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Donnerstag, 12.11.2009

Amoklauf in Fort Hood: "Amerikas Muslime haben Angst"

Spiegel Interview mit dem früheren ZMD-Pressesprecher und Islamexperten Mounir Azzaoui

Der Amoklauf von Fort Hood verunsichert die islamische Gemeinschaft in den USA. Selbst nach den Anschlägen vom 11. September galt sie als gut integriert. Doch das Blutbad eines Muslims auf dem Militärstützpunkt könnte das ändern, befürchtet Experte Mounir Azzaoui.

SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist unter Amerikas Muslimen nach dem Amoklauf von Fort Hood die Angst, dafür verantwortlich gemacht zu werden?

Mounir Azzaoui: Sie ist auf jeden Fall da. Es gab sogar Aufrufe, Muslime sollten sich vor Angriffen oder Feindseligkeiten schützen, wie sie sich nach den Anschlägen vom 11. September ereigneten.

SPIEGEL ONLINE: Präsident Barack Obama könnte helfen, indem er sich zu dieser Frage offen äußert. Aber bislang hält er sich zurück.

Azzaoui: Er hat sich im Wahlkampf nicht direkt an US-Muslime gerichtet, wegen der Gerüchte, dass er selbst Muslim sei. Das erste Mal hat er sie bei seiner Rede in Kairo adressiert. Das geschah aber vor allem aus außenpolitischen Gründen, um in der islamischen Welt glaubwürdig zu wirken. Die meisten Muslime hier haben Obama gewählt, weil man ihn als jemanden gesehen hat, der Wandel bringt. Man ist begeistert von dem, was er gesagt hat. Doch nun erwartet man Handeln.

SPIEGEL ONLINE: Manche Fragen muss die Gemeinschaft aber selbst lösen. Etwa, ob ein Muslim überhaupt an Kriegen gegen Glaubensgenossen in Afghanistan oder Pakistan mitwirken darf. Den Amokläufer schien dieser Zwiespalt umzutreiben.

Azzaoui: Das ist ein schwieriger Spagat. Manche Soldaten muslimischen Glaubens hören in der Moschee, sie würden für ihren Dienst in Afghanistan oder Irak von Gott bestraft. Muslimische Gelehrte haben sich zu dieser heiklen Frage bislang kaum geäußert. Es gab nach dem 11. September eine Anfrage eines muslimischen Militärseelsorgers zu genau dieser Frage. Die ägyptischen Gelehrten unter der Führung des bekannten Fernsehpredigers Jussuf al-Karadawi haben entschieden, muslimische Soldaten müssten ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen - also Militärdienst leisten.

SPIEGEL ONLINE: Aber die Diskussion ist damit nicht vorbei.

Azzaoui: Das ägyptische Gutachten bildet keine klare Basis, deshalb gehen die Debatten bei Konferenzen und in Moscheen weiter. Manche sagen, auch praktizierende Muslime sollten zuerst Patrioten sein. Andere glauben, Muslime sollten aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern. Das Militär hat in den USA eine integrierende Funktion in der Gesellschaft, was uns Deutsche eher befremdet. Von daher versuchen die meisten Muslime in den USA, zwischen Politik und Militär zu unterscheiden. Während sie die Kriege in Afghanistan oder Irak kritisieren, machen sie den Soldaten selbst keinen Vorwurf.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben die muslimische Organisationen in den USA auf den Amoklauf von Nidal Malik Hasan reagiert?

Azzaoui: Führende Stimmen haben die Tat schnell als feige und schrecklich verurteilt. Die Islamic Society of North America, die größte muslimische Organisation des Landes, hat betont, sie sei stolz auf die Leistungen von Amerikas Soldaten - auch wenn viele Muslime in den USA die aktuellen Kriege in Afghanistan und Irak als Angriffskriege einstufen.

SPIEGEL ONLINE: Es gab Kritik, dass einige muslimische Repräsentanten den religiösen Bezug der Tat herunterspielen wollten.

Azzaoui: Die Kritik ist so nicht angemessen. Natürlich sagten manche US-Muslime, man könne nicht pauschal Verantwortung für das Handeln eines Glaubensgenossen übernehmen. Sie glauben, schließlich habe das Militär im Fall Hasan auch versagt, es habe ihn nicht von seiner schrecklichen Tat abgehalten.

SPIEGEL ONLINE: Anwar Al Awlaki, früher Imam einer einflussreichen Moschee nahe Washington, lobte den Attentäter gar als "Helden".

Azzaoui: Das macht die Diskussion schwieriger. Viele fragen sich, wie kann dieser Mann eine führende Rolle in einer wichtigen Moschee in den USA gespielt haben? Nach Angaben der Dar-Al-Hijrah-Moschee vertrat er während seiner Tätigkeit dort keine radikalen Ansichten, die hat er wohl erst nach seinem Umzug in den Jemen entwickelt. Der Council on American-Islamic Relations und der Muslim Affairs Public Council, zwei der wichtigsten amerikanischen Lobby-Organisationen, haben sich deutlich von Al Awlaki distanziert und seine Aussagen verurteilt.

SPIEGEL ONLINE: Die muslimische Gemeinschaft in den USA gilt als besser integriert als ihre Glaubensgenossen in Europa. Stimmt das weiterhin?

Azzaoui: Insgesamt trifft das zu. Muslime in den USA gehören meist zur Mittelklasse, ihnen geht es auch finanziell gut. 40 Prozent von ihnen sind zudem Afroamerikaner. Das macht es schwer, sie als etwas Fremdes darzustellen. Auch sind die USA insgesamt religiöser, gläubige Muslime werden weniger kritisch beäugt als in Europa.

SPIEGEL ONLINE: Droht sich auch das nun zu ändern?

Azzaoui: Terrorismus im Namen des Islam wurde in den USA lange als Gefahr von außen gesehen, die man an der Grenze stoppen muss. Die Attentäter vom 11. September kamen ja auch aus dem Ausland. Nun verlagert sich mit dem Amoklauf von Fort Hood diese Debatte möglicherweise nach innen. Daher ist wichtig, ob man die Tat als Terrorismus einstufen wird.

Das Interview führte Gregor Peter Schmitz, Washington
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Mounir Azzaoui, 31, ist Research Associate an der Georgetown University in Washington, wo er zur Rolle muslimischer Lobbygruppen in den USA forscht.