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Mittwoch, 06.01.2010
Islamfeindlichkeit als Kampfansage gegen Demokratie und Toleranz – Von Wolfgang Benz
Der renommierte Antisemitismusforscher spricht Tacheles und sieht Parallelen zur Judenfeindschaft in 19. Jahrhundert: Islamhassern geht es um die Aufkündigung des mühsam erkämpften liberalen Konsenses über das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Relgionen
Bausteine des Feindbilds sind Verallgemeinerung und Reduktion von wirklichen oder vermeintlichen Sachverhalten auf Negativa. Gerüchte, Unterbewusstes, Hörensagen, literarische und volkstümliche Überlieferung erheben sich zu "Tatsachen" - die jedoch nur vom Glauben leben.
Das klassische Beispiel bietet die Konstruktion des am weitesten verbreiteten Textes der Judenfeindschaft: die "Protokolle der Weisen von Zion". Am Ende des 19. Jahrhunderts entstand es als antisemitisches Pamphlet, das eine jüdische Weltverschwörung belegen sollte. Obwohl die "Protokolle" in allen Details als Fälschung entlarvt wurden, haben sie dem russischen Zaren wie den Nationalsozialisten Dienste geleistet, heute werden sie im islamischen Kulturkreis verbreitet. Sie dienen der Propaganda gegen Israel als Waffe. Millionen glauben an das Bild vom Juden als Inkarnation des Bösen in der Welt, welches die "Protokolle" suggerieren.
Wer sich, zu Recht, über die Borniertheit der Judenfeinde entrüstet, muss aber auch das Feindbild Islam kritisch betrachten (das sich zuweilen eines aggressiven, aufgesetzten Philosemitismus bedient). Es ist ein Gebot der Wissenschaft, die Erkenntnisse, die aus der Analyse des antisemitischen Ressentiments gewonnen wurden, paradigmatisch zu nutzen.
Die unterschwellig bis grobschlächtig praktizierte Diffamierung der Muslime als Gruppe durch so genannte "Islamkritiker" hat historische Parallelen. Derzeit wird der Islam gedanklich mit Extremismus und Terror verbunden, wodurch alle Angehörigen der islamischen Religion und Kultur mit einem Feindbild belegt und diskriminiert werden sollen.
Hetze und Verleumdung
Wenn man die katholische Kirche historisch nur über das Leid definieren wollte, das päpstliche Kreuzzüge gegen "Ungläubige" im Mittelalter, Inquisition und Hexenprozesse bis in die Neuzeit über unglückliche Unschuldige gebracht haben (oder heutzutage nur über Priester, die sich an Minderjährigen vergreifen), dann zöge man sich den Vorwurf der Verleumdung zu - die Verallgemeinerung beklagenswerter Auswüchse ist Hetze mit dem Ziel der Diskriminierung. Um die Gefährlichkeit des Islam zu beschwören, agieren "Islamkritiker" aber unter zunehmendem Applaus mit genau dieser Methode.
Heinrich von Treitschke (1834 - 1896), renommierter deutscher Historiker und populärer Publizist, sah einst in seiner Überfremdungsangst Deutschland von Feinden umringt und durch mangelnde Bereitschaft der jüdischen Minderheit zur Assimilation im Inneren bedroht. Durch Autorität und Beredsamkeit verlieh er dem Antisemitismus Reputation und Schubkraft. Das war 1879, als er den Berliner Antisemitismusstreit auslöste. "Aus der unerschöpflichen polnischen Wiege", behauptete der Gelehrte, dränge "eine Schar strebsamer, Hosen verkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen" würden.
Die Parallele ist unübersehbar, wenn als taktische Waffe im geargwöhnten Kampf um die "Islamisierung Europas" heute das Wochenbett der muslimischen Frau beschworen wird. Treitschkes Angriffe gegen das deutsche Judentum markierten die Aufkündigung des mühsam erkämpften liberalen Konsenses über die Integration. Der Berliner Antisemitismusstreit war vor allem eine Identitätsdebatte, eine Auseinandersetzung darüber, was es nach der Emanzipation der Juden bedeuten sollte, Deutscher zu sein und deutscher Jude zu sein.
Intoleranz als Selbstverständlichkeit
Derzeit findet wieder eine solche Debatte statt. Es geht aber nicht mehr um die Emanzipation von Juden, sondern um die Integration von Muslimen. Die Wut, mit der Barrikaden errichtet und Positionen verteidigt werden, ist beträchtlich, die Intonation der Debatten erschreckend, wenn etwa die Verweigerung von Toleranz gegenüber der zu diskriminierenden Minderheit der Muslime als selbstverständlich dargestellt wird.
In Internet-Foren, in denen Islamfeindschaft besonders schamlos verhandelt wird, wurde vor kurzem der Mord an der Ägypterin im Dresdner Gerichtssaal freudig kommentiert. Die Tat sei zu verurteilen, schrieb einer, "allerdings gibt es jetzt eine islamische Gebärmaschine weniger".
Ein anderer meinte, im Koran werde "in über 60 Suren zum Mord an Andersgläubigen und Ungläubigen, speziell an Juden und Christen" aufgerufen. Diese Überzeugung wird er gegen alle Hinweise über den wirklichen Inhalt des Korans so energisch verteidigen, wie der Antisemit vom Glauben an den schlimmen Inhalt des Talmud, an jüdische Ritualmorde und andere Wahnphantasien nicht ablässt. Ein Dritter weiß, dass mit Hochdruck für ein Ziel gearbeitet wird: "Vernichtung Deutschlands durch Zuwanderung und Islamisierung".
Kampfansage an die Demokratie
Der Diskurs über Kopftuch und Minarett - als Symbole einer fundamental abgelehnten und als bedrohlich gebrandmarkten Kultur - wird in dieser Deutlichkeit in der Teilöffentlichkeit des Internets geführt. Aber seine Ausweitung ist längst im Gange. Die Gleichsetzung deutscher Bürger muslimischer Religion mit fanatisierten Terroristen hat Methode und wird mit dem Appell an das gesunde Volksempfinden, an das Rechthaben der Mehrheit inszeniert.
Der symbolische Diskurs über Minarette ist in Wirklichkeit eine Kampagne gegen Menschen, die als Mitglieder einer Gruppe diskriminiert werden, eine Kampfansage gegen Toleranz und Demokratie.
Der Historiker Wolfgang Benz, 68, leitet das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Er ist Herausgeber der "Dachauer Hefte", mit denen er die KZ-Forschung etablierte.
Vorliegende Text wurde am 04.01.10 in der Süddeutschen Zeitung erstveröffentlicht. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors