Newsnational Donnerstag, 24.07.2003 |  Drucken

Anzeige:


ZMD reagiert auf Report-Sendung: Gegendarstellung – Beweislast des NRW-Verfassungsschutzes eingefordert – Zum Vorwurf „Muslimbruderschaft“

Ziel der Report-Sendung könnte gewesen sein, eine der wichtigsten authentischen Stimmen des Islam in Deutschland verstummen zu lassen. Haltlose Behauptungen und Unterstellungen sollten die Integrität des Zentralrats der Muslime in Deutschland und die Reputation des Vorsitzenden Dr. Nadeem Elyas in Zweifel ziehen. islam.de befragte den Vorsitzenden zu den einzelnen Behauptungen

islam.de: Herr Dr. Elyas, was war Ihr erster Eindruck, nachdem Sie diesen Bericht gesehen haben?

Elyas: Ich fragte mich, wie tief verletzt der gesamte Staatsapparat, die führenden Persönlichkeiten in der Gesellschaft, den Kirchen, den anderen Religionsgemeinschaften und Akademien wohl sein müssen, die diesen Bericht gesehen haben; denn dieser Bericht ist in erster Linie eine Beleidigung für all diese unsere Freunde, denen Naivität, Unwissen, Blauäugigkeit oder wissentliche Zusammenarbeit mit einem im Bericht als zwielichtigen Dialogpartner dargestellte Person vorgeworfen wird. Andererseits ist es der Versuch, gerade diesen Dialog durch solche Verleumdungen zum Scheitern zu bringen. Wir werden uns dadurch nicht beirren lassen und sind sicher, dass unsere dialogüberzeugten Partner, die uns seit Jahrzehnten kennen, ebenfalls unbeirrt bleiben werden.

islam.de: Was meinen Sie, welche Absicht dahinter steckt, den ZMD, der in der letzten Zeit stark an Ansehen und Einfluss gewonnen hat, zu beschädigen?

Elyas: Einige in unserem Land, können es einfach nicht ertragen, wenn die Muslime ihre offene Meinung und eigene Haltung so selbstbewusst zum Ausdruck bringen und aktiv am politischen Geschehen in der Gesellschaft teilhaben wollen. Die Andersartigkeit der Muslime befremdet einige so sehr, dass sie jede islamische Erscheinungsform gleich mit dem Stempel „Islamismus“, „Fundamentalismus“ oder „Extremismus“ versehen und sie zu beseitigen versuchen. Da der ZMD nun mal faktisch die erste Adresse auf islamischer Seite für gesellschaftliche Kontakte und Gespräche und für Vertretung eben dieser islamischen Interessen geworden ist, bekommt er zwangsläufig das meiste von diesen hässlichen Feindseeligkeiten ab. Damit können wir ohne weiteres fertig werden und fühlen uns nicht alleine gelassen.
Die vielen Anrufe und Mails von entrüsteten und aufgeregten Muslimen und Nichtmuslimen, die wir inzwischen bekommen haben, glauben jedenfalls, man wollte mit diesem Bericht das Vertrauen in den Zentralrat erschüttern. Aber eine auf über Jahrzehnte angelegte Dialogarbeit mit unzähligen erfolgreichen lokalen und bundesweiten Aktivitäten lassen sich nicht einfach durch haltlose Behauptungen ausradieren.

islam.de: Warum wird immer wieder darauf herrumgeritten, dass Sie angeblich der Muslimbruderschaft angehören? Könnte es damit etwas zu tun haben, dass Sie einmal Mitglied im Islamischen Zentrum in München waren...

Elyas: ... Ja und dann erwiesenermaßen im Jahre 1982 ausgeschlossen wurde. Träger des Zentrums war damals die Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland. Wenn also die Rede von Mitgliedschaft sein soll, so war ich Mitglied im Islamischen Zentrum München und seinem Trägerverein der Islamischen Gemeinschaft in Süddeutschland. Die IGD, bei der ich angeblich Mitglied war, gab es zu dieser Zeit gar nicht. Und was soll überhaupt die Vermischung der Mitgliedschaften in diesen Vereinen mit der angeblichen Mitgliedschaft bei der Muslimbruderschaft? Diese Vereine sind das IZM und die IGD, sie sind nicht die „Muslimbruderschaft“, es sei denn irgendwelche Besserwisser legen anderslautende Belege vor, aus denen wir unsere Konsequenzen ziehen können.

islam.de: ..was auch die Report-Sendung nicht vorgelegt hat.

Elyas: Es wäre interessant, das zu tun. Der Bericht hat jedoch bewusst die Vereinsmitgliedschaft im Islamischen Zentrum München mit der Mitgliedschaft der Muslimbruderschaft gleichgesetzt. Eine leicht zu durchschauende Irreführung der Öffentlichkeit.

islam.de: Der Chef des Verfassungsschutzamtes in NRW, Herr Möller, sprach in der Sendung von weiteren Mitgliedsorganisationen im ZMD, die zur Muslimbruderschaft gehören sollen. Was sagen Sie dazu?

Elyas: Herr Möller sprach von „mindestens“ neun Organisationen. Eine merkwürdige Formulierung, die uns zeigt, wie leichtfertig mit diesem sensiblen Thema und mit dem Ruf der islamischen Organisationen umgegangen wird. Wir sind gespannt, wenn der Verfassungsschutz sich auf eine bestimmte Zahl festgelegt hat, zu erfahren, welche diese sind, und vor allem auf die Belege und Konsequenzen seitens des Staates. Wir im ZMD sind dann bereit, unsere Konsequenzen daraus zu ziehen.
In diesen Zusammenhang gehört auch die absurde Behauptung, ich sei Repräsentant der Muslimbruderschaft. Ich bin kein Mitglied der Muslimbruderschaft, geschweige denn ihr Repräsentant. Übrigens, in einer Veröffentlichung desselben Amtes werde ich bis heute noch als Sprecher des Islamischen Zentrums Aachen bezeichnet, was ich seit 1997 nicht mehr bin. Für manche scheint es zu mühsam, in die Vereinsregister hineinzuschauen.

islam.de: Stimmt es, dass Sie in der arabischen Presse und in arabischen Publikationen eine andere Sprache sprechen als hierzulande?

Elyas: Diese Aussage entbehrt jeder Grundlage; außerdem sind heutzutage alle Texte erhältlich und z.T. auch in englisch erhältlich. Ich bin bereit, jeden Text von mir überprüfen zu lassen. Die Texte müssen allerdings als ganze Themen – gesamten Kontext und ohne Manipulation – wie wir sie im Report-Bericht erlebt haben – behandelt werden. Dann wird man sehen, wie verleumderisch der Vorwurf der Zweizüngigkeit ist.

islam.de: Der Zentralrat wirbt für Dialog, setzt sich für die Integration der Muslime hierzulande ein, wirbt für die Vereinbarkeit von muslimischer Lebensweise und demokratischer Kultur und ruft die Muslime dazu auf – wie durch die Islamische Charta deutlich wird – , einen Beitrag als Bürgerinnen und Bürger innerhalb des säkularen und pluralen Systems zu leisten. Doch dann wird immer unterstellt: eigentlich will man ja die Einführung der Scharia erzielen, die Errichtung eines islamischen Staates anstreben. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Elyas: Sobald der Vorwurf der Doppelzüngigkeit aufgestellt wird – und in unserer Gesellschaft haben wir ja leider genügend Anschauungsmaterial diesbezüglich, wenn man sich z.B. die Diskussion um die Menschenrechte oder Frauenrechte einmal vergegenwärtigt – muss man auch diese Behauptung beweisen. Doch das kann man nicht. Die Islamische Charta bekennt sich z.B. ohne wenn und aber zum Grundgesetz und erteilt den Bestrebungen nach einem islamischen Staat eine eindeutige Absage. Trotzdem werden diese Behauptungen weiter erhoben und man sucht – wie das auch im Film deutlich wurde – spitzfindig bestimmte Aussagen, die dann aus dem Zusammenhang genommen, dieses Bild suggerieren sollen. Wer im Dialog unfair und unsachlich die Glaubwürdigkeit des anderen untergraben will, verlässt die zivile Gesprächsebene und muss sich selber den Vorwurf gefallen lassen, des Gespräches auf gleicher Augenhöhe nicht würdig zu sein...


islam.de: ... Vielleicht meinen ja einige, das Eintreten z.B. für den islamischen Religionsunterricht sei eine Art Umsetzung der Scharia?

Elyas: Die Einführung eines deutschsprachigen, integrativen und verfassungskonformen Religionsunterrichts unter Schulaufsicht ist die konsequente Umsetzung des Grundgesetzes. Dies sollte auch Geltung für die Muslime hierzulande haben. Und für die Rechte der Muslime zu streiten, sei es für den muslimischen Religionsunterricht, für die Grundrechte muslimischer Frauen – und dazu zählt auch das Tragen des Kopftuches – oder für das Schächten, so wie es den Juden auch erlaubt ist, ist höchst ehrenhaft und wird ausdrücklich durch unsere Verfassung in Form der Religionsfreiheit gutgeheißen. Wer darin fundamentalistische Umtriebe entdecken und die islamistische Keule schwingen will – wie das im Bericht gemacht worden ist – spricht eine gefährliche Sprache und muss sich den Vorwurf ebenfalls gefallen lassen, die grundgesetzlichen Rechte der Muslime beschneiden zu wollen.

islam.de.: Stehen Sie für den „saudischen“ Islam, die radikalste Auslegung des Islam, wie der anonyme Interviewpartner - dessen Namen ja mittlerweile dem Zentralrat bekannt sein dürfte – behauptete? Und wie wird man eigentlich wie der Herr Anonymus zum Ex-Islamisten?

Elyas: So ein Unsinn. Was ist überhaupt der „saudische Islam“? Mit Angstmache und Desinformationen wird kein Fernsehbericht gehaltvoller. Wir vertreten weder eine saudische, noch eine iranische oder türkische Linie. Wir orientieren uns nach unseren eigenen Interessen in Deutschland und definieren unsere Glaubensüberzeugungen selbst. Dabei scheuen wir weder Abweichungen von anderen Linien, noch vermeiden wir verkrampft Gemeinsamkeiten, nur um den Vorwurf der Abhängigkeit zu vermeiden.
Und wie man zum Ex-Islamisten wird, weiß ich auch nicht; vielleicht indem man hinter einem Vorhang mit verstellter Stimme seinen Frustrationen freien Lauf lässt?

islam.de: Sie werden mit dem Vers, den Sie bei einer Internationalen Konferenz in Kopenhagen in Rahmen eines Vortrages hielten, konfrontiert: „Und tötet nicht die Seele, die Gott verboten hat zu töten, außer aus einem rechtmäßigen Grund.“ Was sagen sie dazu?

Elyas: Wie Frau Spuler-Stegemann im Bericht richtig gesagt hat, kann der Vers entstellt falsch verwendet werden, wenn man ihn aus dem zeitlichen und thematischen Kontext herausreißt, was ich übrigens nicht getan habe. Im Gegenteil, ich habe ihn zitiert, weil er jede Form von Mord, Terrorismus und Anarchie ausdrücklich verbietet. Der hier genannte „rechtmäßige Grund“ bezieht sich auf die Todesstrafe in einem muslimischen Land und darf, wie auch in den USA, das Grundrecht auf Leben nicht außer Kraft setzen. Selbstverständlich gilt dieser Bereich des islamischen Rechts für uns Muslime in Deutschland nicht, da hier allein das Grundgesetz maßgebend ist. Dies habe ich übrigens auch „Report“ schriftlich mitgeteilt. Die Intention des Berichts macht verständlich, warum sie Teile dieser Klarstellung nicht verwendet haben.

islam.de: Wie wird jetzt der Zentralrat auf die Unterstellungen in der Sendung reagieren?

Elyas: Zunächst gibt es eindeutige Falschaussagen im Bericht; z.Z. erwägen unsere Anwälte, eine Gegendarstellung zu erwirken. Zweitens muss jetzt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz seine Behauptung, wonach „mindestens“ neun Organisationen des Zentralrats der Muslimbruderschaft angehören, beweisen. Wir wissen jedenfalls, dass diese Aussage nicht richtig ist. Und drittens werden wir uns bei all unseren Freunden und Partnern, die mit ihren solidarischen Bekundungen und Unterstützungsinitiativen aufwarteten, bedanken und ihnen eine Klarstellung der haltlosen Behauptungen nochmals im Einzelnen schriftlich zukommen lassen.

islam.de: Herr Dr. Nadeem Elyas, wir danken für das Gespräch.




Wollen Sie einen
Kommentar oder Artikel dazu schreiben?
Unterstützen
Sie islam.de
Diesen Artikel bookmarken:

Twitter Facebook MySpace deli.cio.us Digg Folkd Google Bookmarks
Linkarena Mister Wong Newsvine reddit StumbleUpon Windows Live Yahoo! Bookmarks Yigg
Diesen Artikel weiterempfehlen:

Anzeige

Hintergrund/Debatte

Die Große Moschee in Duschanbe (Tadschikistan) ist das größte Gotteshaus in Zentralasien
...mehr

Film-Besprechung: "In Liebe, eure Hilde" - Dresens neuer Film erzählt eine tragische Geschichte aus der NS-Zeit auf der Berlinale 2024
...mehr

ZMD-Landesverband Rheinland-Pfalz in Staatskanzlei mit anderen muslimischen Religionsgemeinschaften: Kein Generalverdacht und: „Jüdisches und muslimisches Leben sind ein integraler Bestandteile des Landes"
...mehr

Daniel Barenboim mit DAG-Friedrich II von Hohenstaufen-Preis geehrt
...mehr

Buchkritik: "Faschismus" von Paul Mason – Von Aiman A. Mazyek
...mehr

Alle Debattenbeiträge...

Die Pilgerfahrt

Die Pilgerfahrt (Hadj) -  exklusive Zusammenstellung Dr. Nadeem Elyas

88 Seiten mit Bildern, Hadithen, Quran Zitaten und Erläuterungen

Termine

Islamische Feiertage
Islamische Feiertage 2019 - 2027

Tv-Tipps
aktuelle Tipps zum TV-Programm

Gebetszeiten
Die Gebetszeiten zu Ihrer Stadt im Jahresplan

Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben

Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009