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Mittwoch, 20.04.2011

Berlin: Experten beraten mit Bundestag über die Arabischen Revolutionen

Keine nachhaltige Stabilität in Nahen Osten mit autoritären Regimen zu machen

Die Umwälzungen und kriegerischen Auseinandersetzungen in der arabischen Welt beschäftigen auch die deutsche Politik. So gab es bereits einen „Interfraktionellen Fragenkatalog“ an den Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages sowie zahlreiche Anhörungen dieses Ausschusses. Selbst bei der 124.Tagung der Interparlamentarischen Union (IPU) in Panama melden sich deutsche Politiker zum Thema Arabien zu Wort. So erklärte in Panama Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU): „Die Menschen in Tunesien und Ägypten haben mit bewundernswertem Mut Despoten verjagt.“ Ferner sagte der Parlamentspräsident: „Die Eskalation der Gewalt, mit der Regime gegen ihre eigenen Landsleute vorgehen“ erfülle ihn „mit besonderer Abscheu.“

Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschuss, teilte beim Fragenkatalog mit, keiner könne jetzt schon sehen, wie die arabischen Revolutionen enden werden. „So wie 1989 in Leipzig? Oder so wie 1989 in Peking?“ Natürlich gelten unsere „Sympathien gerade den jungen Menschen, die soziale und demokratische Reformen durchsetzen möchten.“

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion betonte: „Es hat sich nicht nur für Europa, sondern auch für Israel als Illusion erwiesen, Stabilität von autoritären Regimen zu erreichen.“ Aus Ramallah angereist war der Arzt, Politiker und Bürgerrechtler Dr. Mustafa Barghouti. Deutliche Worte richtete er an die israelische Adresse. Wenn die israelische Regierung ihre Siedlungspolitik stoppe und eine Unabhängigkeit Palästinas befürworte, sei das für den gesamten arabischen Raum gerade jetzt eine große Hilfe.

Der Journalist und Autor Rudolf Chimelli aus Paris wies auf die Unterschiede bei den Revolutionen hin. In der UdSSR gab es 1917 den Anführer Lenin. In den 80er Jahren führte im Iran Khomeini die Revolution an, in Polen ein Lech Walesa. In Tunesien, Ägypten, Libyen und anderen Staaten gebe es keine Anführer. Große Unterschiede seien auch bei den Ländern innerhalb Arabiens vorhanden, erklärte Chimelli. Im Jemen haben die Stämme eine große Bedeutung. Das Stammesdenken sei in Tunesien vollkommen fremd. Immer wieder betonten die Teilnehmer, man müsse jedes arabische Land separat betrachten.

Prof. Dr. Gudrun Krämer, Leiterin des Instituts für Islamwissenschaften an der FU Berlin, betonte, die arabischen Länder bilden ja keine Einheit. „Man muss die Einzelstaaten studieren. Warum ist im Sudan noch keine Revolution ausgebrochen?“ Das könne nicht allein damit erklärt werden, das sich der Süden momentan vom Norden abspalte. „Wir Europäer fragen immer nach dem Einfluss der Islamisten, sei es in Tunesien oder Ägypten. Wer fragt nach dem Einfluss der alten Garde, gerade der Militärangehörigen?“ Rudolf Chimelli sagte, auch seien die Revolutions-Motive in allen Ländern unterschiedlich. In Bahrain komme zum Ausdruck, dass die Schiiten ihre Rechte einfordern. Das sei bei Tunesien, Libyen usw. gar nicht der Fall. Chimelli sprach sogar von einem „indirekten Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran. Bahrain ist praktisch von Saudi-Arabien annektiert worden und kämpft mit Unterstützung aus Riad gegen die Schiiten, also den Iran.“ In Tunesien gebe es momentan „über 50 zugelassene Parteien. Wer blickt da noch durch?“, so der französische Autor.

Dr. Hardy Ostry, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung zuständig für Afrika und den Nahen Osten, wies auf einen ganz anderen Aspekt hin: „Ist eine Revolution beendet, heißt das nicht automatisch, dort wird eine gesicherte Demokratie verankert.“ Auch sei es unredlich von „den Muslimbrüdern“ zu sprechen. Es gibt mindestens zwei Lager. Die „jungen Muslimbrüder twittern, die alten träumen von einer machtvollen islamischen Partei.“ Dabei haben aber gerade jüngere Leute erkannt, man soll in bestehende Parteien eintreten und auch dazu beitragen, einen Staat demokratisch umzubauen. Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), wies auf die unterschiedlichsten Historien der arabischen Länder hin. „Es ist doch ein Unterschied, ob ein Staat schon seit Hannibals Zeiten existiert oder erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine Unabhängigkeit fand.“ Scharf attackierte er Saudi-Arabien, das „in Bahrain für Friedhofsruhe sorge.“ Saudi-Arabien sei „das Land der Konterrevolution. Eines Tages wird sich das noch sehr negativ auswirken.“

Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE), Obmann seiner Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, wies daraufhin, die Situation der notleidenden arabischen Bevölkerung nicht aus den Augen zu verlieren. „Es ist nicht 5 vor 12 und auch nicht 12 Uhr. Es ist 5 nach 12“, so Gehrcke. Alle Experten wiesen daraufhin, in keinem Land Arabiens wolle die Bevölkerung eine Regierung haben, die aus Islamisten bestehe. In einigen Ländern Arabiens kämen islamistische Gruppierungen auf maximal 25 % bei freien Wahlen. Das sei aber schon „die Ausnahme der Ausnahmen.“ Es gebe keine Sehnsucht nach solch einer „islamistischen-muslimbrüderlichen Regierungsform.“ Immer wieder berichten arabische Bürger, welch große Sympathien sie für die Staatsform in der Türkei empfänden, so unisono die Experten.



An der Sitzung nahm auch der Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete Holger Krestel teil. islam.de befragte ihn zu seinen Eindrücken. „Mit großer Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Experten davon sprachen, die arabische Bevölkerung sehne sich nach Demokratie", so Krestel gegenüber islam.de. "Mit ebenso großer Freude nahm ich auch zur Kenntnis, "Islamisten" haben keine Chancen, einen Staat zu regieren. Bei einem solchen Gedanken wäre mir es nicht wohlergangen" so Krestel weiter aber betonte: "Man muss natürlich auch klar und deutlich die friedliche Religion Islam von den "Islamisten" trennen. Schauen Sie bitte, ich bekenne mich zur katholischen Kirche. Mir wäre trotzdem unwohl im Magen, sollten die PIUS-Brüder irgendwo auf der Welt einen Staat regieren.“(VOLKER-TAHER NEEF)