Newsnational Donnerstag, 25.12.2003 |  Drucken

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Neue Diffamierungskampagne der Zeitschrift Emma gegen muslimische Lehrerinnen - Offene Stellungnahme einer betroffenen Lehrerin

Aufgrund eines Artikels in "Die Zeit" mit verzerrter Darstellung über kopftuchtragende Lehrerinnen, macht sich die Frauenzeitschrift Emma erneut über muslimische Lehrerinnen her. Frau Eva El-Shabassey nimmt Stellung zu den Vorwürfen.

Stellungnahme von Eva-Maria El-Shabassy zum Artikel „Im Schutz des Tuches“ Zeit Nr.51 vom 11.12.2003 und Emma-Online Artikel „Skandal - Kopftuchlehrerinnen in NRW für Scharia und Steinigung“

"Auf Anfrage von Herrn F. Klenk von der Wochenzeitung „Die Zeit“ hatte ich mich bereit erklärt, ein Interview zum Thema „Kopftuchlehrerinnen in Deutschland“ zu führen. Dieses Interview fand am 05.11.2003 bei uns zu Hause statt. In dem am 11.12.2003 erschienenen Artikel „Im Schutz des Tuches“ wird mein Gespräch mit Herrn Klenk in einer Weise verkürzt, die weder das Gesagte noch draus folgend das Gemeinte wiedergibt. Die Art der Darstellung entspricht in wichtigen Teilen nicht nur nicht meiner Meinung, sondern schädigt darüber hinaus meinen persönlichen Ruf.

Richtig ist, dass ich - wie auch heute noch manche Christen - Ehebruch für eine Sünde und eine gravierende Schädigung für Familie und Gesellschaft halte und natürlich versucht habe, meine Kinder in diesem Sinne zu erziehen. Nicht zum Ausdruck kommt in dem Artikel aber, dass ich zwar in einem beschriebenen Einzelfall in der Erziehung meiner Kinder unnachgiebig war (weshalb mir die Situation bis heute in unangenehmer Erinnerung ist!), dass wir uns aber immer bemüht haben, unsere Kinder diskursiv und eben nicht autoritär zu erziehen, und dass ihnen mit zunehmendem Alter die letztliche Entscheidung für ihr Verhalten im konkreten Einzelfall selbst überlassen war. Diese Art der Erziehung habe ich nicht nur für mich selbst zum Maßstab gemacht, sondern ich habe mich darüber hinaus immer wieder auch bei anderen muslimischen Eltern aktiv dafür eingesetzt. Meine Vortragstexte und Unterlagen können eingesehen werden.

Richtig ist, dass ich mich für islamischen Religionsunterricht einsetze und maßgeblich an der Erstellung eines Curriculums für die Grundschule beteiligt war. Dieses Curriculum, das vor der Veröffentlichung verschiedenen christlichen Institutionen zur Begutachtung zugeleitet und einhellig positiv aufgenommen wurde, hat nicht nur nichts mit Islamisierung der deutschen Schule zu tun, sondern hat im Gegenteil gerade die Teilhabe der muslimischen Schüler als gleichberechtigte, selbstbewusste Partner an dieser Gesellschaft zum Ziel. (vergl. „Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht - Grundschule“ des ZMD S.7 u.a.).
Dass ich darüber hinaus sehr wohl zwischen meinen eigenen religiösen Vorstellungen und denen insbesondere meiner Schüler und deren Eltern zu unterscheiden weiß, und in meiner langjährigen Berufstätigkeit als Grundschullehrerin niemals versucht habe, meine Schüler in irgend einer unzulässigen Weise zu beeinflussen, dafür gibt es mehrfach öffentlich dokumentierte Aussagen von ehemaligen und jetzigen Schülereltern. Ich arbeite seit fast 20 Jahren an einer Schule mit durchaus kritischer und kompetenter Elternschaft. Sollten insbesondere die Eltern, die ja am ehesten Einblick in mein schulisches Wirken haben, nicht in der Lage sein, mein Verhalten zutreffend zu beurteilen?

Am Rande sei bemerkt, dass ich in den letzten ca. 20 Jahren fast durchgängig Mitglied des Lehrerrats war, also offensichtlich das Vertrauen meines Kollegiums wie auch der Schulleitung besitze.

Neben meinem Einsatz für eine adäquatere islamische außerschulische Erziehung habe ich mich seit Jahren bei allen sich bietenden Gelegenheiten immer wieder für ein mit Koran und Sunna begründetes partnerschaftliches Verhältnis von Mann und Frau eingesetzt. Auch hier können meine Vorträge und Unterlagen eingesehen werden.
Da ich im Zusammenhang mit Kopftuchlehrerinnen und Schule davon ausging, dass es in meinem Gespräch mit Herrn Klenk um diese beiden Schwerpunktthemen gehen würde, trafen mich seine Fragen vollkommen unvorbereitet. Es hätte mich schon stutzig machen müssen, dass Herr Klenk auf meine Bitte hin es ablehnte, mir vor Veröffentlichung den Text nochmal vorzulegen, um mir Gelegenheit zu geben, Ungenaues, Flapsiges oder falsch Verstandenes richtig zu stellen.

Der Artikel erweckt, trotz Einschränkungen, den Eindruck, dass ich Anhänger der Steinigung bin. Die Schwierigkeit in der Diskussion über dieses Thema bestand darin, dass mein Interviewpartner aus atheistischer Perspektive nicht nachvollziehen konnte, dass man als religiöser Mensch die eigenen Quellen nicht einfach in Bausch und Bogen verwerfen kann - was er gern von mir gehört hätte. Ein religiöser Mensch wird immer versuchen, eine eigene Meinung aus den Quellen zu begründen, an die er glaubt.
Ich hatte auf die Praxis des Propheten verwiesen, der bei Selbstanzeige einer schwangeren Frau dreimal versuchte, die Selbstbezichtigung zu überhören und anschließend sagte, dass die Reue dieser Frau die Sünden der gesamten Gemeinde bedecken würde. Dieses Beispiel zeigt nach meinem Verständnis, dass Nachsicht und Barmherzigkeit größer sind als der Wille zu strafen. Im Koran, der primären islamischen Rechtsquelle, darauf hatte ich hingewiesen, wird die Steinigung nicht erwähnt. Insbesondere auch aus diesen Gründen halte ich die Steinigung als Strafe für nicht anwendbar.

Nicht zum Ausdruck kommt in dem Artikel, dass man - in diesem Fall ich - als gläubiger Muslim Fragen an die eigene religiöse Tradition und Praxis haben kann - konkret, warum gibt es bis heute in einigen Ländern diese schreckliche Strafe? Soll die abschreckende Wirkung und damit die gesellschaftliche Ächtung so sein, dass gesellschaftliche Strukturen geschützt werden? Insofern ist der letzte Satz missverständlich und erweckt dadurch einen falschen Eindruck. Ich würde mir sehr wünschen - auch das hatte ich gesagt! - dass die muslimischen Theologen, die allein eine Änderung bewirken könnten, eine Lösung für dieses Problem finden.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch etwas zur Scharia sagen, obwohl der Begriff in meinem Gespräch mit Herrn Klenk definitiv nicht gefallen ist. Scharia (wörtlich übersetzt „der breite (!) Weg“) ist - anders als von Herrn Klenk und häufig in den Medien unterstellt - eben keine unveränderliche Gegebenheit, sondern ein riesiges Rechtsgebäude auf der Grundlage von Koran und Sunna. Je nachdem, wo und zu welcher Zeit der Islam gelebt wurde und wird, findet man unterschiedliche Ausprägungen in der praktischen Umsetzung der religiösen Gebote, und das muss auch so sein, wenn eine Religion lebbar bleiben soll. Die Rechtsfindung ist zum Teil widersprüchlich, so dass man auch als einzelner Muslim durchaus die Möglichkeit hat, sich gegen bestimmte Ausprägungen der Scharia zu stellen.

Unabhängig davon bin ich selbstverständlich dem deutschen Grundgesetz verpflichtet, ohne dass ich hierdurch in meiner konkreten Religionsausübung eingeschränkt würde."




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