses Problem zu beheben. Auch NRW und vor allem Niedersachsen schickt sich seit kurzem an, dies zu verbessern. Bisher aber nur vordergründig. Denn zunächst geht es um die Anerkennung als Religionsgemeinschaft, noch lange nicht um die Zuerkennung der Körperschaftsrechte und die damit verbundenen Rechte und Pflichten. Anders verhält es sich jedoch bei kleinen Gruppen, da hier dies für die Behörden politisch überschaubar ist und wenig finanzielle Konsequenzen zu erwarten sind. Derzeit streitet z.B. der Trägerverein des größten Hindu-Tempels Europas in Hamm als Religionsgemeinschaft vor Gericht um die Körperschaftsrechte, und es werden ihm gute Chancen eingeräumt, diese zu erlangen. Und als kürzlich „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ als eigenständige Religionsgemeinschaft die Körperschaftsrechte in Hessen verliehen bekommen hat, stellten wir fest, dass so wieder eine Religionsgemeinschaft mit Kirchen und Juden gleichgestellt wurde und damit die Hoffnung wachse, dass in Deutschland eines Tages auch Muslime Verfassungsgerechtigkeit erfahren werden.
 
Das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Religion ist Ergebnis eines jahrhundertelangen Entwicklungs- und Streitprozesses zwischen Kirche und Staat. Noch zu Zeiten der Gründung der Bundesrepublik und des Inkrafttretens des Grundgesetzes ging es im Wesentlichen um die Rolle der christlichen Kirchen im Staat.
 
In Zeiten des religiösen Pluralismus, aber auch einer zunehmenden Säkularisierung und Individualisierung, wollen eine Reihe von Gruppen das „Staatskirchenrecht“  zu einem „Religionsverfassungsrecht“  dahingehend geändert sehen, dass die Privilegien der Kirche abgeschafft werden oder zumindest eingeschränkt werden sollten.
 
Muslime wollen das nicht. Bisher. Sie sprechen sich für Verfassungsgerechtigkeit aus; das heißt, sie verlangen auf der Grundlage des Grundgesetzes vollständige Gleichstellung mit der Kirche. Innermuslimisch wird dies insbesondere im Hinblick der staatlichen Körperschaftsrechte durchaus kritisch gesehen; ist der Islam doch von Hause aus dezentral, in stiftungsähnlichen Strukturen angelegt und kennt in seiner Geschichte bisher eine staatliche Institution im Sinne einer Körperschaft nicht. Von den Gegnern des Staatskirchenrechtes wird diese Position gerne herangezogen. Überhaupt schießt man sich wegen seines "Negativ-Images" gerne auf den Islam ein und instrumentalisiert ihn in der Debatte um die Abschaffung des Staatskirchenrechtes. Und so fungiert der Islam oft als Projektion in dieser Debatte, wo es nicht selten den Gegnern um Macht geht, indem das Religiöse aus der Öffentlichkeit zurückzudrängen und die ihm die von der Verfassung zuerkannten Rechte einzuschränken versucht wird. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang noch an die unsägliche Beschneidungsdebatte. Doch eigentlich zielen die Gegner in erster Linie es auf die Kirche ab, wissen aber, dass eine 2/3-Mehrheit im Bundestags für eine Grundgesetzänderung derzeit schwerlich zu Stande kommt, und bei den Juden traut man sich (noch) nicht ran.

Also bereitet die insbesondere nach der Wende größer gewordene und immer selbstbewusster auftretende Gruppe der Atheisten und Agnostiker  den Boden und warnt unermüdlich davor, „dem Islam“ die Körperschaftsrechte zu zuerkennen. Die Kirchen halten sich dabei meist zurück und scheinen nur dann einzuschreiten zu wollen, wenn sie fürchten müssen, dass dies auch sie betreffen könnte bzw. ihre existentiellen Interessen negieren könnte.

Übrigens, die Idee des Religionsverfassungsrechtes ist durchaus eine kluge: Der Staat ist weltanschaulich neutral und schon gar nicht religiös. Aber er gewährleistet z.B. den reibungslosen Religionsunterricht und für die Inhalte und Lehrkörper bedient er sich – sozusagen als Legitimationsgrundlage – der  Religionsgemeinschaften. Zudem agiert er nicht wertstiftend, denn dies gewährleisten bzw. sollten vor allem die Religionsgemeinschaften mit ihren angeschlossenen Wohlfahrtseinrichtungen, Schulen und Kindergärten etc. tun.
 
In diesem System findet sich aber die immer größere Schar der Atheisten in Deutschland nicht mehr wieder. Und so wird das Thema Anerkennung des Islam in Deutschland zum Laboratorium dieser verschiedenen Interessen. Wir als Muslime wollen aber nicht zum Laboratorium werden, und wir können und wollen diese Debatte nicht alleine schultern. Schon längst geht es nicht mehr um „den Islam“, sondern darum wie es einmal recht spitz und provokant  der Verfassungsrichter Udo Di Fabio nach der Kopftuch-Urteil in die Runde fragte: “Wieviel Religion verträgt unsere Gesellschaft noch?“
 
Kirche muss angesichts dieser Gemengelage hier aus der Deckung kommen und sich im Sinne der Verfassungsgerechtigkeit mit den Muslimen stärker solidarisieren. Sonst werden die Gegner des Staatskirchenrechtes auch sie eines Tages erwischen.
 
Zudem hält sich der Ehrgeiz und die Leidenschaft der Muslime beim Thema um die Erlangung der Körperschaftsrechte in Grenzen, zumal, wie gesehen, sie dabei unnötigerweise oft als Buhmann herhalten müssen. Die Gemeindearbeit geht auch ohne Staatskirchenrecht weiter. Zugegeben, es fehlt hinten und vorne an Geld und solider Finanzierung, was zur Folge hat, dass es meist an Professionalität und Stetigkeit mangelt. Aber wenn dies eines Tages mit der Abhängigkeit vom  Staat erkauft werden sollte  - u.a. Löhne der Bischöfe bezahlt in vielen Bundesländern der Steuerzahler- , dann ist es jetzt Zeit, andere Wege zu gehen. Aber zunächst gilt: Das Religionsverfassungsrecht ist für alle Religionen in Deutschland da. Sollte sich da etwas ändern, dann muss das auch für alle Religionen gelten. Auch in einem laizistisch geprägten Staat  - wie das Beispiel Frankreich oder den USA zeigt – finden sich ja die Religionen wieder.(AM)