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Donnerstag, 19.07.2012

Burma verjagt ein ganzes Volk

Gewalt und Vertreibung gegen das muslimisches Volk der Rohingya - Demokratisierung hat den Muslimen geschadet - Menschenrechtsorgansiationen und Bundesregierung warnen vor weiterer rassistischer Gewalt

Das Unheil begann mit einem Mord. Die 26-jährige Thidar Htwe war auf dem Weg nach Hause, in ihr Dorf Thapraychaung, als drei Männer sie Ende Mai überfielen, vergewaltigten, töteten. Schnell sprach sich herum, dass die Täter Muslime waren, vom Volk der Rohingya, einer Minderheit im Westen von Burma. Ihr Opfer war Buddhistin. Die Täter wurden verhaftet, der Fall schien erledigt.
Eine knappe Woche später, Anfang Juli, stoppte ein Mob von mehr als 300 Buddhisten einen Bus mit muslimischen Pilgern. Es waren keine Leute aus der Region, sondern Reisende aus der ehemaligen Hauptstadt Rangun. Die Passagiere wurden gezwungen, den Bus zu verlassen. Die aufgebrachte Menge stürzte sich auf sie, zehn Menschen wurden zu Tode geprügelt. Es sollte eine Rache für Thidar Htwe sein. Burma hat ein halbes Jahrhundert Militärdiktatur überstanden, die viele Jahre unter Arrest stehende Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi hat seit diesem Jahr einen Parlamentssitz - und die Welt feiert die demokratischen Reformen in Burma. Doch von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen nimmt die Gewalt gegen die Rohingya zu. Seit dem Angriff auf die Busreisenden verstärkt die Polizei ihre Präsenz in der Öffentlichkeit, aber sie verhindert kaum, dass der unverhohlene Hass sich Bahn bricht.

Demokratisierung hat den Rohingya nichts genützt


Rohingya sind Angehörige einer religiösen und ethnischen Minderheit, beheimatet im Westen Burmas, an der Grenze zu Bangladesch. Von den etwa drei Millionen Rohingya lebt etwa die Hälfte außerhalb Burmas, in Bangladesch, Pakistan, Saudi-Arabien, Thailand, Malaysia und Indonesien, aber auch in Europa und Australien. In Burma ließen sich vor Jahrhunderten arabische Kaufleute und Einwanderer aus Bengalen nieder. Es entstand eine ganz eigene Kultur, eine eigene Sprache und damit eine eigene Identität. Mit der Entlassung Burmas aus britischer Kolonialherrschaft 1948 erhielten die Rohingya einen Status als Minderheit. Doch das Militär, das 1962 die Macht übernahm, verfolgte eine Politik der "Burmanisierung" des Landes: In den vergangenen Jahren berichteten Flüchtlinge immer wieder von ethnischen Säuberungen in Westburma, von Massenvergewaltigungen und der systematischen Ermordung vieler Männer . Ihnen wird die Staatsangehörigkeit Burmas verweigert, damit sind sie offiziell staatenlos. Die Hoffnung der Rohingya, nach den ersten Schritten der Demokratisierung würde es ihnen besser gehen, hat sich nicht erfüllt. Wenige Tage nach dem Tod der Pilger gerieten ein Rohingya-Junge auf einem Fahrrad und ein Motorradfahrer in einen Streit. Prompt bildete sich wieder eine Menschenmenge, es flogen Steine, die Polizei schritt ein - nach Aussage von Augenzeugen aber wieder einseitig gegen Rohingya. Seither sind nach Angaben der Uno mehr als 180.000 Menschen auf der Flucht - nach Bangladesch, nach Thailand, Hauptsache raus aus Burma. Doch nirgendwo sind sie willkommen, oft werden ihre Boote von der jeweiligen Marine ins offene Meer zurückgedrängt, sie werden beschossen oder verhaftet und deportiert. Die britische Organisation Equal Rights Trust teilt mit, das burmesische Militär sei "zunehmend beteiligt an Gewaltakten und anderen Menschenrechtsverletzungen gegen die Rohingya - einschließlich dem Töten und der Massenverhaftung von Jungen und Männern in der Provinz Rakhine". Ein westlicher Diplomat sagt: "Ich kenne keine Minderheit auf dieser Welt, der mit so viel Ablehnung begegnet wird. Ihre Situation ist schlimmer als die der Roma in Europa." Nach Uno-Angaben sind die Rohingya das "am meisten verfolgte Volk der Welt".

