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Montag, 27.05.2013

Deutschmarokkaner - die anderen „Gastarbeiter“

Veranstaltungsreihe „50 Jahre Marokkanische Migration in Deutschland“ rückt die zweitgrößte Immigrantengruppe Europas ins öffentliche Bewusstsein

Vor genau 50 Jahren, nämlich 1963, schloss die Bundesrepublik Deutschland mit dem Königreich Marokko ein Anwerbeabkommen, um die sich damals in der Aufschwungphase befindende deutsche Wirtschaft mit marokkanischer Arbeitskraft zu bestärken. Wie bei den anderen, damals als sogenannte „Gastarbeiter“ gekommenen ausländischen Zuwanderern wurde auch von den Marokkanern die „Rückkehrperspektive“ mehrheitlich nicht wahrgenommen. Stattdessen holten sie ihre Familienangehörigen aus Marokko nach, bekamen in Deutschland Kinder, engagierten sich im gesellschaftlichen Leben und begründeten eine deutschmarokkanische Community mit doppeltem Zugehörigkeitsbewusstsein, die sowohl zur Entwicklung Deutschlands als auch Marokkos einen nur schwer wegzudenkenden Beitrag leistet.

Obwohl die Marokkaner die zweitgrößte Immigrantengruppe Europas nach den Türken darstellen und mittlerweile bereits in der dritten Generation in Deutschland ansässig sind, ist ihr gesellschaftlicher Stellenwert den meisten alteingesessenen Deutschen kaum bekannt. Möglicherweise liegt dies an ihrer hohen Integrationsbereitschaft mit einer europaweiten Einbürgerungsquote von 2,8 %, die von kaum einer anderen Zuwanderergruppe erreicht wird. Die kulturelle und emotionale Bindung an Marokko hat dies aber nicht beeinträchtigt. Man pflegt auch in den zumeist nordrhein-westfälischen und hessischen Großstädten die vielfältigen arabischen und berberischen Traditionen des Königreichs am Nordwestzipfel Afrikas.

Das fünfzigjährige Jubiläum hat der in Düsseldorf beheimatete Verein und freie Träger der Jugendhilfe und sozialen Arbeit „Aktion Gemeinwesen und Beratung e.V. (AGB)“ mit seinem Arbeitsbereichsleiter des Projekts „Kommunizierendes Dreieck“, dem Diplom Sozialpädagogen und Deutschmarokkaner Samy Charchira, als Anlass erkannt, in einer zweieinhalbmonatigen Veranstaltungsreihe die Geschichte der marokkanischen Migration nach Deutschland ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und Zukunftsperspektiven für die marokkanischen Immigranten aufzuzeigen, die nicht nur ihrer Community, sondern der Gesamtgesellschaft dienen.

Die Veranstaltungsreihe begann bereits am 3. Mai und wird sich noch bis zum 21. Juli fortsetzen. Zum Vorbereitungsteam gehörten neben Samy Carchira, Michael Kiefer, Fatima Meller, sowie Heinz Wiederroth und Mostapha Boukllouâ.

Verleihung von Ehrenpreisen an deutschmarokkanische Frauen

Die AGB konnte sich dabei der finanziellen Unterstützung des Staates, sowohl des Bundes, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Düsseldorf, als auch anderer Kooperationspartner wie der Bundeszentrale für politische Bildung, der Fondation Hassan II, des Vereins für Frauenkommunikation (Komma), aber auch von Mouvement Novel Elan (MONE), TAS, DOMID und des Rats der marokkanischen Gemeinden im Ausland (CCME) versichern.

Einer der bisherigen Höhepunkte war die Podiumsdiskussion am 16. Mai, in der die strukturellen Veränderungen der marokkanischen Migration durch die verstärkte Zuwanderung bildungsnaher Schichten diskutiert wurden. Die Bildung der in Deutschland heranwachsenden Generation ist den Veranstaltern offenbar auch selbst ein Herzensanliegen, dies zeigen vier zweisprachige Kinderbuchvorlesungen. Sie dienen dazu, neben dem Deutschen auch die verschiedenen marokkanischen Sprachen und Dialekte, nämlich Darija, Berberisch und Hocharabisch in der deutschen Diaspora weiter zu pflegen.

Mit der Verleihung von Ehrenpreisen an deutschmarokkanische Frauen am 8. Juni und einem Dokumentarfilm über ledige Mütter am 17. Juni rückt man zudem das Schicksal und die oft übersehenen Beiträge von marokkanischen Frauen in den Fokus. Eine am 24. Juni vorgesehene Veranstaltung wird sich mit der medialen Debatte um den Terminus „Salafismus“ und mit dem Islambild, das den Marokkanern in Deutschland begegnet und dem sie sich wie andere Muslime häufig hilflos ausgesetzt sehen, kritisch auseinandersetzen.

Diese Veranstaltungsreihe demonstriert, dass Deutschmarokkaner intellektuell diskursfähig sind, Organisationstalent besitzen, sofern es gefördert wird, und zu weit vielfältigeren Aufgaben in der Lage sind, als den 1963 als „Gastarbeiter“ nach Deutschland gekommenen Immigranten zugetraut worden ist. Schließlich sind Deutschmarokkaner heutzutage auch in vielen akademischen Berufen überproportional vertreten. Bleibt zu hoffen, dass die Veranstaltungsreihe zu 50 Jahre Marokkanische Migration den Blick dafür schärft, welche kulturelle Bereicherung die marokkanischen Immigranten für unser Land darstellen und in welcher Weise ihre Kompetenzen sich noch gezielter im Sinne des gesellschaftlichen Miteinanders einsetzen lassen. (Von Mohammed Khallouk)