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Donnerstag, 29.10.2009

Himmler des Balkans verhöhnt internationales Gericht

Von dem mörderischen Psychiater Radovan Karadzic ist weder Reue noch ein Geständnis zu erwarten

Auf der Titelseite der Londoner Financial Times war vorgestern das Foto einer muslimischen Frau aus Bosnien abgebildet - in ihrer Hand zwei gerahmte Bilder ihres Mannes und ihres Sohnes. Beide wurden vor 14 Jahren, beim größten Massaker in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in Srebrenica zusammen mit 7000 Männern und Jungen von serbischen Einheiten umgebracht. Die Frau war mit anderen Überlebenden aus Sarajewo 36 Stunden in einem Bus auf dem Weg nach Den Haag gesessen, um der Eröffnung des Prozesses gegen Radovan Karadzic beizuwohnen. Ohne Übernachtung fuhren sie alle verbittert und laut protestierend sofort zurück. Der koreanische Vorsitzende des Gerichts hatte die Verhandlung nach 15 Minuten abgebrochen: Der mörderische Psychiater und Dichter, mutmaßliche Initiator der Gräueltaten, war nicht im Gerichtssaal erschienen, da er nicht genug Zeit für die Vorbereitung gehabt habe.

So wie der in Haager Haft verstorbene ehemalige Präsident Serbiens, Slobodan Milosevic, will auch der Mann, den der einstige US-Botschafter in Belgrad, Warren Zimmermann, "Himmler seiner Generation" nannte, offenbar mit allen Mitteln den Zeitplan des Gerichtes durchkreuzen.
Der Führer der bosnischen Serben war zusammen mit dem noch immer flüchtigen General Ratko Mladic laut Anklage der Hauptverantwortliche für die Vertreibungs- und Vernichtungskampagne gegen die bosnischen Muslime und Kroaten von 1992 bis 1995. Über seine Taten und dann über seine dreizehn Jahre im Untergrund mit Haarknoten und schlohweißem Rauschebart als "Dr. Dragan David Dabic", Alternativmediziner und Wunderheiler in Belgrad, kann man im soeben erschienenen glänzenden Buch der Spiegel-Journalisten Olaf Ihlau und Walter Mayr (Minenfeld Balkan, München 2009) ein in Stil und Inhalt bestechendes Porträt lesen. Über das 1425 Tage lang belagerte Sarajewo (länger als die Blockade Leningrads durch die Deutschen) soll Karadziæ gesagt haben: "300.000 Muslime werden sterben ... sie werden vom Angesicht der Erde verschwinden."
Karadzic, heute 64, den Milosevic einen "besoffenen Pokerspieler" genannt hatte, verschwand nach dem Abkommen von Dayton mithilfe des serbischen Geheimdienstes und der serbisch-orthodoxen Kirche in der Versenkung - bis zu seiner Festnahme am 21. Juli 2008. Der damalige US-Chefverhandler Richard Hoolbroke habe ihm Schutz vor Verfolgung im Falle seines Rückzugs aus dem politischen Leben zugesichert, behauptet Karadzic.

Trotz der Dementis Holbrookes gibt es freilich Hinweise, auch von der ehemaligen Uno-Chefanklägerin Carla Del Ponte, dass die Amerikaner und die Franzosen Karadzic gedeckt und seine Verhaftung blockiert hätten.

Wie auch immer, von dem mörderischen Psychiater ist weder Reue noch ein Geständnis zu erwarten. Das Tribunal ist seine letzte Bühne. Die Richter dürfen sich freilich nicht dem Vorwurf aussetzen, der Prozess sei nicht fair gewesen. Für das Verbrechen in Ex-Jugoslawien und die Schande der späten Gerechtigkeit sind nämlich nicht nur (wenn auch in erster Linie) die seinerzeitigen Serbenführer, sondern auch kroatische und bosnisch-muslimische Politiker sowie der Westen verantwortlich. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 29.10.2009)