Flüchtlingsboote vom Hubschrauber aus beschossen


Menschenrechtler von Amnesty International und Human Rights Watch berichten von Flüchtlingen, die auf dem Weg nach Bangladesch attackiert werden oder verhungern. Selbst wenn sie es auf die andere Seite der Grenze schaffen, sind sie nicht in Sicherheit - die müssen immer damit rechnen, dass die Behörden in Bangladesch sie nach Burma zurückschicken. Kürzlich beschossen Sicherheitskräfte vom Hubschrauber aus Flüchtlinge, die sich per Boot auf den Golf von Bengalen Richtung Bangladesch gewagt hatten. Drei von sechs Booten sanken, mindestens 50 Menschen ertranken. Insgesamt mehrere hundert Menschen sollen in den vergangenen Tagen umgebracht worden sein. Soldaten brannten in Dörfern, in denen Rohingya leben, mehr als tausend Häuser nieder. Burmas Präsident Thein Sein verhängte den Notstand über Teile von Rakhine. Westliche Diplomaten berichten, die Lage habe sich seither ein wenig entspannt. Doch ein Ende des Konflikts zwischen den Rohingya und den Buddhisten ist nicht in Sicht. Der Präsident erklärte Uno-Vertretern, die einzige Lösung für die etwa eine Million in Burma lebenden Rohingya könne sein, in ein Drittland auszuwandern oder in Flüchtlingslager zu ziehen. Sollte ein Drittland bereit sein, sie aufzunehmen, würde Burma sie sofort dorthin ausweisen, erklärte er.

"Schockiert vom offensichtlichen Rassismus"

"Blanken Rassismus" nennt die Gesellschaft für bedrohte Völker mit Sitz in Göttingen diese Drohung. "Statt zur Versöhnung in dem Vielvölkerstaat aufzurufen, betätigt sich der Präsident als populistischer Brandstifter und schürt weitere ethnisch-religiöse Konflikte", sagt Asien-Referent Ulrich Delius.



Blanken Rassismus" nennt die Gesellschaft für bedrohte Völker mit Sitz in Göttingen diese Drohung. "Statt zur Versöhnung in dem Vielvölkerstaat aufzurufen, betätigt sich der Präsident als populistischer Brandstifter und schürt weitere ethnisch-religiöse Konflikte", sagt Asien-Referent Ulrich Delius.
Ähnlich äußert sich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, der das Land im April besuchte. "Ich war schockiert von dem offensichtlichen Rassismus, mit dem viele Akteure den Rohingya begegnen." Die Bundesregierung unterstützt derzeit über die Malteser rund 2000 Flüchtlingsfamilien und ist mit weiteren Hilfsorganisationen im Gespräch. Löning sagt, die Regierung von Burma müsse jetzt dafür sorgen, dass die Gewalt aufhöre. Moshahida Sultana Ritu, Ökonomin an der Universität in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, beurteilt die Ereignisse in Burma als "staatlich geförderte ethnische Säuberung". In einem Beitrag für die "New York Times" kritisiert sie, dass westliche Staaten die Geschichte vom demokratischen Wandel unkritisch akzeptiert und Sanktionen gelockert hätten. Warum den Rohingya ein solcher Hass entgegenschlägt, kann niemand begründen. Staatliche Zeitungen in Burma nennen sie offen "kalar", also "Schwarze". Sie werden als "Araber" und "Bengalen" beschimpft, was verdeutlichen soll, dass sie nicht nach Burma gehören. Selbst Aung San Suu Kyi und ihre Nationale Liga für Demokratie scheuen sich, offen Stellung für die Rohingya zu beziehen. Suu Kyi hat noch kein Wort zu den Gewalttaten gegen die Rohinyga verloren. (Quelle: Spiegel.de)